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Mit einem leichten Kopfschütteln sah Aaron dem Sklaven hinterher. Kurz darauf war er wieder mit Finya alleine im Zelt.
„...damit hätte ich jetzt nicht gerechnet..."
Finya schmunzelte. „...er erinnert mich an mich damals, Aaron."
Fragend sah Aaron Finya an. „An den Tag, an dem ich Euch gebeten habe, von mir zu trinken. Auch ich habe damals die Unsicherheit nicht mehr ausgehalten..."
Nachdenklich nickte Aaron. „Stimmt...mit dem Unterschied, dass es für dich damals noch ganz neu war, dass ich von dir trinke. Landros und die anderen dürften es von klein auf...,gewohnt' sein, dass ein Vampir von ihnen trinkt. Nur dass es für sie alles andere als angenehm gewesen sein dürfte. Von klein auf wurden sie daran gewöhnt, wie man bei Yuna sieht."
„Sie kennen es nicht anders, als unter Schmerzen. Vermutlich konnten sie nicht einmal erahnen, dass es auch...anders...geht. Ich hatte anfangs ja auch gezweifelt."
Aaron schmunzelte. „Nun...zumindest Landros weiß es jetzt. Geben wir ihm Zeit, das zu verarbeiten."
Entspannt lehnte Aaron sich zurück und schlug die Beine übereinander.
„...bring mir bitte einen Wein, Finya..."
Sofort erhob sich die junge Sklavin und trat auf die Anrichte zu. Da keine angebrochene Flasche mehr da war, griff sie eine neue Flasche und kam mit der Flasche und dem Korkenzieher auf Aaron zu.
Aaron richtete sich nur leicht auf. Er wollte gerade nach Flasche und Korkenzieher greifen, als er die Hände wieder sinken ließ. Fast schon schelmisch blitzten seine Augen Finya an.
„...mach du die Flasche auf, Finya."
Überrascht hob Finya den Blick. Aaron grinste immer noch.
„Du hast mich schon richtig verstanden. Mach du die Flasche auf. Es wird Zeit, dass du auch das lernst."
Einen kurzen Moment zögerte Finya. Schon oft hatte sie Aaron dabei beobachtet, wie dieser die Weinflaschen öffnete.
Schließlich setzte Finya den Korkenzieher an.
Erst jetzt richtete sich Aaron komplett auf.
„Genau so. Und jetzt den Korkenzieher gerade hinein drehen."
Finya nickte. Kurz darauf schmunzelte Aaron und legte seine Hand über Finyas. „Anders herum, Finya..."
Finya nickte und drehte den Korkenzieher hinein.
Zufrieden sah Aaron zu, wie Finya den Korkenzieher immer tiefer in den Korken drehte.
Schließlich stoppte er sie. „...das reicht, Finya. Jetzt musst du den Korken herausziehen."
Finya versuchte es, doch der Korken bewegte sich kein Stück.
„...lass mich dir helfen, Finya. Dann hast du es bald heraus, wie es geht."
Seine zweite Hand legte sich ebenfalls über Finyas zweite Hand, die die Flasche hielt.
Gemeinsam mit ihr zog er langsam den Korken heraus.
Genießerisch roch er am Korken. „...ich liebe diesen Geruch...auch wenn er nichts über die Qualität des Weines aussagt..."
Als Finya fragend den Kopf schief legte, hielt er ihr den Korken ebenfalls hin und ließ sie daran riechen.
„Das riecht wirklich gut..." Aaron schmunzelte.
„Aber der eigentliche Geruch, der wahre Geschmack, entwickelt sich nur, wenn der Wein geatmet hat. Das hier..." er wies auf den Korken „...ist lediglich ein lieb gewonnenes Ritual..."
Finya nickte. „...aber ein schönes."
Aaron schmunzelte. „...und jetzt gieß uns beiden einen Wein ein."

Eine ganze Weile saßen die beiden zusammen und genossen den Wein.
„Du darfst dich zur Zeit wieder freier im Lager bewegen."
Aaron stellte seinen Kelch zur Seite.
„Das gilt jedoch nur, bis Jarl Kari hier eintrifft. Dann werden wir nämlich Skyldar und seine Wachen wieder aufwachen lassen und dann möchte ich dich entweder an meiner Seite oder an der Seite eines Gardemitglieds wissen." Finya nickte verstehend.
„Ich hoffe wirklich, dass wir unsere Zelte hier bald wieder abbrechen können. Es gefällt mir nicht, dass du dich so demütig und unterwürfig verhalten musst, auch wenn ich nicht bestreiten kann, dass es mir gefällt. Aber ich kann dir das hier leider nicht ersparen."
Finya lächelte nur. „Das weiß ich, Herr. Skyldars Wachen und Sklaven brauchen Klarheit. Und auf diese Weise kann ich zumindest für die Sklaven ein Vorbild sein, ihnen zeigen, was es auch heißen kann, Sklave zu sein."
Nachdenklich griff Aaron nach seinem Wein, ließ ihn im Kelch kreisen und nahm einen Schluck.
„Es gab eine Zeit, da wolltest du das Wort ,Sklavin' nicht einmal hören...
Bedauerst du noch immer, eine Sklavin zu sein?"
Überrascht sah Finya auf. Langsam stellte sie ihren Kelch zur Seite und senkte nachdenklich den Blick.
„Ja...Ihr habt Recht...ich mochte nie hören, dass ich Eure Sklavin sein soll..." begann sie dann langsam. „Allerdings habe ich bei Euch mehr Freiheiten erfahren, als in meinem ganzen Leben zuvor. Im Gegensatz dazu habe ich auch erfahren müssen, wie das Leben anderer Sklaven aussieht."
Schweigend lauschte Aaron Finyas Worten. Selbst, wenn sie zwischendurch stockte, hörte er geduldig zu, ohne sie zu unterbrechen.
„Eure Frage...ich weiß nicht, was ich wirklich darauf antworten soll, Herr. Ich weiß nur eines gewiss. Ich bedaure es nicht, EURE Sklavin zu sein. Und...um ehrlich zu sein...ich war noch nie wirklich frei...Was bedeutet da also schon ein Wort, eine Bezeichnung. Sie ändert auch nichts an den Tatsachen."
Aaron lächelte milde. „Ich danke dir für deine Offenheit, Finya. Ich gebe dir mein Wort, dass ich stets für dich und dein Wohlergehen sorgen werde. Du bist etwas besonderes."
Fast schon verlegen senkte Finya den Kopf. „Ich werde Euch immer treu und ergeben dienen, Herr.
Einen kurzen Moment zögerte Aaron, atmete dann jedoch lediglich tief durch.
„Geh bitte zu Ingvar und schicke ihn zu mir. Er wird die nächsten Tage, bis zur Ankunft des Jarl, wieder als Gefangener verbringen.
Zwar hat er mir sein Wort gegeben, aber ich möchte nicht riskieren, dass er plötzlich doch wieder seinen Eid als wichtiger erachtet."
Finya stand auf. „...traut Ihr ihm das zu? Er schien richtig froh zu sein, dass Ihr ihn quasi von seinem Eid befreit habt..."
„Das war er auch. Es schien, als ob eine große Last von ihm abgefallen wäre...und trotzdem:
Er hat mehr als deutlich gezeigt, dass ihm sein Wort wichtig ist..."
„Er hat Euch aber auch sein Wort gegeben, keine Probleme zu machen."
Aaron lächelte sacht. „Das hat er...solange sein Eid ihn nicht zwingen würde, Skyldar zu schützen."
Nachdenklich nickte Finya. Doch auch ihr fiel dieses Mal keine andere Lösung ein.
„Sobald Kari da ist, kann er Ingvar offiziell von dem Eid befreien. Bis dahin bleibt mir keine andere Wahl."
Erneut nickte Finya. „Dann hole ich ihn jetzt."

Finya verließ das Zelt und sah sich suchend um. Sie war noch nicht weit gekommen, als Jonas neben sie trat. „Was suchst du, Finya?"
Finya lächelte. „Hallo, Jonas. Ich suche Ingvar. Ich soll ihn zu meinem Herren bringen."
Jonas neigte nur den Kopf. „Damit haben wir bereits gerechnet. Wir hatten ihn die ganze Zeit ohnehin schon genauer im Auge...Er ist dort drüben".
Jonas wies auf den Rand des Lagers, wo sich eine Gruppe Kinder versammelt hatte. In ihrer Mitte kniete Ingvar am Boden, doch was genau er dort tat, war nicht zu erkennen.
Als Finya und Jonas auf die Kinder zugingen, liefen einige wenige Kinder beim Anblick von Jonas ängstlich weg. Die meisten jedoch liefen freudig auf Finya zu, um sie zu begrüßen und dann wieder zu Ingvar zu laufen.
Lächelnd grüßte Finya jedes einzelne Kind, bevor sie selbst ebenfalls auf Ingvar zutrat.
Sie wollte gerade das Wort ergreifen, als sie überrascht innehielt, bei dem Anblick, der sich ihr bot.

Finya 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt