Wenig später trat Finya neben Aaron und ging auf die Knie. Ihm gegenüber stand Nagan.
Beide Männer sprachen in der Vampirsprache miteinander, dennoch legte sich Aarons Hand sogleich auf Finyas Kopf.
„Steh auf, Finya..." forderte Aaron sie kurz darauf auf.
„Jarl Kari hat Nagan vorausgeschickt. Er selbst wird morgen im Verlauf des Vormittags hier eintreffen."
Finya lächelte, wandte sich dann an Nagan.
„Jarl Kari hat Euch also in seine Dienste genommen?"
Nagan nickte, wirkte aber leicht verlegen. „So mehr oder weniger. Derzeit diene ich ihm noch als Sklave. Aber er gewährt mir immer mehr Freiheiten..."
Fragend blickte nun auch Aaron zu Nagan.
„Meine Strafe, Hoheit. Jarl Kari hat mir angeboten, für die Zeit meiner Verbannung in seine Dienste zu treten. Allerdings vorerst als Sklave, bis ich die Werte, die er vertritt, verinnerlicht habe."
„Eine sehr weise Strafe..." Aaron nickte. „Und wie sieht es inzwischen aus?"
Nagan lächelte sacht. „...ich denke, ich habe verstanden, dass es auch Sklaven verdient haben, gerecht und freundlich behandelt zu werden. Und gerade deshalb wollte der Jarl mich mit hierher nehmen. Laut Eurer Nachricht hat Skyldar die Sklaven sehr schlecht behandelt..."
Aaron lachte trocken auf. „Das ist noch untertrieben. Er ist ein Sadist. Er behandelt die Männer, Frauen und Kinder nicht nur grausam, er hat auch noch Spaß daran, sie zu quälen. Und auch den Wachen erging es nicht viel besser."
„Nungut...jetzt, wo du deinen Auftrag ausgeführt hast...sollst du zu Jarl Kari zurück kehren oder hier auf ihn warten?"
„Mit Eurem Einverständnis kann ich hier warten, Hoheit."
Aaron nickte. „Geh zu Dimitri und lass dir von ihm einen Schlafplatz zuweisen. Ansonsten kannst du dich im Lager frei bewegen.
Mit einer Ausnahme. Diesem Zelt...." Aaron deutete auf Skyldars Zelt „...wirst du dich nicht einmal nähern."
Nagan verneigte sich respektvoll und ging dann auf Dimitri zu, der noch immer vor Aaron's Zelt stand.
Später am Abend saß Nagan am Fuß eines Baumes mitten im Lager und beobachtete, was im Lager vorging.
Während die Wachen ihn lediglich skeptisch beäugten, schienen die Sklaven ihn regelrecht zu fürchten und machten einen großen Bogen um ihn.
Als er sich später am Abend in die Reihe der Sklaven einreihte, um sein Abendessen zu erhalten, wichen die Sklaven sichtlich vor ihm zurück.
„Nagan..."
Nagan blickte auf. Ein Stück entfernt stand Aaron und winkte ihn zu sich.
Sofort verließ Nagan die Feuerstelle und ging vor Aaron auf die Knie.
„Auch wenn der Jarl dich noch im Status eines Sklaven belässt, ist das hier im Lager unangebracht. Die Sklaven fürchten die Vampire viel zu sehr um zu erkennen und zu akzeptieren, dass du aktuell einer von ihnen bist. Daher wirst du warten und deine Mahlzeit gemeinsam mit den anderen Wachen holen."
Nagan neigte den Kopf. „Ja, Herr."
Auf ein Zeichen Aaron's hin erhob er sich und trat zu den anderen wartenden Wachen.Nach dem Abendessen versammelten sich einige Sklaven motiviert an der Feuerstelle, um die restlichen noch anfallenden Aufgaben zu erledigen.
Aaron und Finya beobachteten das Geschehen aus der Ferne.
Neugierig trat Nagan neben Aaron. „Wie kommt es, dass die Sklaven so motiviert scheinen, obwohl Skyldar sie so schlecht behandelt hat, Herr?"
Aaron lächelte milde. „Dankbarkeit, Nagan. Ich habe nur ein paar kleine Dinge geändert, die ihre Situation erträglicher machen...in meinen Augen Selbstverständlichkeiten. Doch für sie scheinbar Grund genug, mir ihre Dankbarkeit zeigen zu wollen."
Nachdenklich nickte Nagan und beobachtete einen alten Sklaven, der sich sichtlich damit abmühte, den großen Topf zu schrubben.
Der Mann schien eindeutig Probleme damit zu haben, schrubbte aber fast schon verbissen weiter.
Kopfschüttelnd wandte Nagan seinen Blick zu Aaron.
„Der Topf ist viel zu schwer für den Mann, Herr. Mit Eurer Erlaubnis werde ich ihm helfen."
Aaron schmunzelte sacht. Auch er hatte den Mann längst gesehen. Anders als Nagan ahnte er jedoch dessen Beweggründe.
„Du darfst ihm helfen, Nagan. Wenn ihr fertig seid, schicke den Mann bitte zu mir."
Nagan verneigte sich vor Aaron, trat auf die Feuerstelle zu und griff sich eine Bürste.
Mit der Bürste in der Hand trat er auf die andere Seite des Topfes und begann ebenfalls, ihn zu schrubben.
Mit vor Schreck geweiteten Augen beobachtete der Mann Nagan regungslos, wie dieser den Topf schrubbte. Im nächsten Moment nahm er aber selbst noch energischer und intensiver als zuvor die Arbeit wieder auf.
Nagan seufzte leise. „Ich will dir helfen. Der Topf ist viel zu schwer für einen allein."
Heftig und auch ängstlich schüttelte der Mann den Kopf. „Ich kann das. Ich bin. Ich stark genug..."
Nagan ließ die Hand mit der Bürste sinken.
„Lass dir helfen. Du wirst keinen Nachteil davon haben..."
Unsicher blickte der Mann zu Aaron. Kurz darauf stand dieser vor ihm.
„Nagan hat Recht. Für einen Menschen ist der Topf zu schwer. Lass ihn den Topf schrubben. Für dich finden wir eine andere Aufgabe."
Kurz blickte Aaron zu Dimitri und winkte ihn zu sich. „Dimitri...welche Aufgaben haben wir noch?"
Dimitri nickte verstehend. „Er wollte unbedingt diese Aufgabe...wohl um zu beweisen, dass er noch leistungsfähig ist."
Betreten senkte der Mann den Kopf.
„Stimmt das?"
Langsam nickte der Sklave. „Ja, Herr."
„Ab Morgen wird Dimitri dir andere Aufgaben zuteilen. Und für heute bist du von deinen Pflichten entbunden."
Sofort sank der Mann auf die Knie. „Ich danke Euch, Herr."Nach einem letzten Kontrollgang durch das Lager atmete Aaron erleichtert auf. „Schluss für heute, Finya." bestimmte er und kehrte mit ihr in sein Zelt zurück.
Dort warteten bereits die Kinder und sahen Aaron fragend entgegen.
Aaron lachte leise. „Das hätte ich ja jetzt fast vergessen..."
Rasch wandte er sich an Finya und flüsterte ihr etwas zu.
Mit einem Lächeln nickte diese und trat auf das Proviantzelt zu. Wenig später kehrte sie mit zwei großen Schalen Trockenobst zurück, die sie den Kindern entgegen hielt.
Mit großen Augen bildeten die Kinder eine Schlange. „Lasst es euch schmecken..." ermutigte Aaron sie und endlich begannen die ersten sich etwas von dieser für sie besonderen Leckerei zu nehmen.
Als schließlich beide Schalen leer waren, betraten Aaron und Finya das Zelt.
„Wenn Jarl Kari morgen hier eintrifft, werden wir die Gefangenen wieder aufwachen lassen." wandte er sich schließlich an Finya. „Ich möchte dass du dann wieder an meiner Seite bleibst. Oder bei einem aus der Garde. Skyldar ist gefährlich und seine Wachen ebenso. Ich möchte nicht riskieren, dass dir etwas zustößt."
Finya nickte lächelnd. „Ich will auch nichts riskieren. Ich werde an Eurer Seite bleiben, Aaron."
Aaron nickte zufrieden. „Sobald du frei bist sollten wir uns Gedanken machen, wie du dennoch geschützt und sicher bist. Aber das hat ja jetzt noch etwas Zeit. Und für heute ist es ohnehin zu spät. Morgen wird ein anstrengender Tag. Wir sollten uns für heute zur Ruhe begeben."
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Finya 4
VampireDer Urlaub auf der Insel von Aarons Vater ist zu Ende. Zeit, die Heimreise anzutreten. Doch noch immer ist Aaron und Finya keine Ruhe vergönnt. Ein neuer Widersacher tritt auf, der seine Handlungen nicht mehr nur gegen Finya richtet.