9. Juan

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Dass ich auf dem Weg nach Hause weder einen Unfall baute, noch über eine rote Ampel fuhr, oder geblitzt wurde, war ein Wunder. Gut, vielleicht lag es daran, dass ich auch fast blind durch diese Gegend fahren könnte. Meine Gedanken kreisten um Emma und all die anderen, von denen ich wusste, dass sie sicher nicht einfach so >gekündigt< hatten. Das war auch der Grund, wieso ich das Kind vor mir, erst viel zu spät bemerkte. Es rannte einfach auf die Straße und blieb wie erstarrt stehen, als es mich sah. Ruckartig drückte ich die Bremse durch, zog die Handbremse an und lenkte bis zum Anschlag nach links. Mein Herz hämmerte so stark gegen meine Brust, dass der Knall erst viel später in meinen Ohren ankam. Ich schnallte mich ab und stieg aus dem Auto, um zu dem Kind zu laufen. Es lag auf dem Boden, mit einem Arm über die Augen gelegt. Ich kniete mich sofort neben das Kind hin und zückte mein Handy, um den Notarzt zu rufen, da fing es an zu sprechen. >> Bitte nicht nicht das Krankenhaus  << Die Stimme kam mir bekannt vor, doch was mich am meisten irritierte war, dass sie nicht zitterte oder verheult klang. Ich blickte den Jungen ganz genau an und realisierte erst dann, wieso der Knall wirklich so spät ankam.

Es war der kleine Junge, der wissen wollte, wo seine Mama war.

Ich weiß nicht, wieso er auf die Straße gerannt war, aber ich wusste, dass er nur so tat, als wäre ich gegen ihn gefahren. Mein Herz hatte sich wieder vollkommen beruhigt und obwohl ich etwas sauer auf den Jungen war, dass er mir so einen Schrecken eingejagt hatte, musste ich mir ein Grinsen unterdrücken. Ich verstellte meine Stimme, als würde ich mir totale Sorgen um den Kleinen machen und lehnte mich etwas näher. >> Oh Gott! Bitte sag mir, dass es dir gut geht. Tut dir irgendetwas weh? <<

Er ließ seine Hand weiterhin auf seinen Augen und flüsterte nun: >> Mein Bein und mein Handgelenk tun mir weh! Aber bitte! Bitte nicht ins Krankenhaus. Mein Bruder wird solche Angst um mich bekommen  <<

Vielleicht war es keine gute Idee, doch ich konnte den Jungen nicht einfach auf der Straße liegen lassen, oder sonst was, auch wenn seine Familie, wer weiß, was für Leute waren. Ich atmete tief durch und schob meine Arme unter seinen Rücken und seine Beine. >> Wenn ich dir wehtue, sag es. Ich bringe dich nach Hause. << Er protestierte nicht, als ich ihn hochhob und auf den Beifahrersitz beförderte. Ich schnallte ich an und stieg ebenfalls ein. Nun musste ich wirklich auf meine Fahrweise achten, da er eigentlich einen Kindersitz bräuchte.

Ich hatte mir die Strecke weitestgehend gemerkt und fuhr erstmal in die Richtung des Waldes. >> Zuhause müssen wir die Stellen kühlen, ich habe nämlich keine äußeren Verletzungen gesehen. Wieso bist du denn auf die Straße gerannt <<, wollte ich dann wissen.

Der Junge blickte mich an. >> Ich weiß es nicht. Ist einfach passiert. <<

Ob das so einfach passiert, bin ich mir nicht sicher, doch ich ging nicht näher darauf ein und schielte kurz zu dem Jungen. >> Wie heißt du eigentlich? <<

>> Juan. << Der Name passte im Moment wirklich, da der Herr wahrscheinlich tatsächlich gnädig gewesen war und ich ihn nicht umfahren musste. Hätte ich allerdings mehr aufgepasst, wäre ich nicht mal in die Nähe des Jungen gekommen. >> Dein Name ist Luz. <<

Eigentlich hätte ich ahnen können, dass er es weiß, dennoch war ich etwas überrascht.

Wusste er genauso viel wie Mateo? Wussten alle so viel über mich? Was ist, wenn sie noch mehr über mich wussten?

Ich hoffte inständig, dass wenigstens diese Sachen keiner wusste.

>> Weißt du noch etwas über mich? <<

>> Schon, ja. Aber eigentlich sollte ich nur deinen Namen wissen. Habe an der Tür gelauscht, als Alexei mit Mateo über dich gesprochen hat. << Nun war ich neugierig, falls es jedoch die Dinge waren, die mir Mateo schon erzählt hatte, kannte ich sie ja schon. Dennoch fragte ich nach, was er denn so gehört hatte. Natürlich erzählte er das, was ich schon wusste. >> Was ist Sex? <<

Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe, sah aber weiterhin auf die Straße. Bald würden wir da sein. >> Das weißt du nicht? << Gut, ich schätzte den Jungen auf sechs, vielleicht gab es da ja doch Themen, die sie erst später lernten. >> Na ja, also Sex ist eigentlich dazu da um Kinder zu bekommen, doch viele oder eigentlich alle machen das auch, wegen des Gefühls, was dabei entsteht. <<

>> Was ist das denn für ein Gefühl? << Ich spürte den neugierigen Blick des Jungen auf meiner Haut.

>> Ganz ehrlich? Du hast ja gehört, dass ich schon Sex hatte, aber dieses Gefühl habe ich noch nie wirklich erlebt. Also kann ich es dir nicht ganz beschreiben. Aber es soll sich wie eine Erlösung oder halt gut anfühlen. << Dass mir diese bestimmten Bilder, dieser einen Nacht, erst jetzt vor Augen geführt wurden, und nicht schon bei der Ansprache meines Sexlebens, machte mich zum einen etwas stolz auf mich, da es für mich bedeutete, dass ich es schon etwas verarbeitet hatte. Zum anderen kamen wieder diese Übelkeitsgefühle hoch, doch Juan lenkte mich mit einer weiteren Frage ab – zumindest fast.

>> Und wie geht das? <<

>> Meinst du Kinder bekommen oder Sex? <<

>> Ist das nicht das gleiche? <<

>> Na ja, Sex hat man um Kinder zu bekommen, aber es muss nicht immer funktionieren. Also ich erkläre es nur grob, du lernst das sicher noch ausführlicher. Wir Frauen haben ja eine Vagina, also so nennt man das bei uns, was bei euch Männern der Penis ist. Die beiden werden aus Leidenschaft << ich stockte kurz, da es nicht immer stimmte, schluckte schwer und fuhr dann weiter. >> zusammengeführt. Ja dann bewegt man sich halt und wenn es funktioniert hat, dass beide glücklich wurden, bekommt man nach neun Monaten ein Baby. Aber es gibt auch Methoden, um das zu verhindern. << Endlich konnte ich die große Einfahrt sehen und die Bilder verschwanden ganz. Das Tor wurde geöffnet, ohne dass uns jemand anhielt oder nachsah, wer wir waren. Am liebsten hätte ich Juan einfach hier aussteigen lassen, doch er war ja verletzt.

Ich fuhr durch die Einfahrt und blieb einfach mitten auf dem Gelände, oder was das war, stehen. >> Da sind wir. Wie alt bist du eigentlich? << Ich wollte mehr von ihm wissen, nicht nur, weil sie von mir so viel wussten, einfach wegen des Themas, das wir besprochen hatten.

>> Acht. <<

Mein Kopf fuhr zu ihm herum. So sah er gar nicht aus. >> So alt und dennoch wusstest du nichts über- << ich unterbrach mich selbst, als ich sein schelmisches lächeln bemerkte. Ich blickte ihn durch fast geschlossene Lider an. >> Wieso hast du gefragt, wenn du es entscheidend schon kennst? <<

>> Ich wollte es von dir hören. << Ich schüttelte fassungslos über diesen Jungen meinen Kopf, der mir erst so jung erschienen war und stieg aus, um ihn aus dem Auto zu heben. Auch wenn er schon acht war, war er dennoch klein und leicht. Er schlang seine Arme um mich, während ich ihn fast auf meiner Hüfte sitzend zu der Tür der Villa trug.

Ohne dass ich anklopfen musste, wurde mir die Tür von einem der Wachen geöffnet und direkt dahinter stand auch schon der Mann mit den grünen Augen. Ich blinzelte, um mich zu fangen. >> Es tut mir leid, ich habe Juan an- << Bevor ich meinen Satz zu Ende sagen konnte, legte mir Juan seine Hand auf den Mund und schaute Alexei mit einem Hundeblick an.

>> Ich wollte wirklich nicht wegrennen. Entschuldige aber da war ein Vogel, der mir etwas geklaut hatte und dann war ich plötzlich keine Ahnung wo ich war. Da kam dann Luz und hat mich gesehen. Sie ist wirklich toll und hat mich wieder Heim gebracht. Ist sie nicht schön? << Unerwartet drückte er mir einen Kuss auf die Wange und lächelte mich an. Ich grinste in genauso an und legte meinen Kopf leicht schief.

>> Danke. Und natürlich habe ich dich nach Hause gebracht, oder hätte ich dich da alleine lassen sollen? << Ich ließ ihn runter und er lief gleich ins Haus. Dass er sich die Geschichte nur ausgedacht hatte, war nicht nur mir klar. Ich sah Alexei in seine durchdringenden Augen, die mich ungezwungen anstarrten. Sein Blick glitt meinen Körper auf und ab und ich hatte das Gefühl, dass sich dort, wo seine Augen hinsahen, eine Gänsehaut bildete.

>> Ein interessantes Kleid. <<

Ich zog eine Augenbraue hoch. >> Ja, interessant. <<

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Ist Juan nun ein Engel oder ein Teufel?

Wieso ist er da hingerannt und hat sich vor ihr Auto quasi geschmissen?

Was wird als Nächstes passieren?

The devil's green eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt