10. Diablo

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Alexei ließ seine Augen immer noch über meinen Körper wandern und verharrte bei meinen Oberschenkeln, die wegen des roten Kleides nur halb bedeckt waren. Ich konnte nichts aus seinem Blick ablesen, bis sich jemand hinter mir räusperte. Ich drehte mich nicht zu dem Mann um, der sich neben mich stellte. >> Wie ich sehe, bis du vor mir angekommen. << An der Stimme erkannte ich schon, dass es Mateo war. Aber wieso sagte er das so selbst verständlich, als hätten wir uns abgesprochen? >> Ich dachte, du bräuchtest noch etwas. Hast du etwa nicht den Krankenwagen gerufen? <<

Ich löste meinen starren Blick nach vorne und sah Mateo finster in die Augen. >> Hast du dem Kleinen das ins Ohr gesetzt? << Es war schwer, meine Wut, die sich einen Weg nach außen bahnte, zu unterdrücken.

>> Was meinst du mit Krankenwagen, Mateo <<, die Frage klang eher, wie eine Drohung aus Alexeis Mund.

Mateo stand jedoch fast schon lässig neben mir, fehlte nur noch, dass er seinen Arm um mich legte, als wären wir schon alte Freunde. Und genau das tat er auch. Ich versteifte mich unwillkürlich als sein Arm meine freie Schulter berührte. >> Ach, ist doch nichts passiert. Wir haben nur etwas, wie soll ich sagen, gespielt? << Ich bekam nicht ganz mit, was er sagte, denn seine Berührung sendete Signale an mein Gehirn, dass ich auf der Stelle rennen sollte. Oder noch besser, seinen Arm abreißen, sodass er es nicht mehr wagt, mich zu berühren. Jedoch tat ich keines von beiden.

Ich war wie gelähmt. Waren drei Monate nicht lang genug, um so etwas zu verarbeiten? Was sollte ich nun machen? Ich konnte mich nicht rühren.

Was sie sagten, hörte ich auch gar nicht mehr. Ich wollte etwas tun, irgendetwas, egal was, Hauptsache etwas.

Doch ich tat nichts.

Erst als ich wieder kühle Luft an meiner Schulter spürte und aus dem Augenwinkel sah, wie beide mich anstarrten und Alexei einen Schritt auf mich zu machte, drehte ich mich um und ging schnellen Schritts zu meinem Auto. Ich achtete auf gar nichts mehr und drückte einfach nur das Gaspedal durch. Das Tor war mittlerweile schon zu und ich dachte gar nicht dran zu warten, bis es geöffnete wurde. Nicht mal dachte ich daran, dass sie es gar nicht vorhatten zu öffnen. Doch dann wurde es geöffnet und ich raste einfach durch und fuhr knapp meine Seitenspiegel ab. Diesmal achtete ich nicht auf meine Geschwindigkeit, auf meine Umgebung oder sonst etwas. Auch vergaß ich, dass ich gar nicht angeschnallt war. Der Weg zu meinem Haus fühlte sich an wie Sekunden. Ich blieb mitten auf der Einfahrt stehen und fiel schon aus dem Auto, als ich die Tür öffnete. Ich stolperte zu der Haustür und schaffte es fast gar nicht, diesen verdammten Schlüssel in das Schloss zu bekommen, da ich so zitterte.

Als ich es endlich schaffte und den Schlüssel herumdrehte, knallte ich die Tür hinter mir zu und ging auf wackeligen Beinen hoch in mein Zimmer. Dort brach ich dann zusammen.

Tränen rannten mir unaufhörlich über die Wangen. Ich rutschte an der Tür herunter, weil meine Beine mich nicht mehr halten konnten. Meine Hände verkrallten sich in meine Haare und Schluchzer krochen nur so aus mir heraus.

Ich wollte schreien, etwas zerstören, mich zerstören.

Ich fing an, an meinen Haaren zu ziehen, um diese Gedanken, die Bilder, das Gefühl aus mir heraus zu bekommen. Doch nichts half.

Erst als ich zusammenzuckte, weil etwas Weiches sich an mich schmiegte und ich Diablos schnurren hören konnte, wurde ich leiser.

Es beruhigte mich. Er beruhigte mich.

Ich ließ ihn auf meinen Schoß klettern und streichelte ihn, um mich zu beruhigen.

So wie damals.

Als ich fast alles beendet hätte. Er war da.

Als ich aufgelöst war und einfach nichts mehr tun wollte. Er war da.

Als ich eine Panikattacke hatte. Er war da.

Er war der einzige, der da gewesen war. Aber das war auch gut so, kein andere sollte schließlich davon wissen.

So wie jetzt. Er war für mich da.

Beruhigte mich, bis ich einschlief.

*

Mein Nacken schmerzte, als ich wach wurde. Alles schmerzte. Meine Augen fühlten sich geschwollen an, mein Körper verschwitzt und meine Haare zerzaust. Ich öffnete meine Augen und blinzelte. Noch immer lehnte ich an meiner Tür und Diablo lag auf meinem Schoß. Ich musste lächeln, da auch die anderen drei Katzen, sich an mich gekuschelt hatten. Wir waren alle in meinem Zimmer. Ich streichelte Diablo, um ihn wach zu bekommen, doch er schlief tief und fest. Mein Lächeln wurde weniger, doch es verschwand nicht ganz.

Er schlief. Tief und fest.

Für immer.

Mein Herz schmerzte. Diablo einfach gehen zu lassen, war schrecklich für mich. Er war in meinen schlimmsten Moment bei mir gewesen, so wie ich bei ihm war, als ich ihn in einer Gasse gefunden hatte. Da war ich neun.

Er war bei mir gewesen, um mich zu trösten, in seinen letzten Augenblicken.

Ich streichelte Sol, Florette und Menta, die schnell wach wurden und Diablo traurige ansahen. Tiere haben auch Gefühle. So viel war mir schon immer bewusst gewesen.

Ich stand vorsichtig mit Diablo im Arm auf und legte ihn auf mein Bett. Ich holte schnell einen Karton aus meinem Schrank und wickelte Diablo mit seinem Lieblingsspielzeug in seiner Decke ein. Mit Diablo im Karton und den drei Katzen, die mir auf den Versen folgten, ging ich in den Garten. Dort grub ich an einer schönen Stelle unter einem Busch, wo die Erde lockerer war, mit den Händen ein Loch. Es war mir egal, dass ich dreckig wurde und meine Fingernägel einrissen. Ich grub so lange, bis die Sonne am Untergehen war und die Mulde endlich groß genug. Die Katzen ließen mich nicht alleine und sahen sogar dabei zu, wie ich den Karton in das Loch stellte und es mit Erde bedeckte. Wir saßen noch eine Weile davor.

Dann stand ich auf, bedankte mich bei Diablo für alles und ging zurück ins Haus. Auf dem Hof blieb ich jedoch noch einmal stehen und blickte mein zerschrammtes Auto an. Ich hatte zwar nichts abgefahren, dafür war aber an vielen Stellen der weiße Lack ab. Ich ging zu dem Auto, legte meine mit Erde bedeckte Hand darauf und entschuldigte mich aufrichtig. >> Ich werde mich gleich um dich kümmern, immerhin habe ich ja keine Arbeit mehr. Aber erst gehe ich duschen. << Ich lief schnell in mein Zimmer und zog mich im Bad aus, um mich schnell zu duschen. Leider wurde aus dem schnell ein langsam und ich blieb unter dem angenehm Wasser stehen. Tränen bildeten sich in meinen Augen und ich ließ sie einfach laufen.

Es war zu viel. Ich hatte nicht nur keinen Job mehr, ich hatte auch Dinge erfahren, die mich aufwühlten, neben den Dingen, die mich ohnehin schon eine ganze Weile aufwühlten. Außerdem war Diablo Tod. Er war wirklich Tod.

Es drang kein Schluchzer aus meiner Kehle, nur meine Tränen ließen eine ganze Zeit nicht nach. Erst als ich ein Klopfen an meiner Tür hörte und Oma ins Bad kam, stellte ich das Wasser aus und wickelte mich in ein Handtuch. >> Dein Auto sieht aber gut aus. Was ist passiert? <<

Ich konnte nichts sagen, meine Kehle wahr wie zu geschnürt. Nur das eine drang aus meinem Mund. >> Diablo ist gestorben. <<

Omas Blick wurde traurig, da sie den Kater genauso sehr mochte wie ich. Sie schloss mich in ihre Arme und ich sie in meine. >> Es tut mir leid. <<

>> Mir auch. <<

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Falls ihr das doof findet, dass Diablo gestorben ist, tut es mir Leid – aber das musste sein. Ihr werdet später erfahren, wieso. Er hat aber immerhin sein Leben gelebt.

Wir haben den 31.12.2022! Ich wünsche euch einen guten Start ins Jahr 2023!

The devil's green eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt