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A U R O R A

~ Ich sah in Logan's schmerzverzerrtes Gesicht, sah wie die Flammen seine Kleidung und das Fleisch an seinem Rücken zerfraßen. Es war schrecklich und tat beim Zusehen fast genauso weh. Er fiel in Ohnmacht und sank zu Boden. Balken krachten, Funken sprühten, um mich herum überall Feuer. Mein Gesicht war heiß, ein Schweißfilm legte sich auf meine Stirn. Meine Augen brannten, meine Lunge füllte sich mit Rauch, sodass ich unaufhörlich husten musste. Und ich musste Logan schleppen, zerrte ihn hinter mir her in die Küche. Vergebens rüttelte ich an der Hintertür. Sie war verschlossen und ich konnte nirgends einen Schlüssel finden. Auch wenn ich das Feuer an Logan löschen konnte, verpesteten uns die giftigen Gase und wir saßen fest.
Es gab kein Entkommen.
Dabei wusste ich immer noch nicht, ob mein bester Freund noch am Leben war.
Ich sah wie das Feuer die Küchentür zum Einsturz brachte und seine Flammen wie züngelnde Schlangen auf mich zu krochen. Dann fiel der schwarze Vorhang, als wäre eine Vorstellung in einem Theater zu Ende, nur dass dieser meistens rot war, und ich hörte noch für eine Weile meinen rasselnden Atem. ~

Ich spürte langsam, wie mein Bewusstsein wieder zu mir zurückkam. Dumpfe Geräusche, die ich nicht richtig zuordnen konnte, lenkten meine Sinne. Ich war mir nicht ganz sicher, aber ich glaubte sogar ein paar Stimmen zu hören, die aber sehr weit entfernt von mir waren.
Bin ich tot? Fühlte sich das etwa so an? Tat einem nach dem Tod immer noch alles weh? Schrecklich. Ich dachte es wäre friedlicher – wurde einem zumindest immer eingeredet. Ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern, als mein Opa starb. Meine Mutter sagte mir, er würde schlafen und an einen friedlichen, wunderschönen Ort gehen, wo er auf alle aufpassen konnte, wie ein Engel. Wahrscheinlich erzählte man das einem fünfjährigen Kind so, damit es keine Angst haben musste. Ich bin jetzt neunzehn und ich habe Angst.
Was ist mit mir? Dieses Unbehagen und Ungewisse brachte meine schwachen Augenlider zum Flattern und es dauerte nicht lange, dann konnte ich grelles Licht wahrnehmen, das mir wie Nadeln in die Augen stach. Es dauerte dennoch bis ich sie ganz öffnen konnte und realisierte, dass ich nicht tot war.
Vor mir lagen meine Beine unter einer einfachen weißen Decke, am Fußende meines Bettes hingen meine Sachen, die ich während des Feuers getragen hatte. Weiter hinten hing an einer grässlichen gelben Wand ein Fernseher und als ich es wagte meinen Kopf etwas zu drehen, erkannte ich einen großen Nachtisch, auf dem eine Flasche Wasser und ein Glas stand.
Krankenhaus.
Ich war im Krankenhaus.
Wie hatte ich überlebt? Wie?!
Ich war gefangen und niemand hatte gewusst, wo ich war, niemand wusste, wo ich mich befand. Niemand. Das Feuer hatte mich doch praktisch schon erreicht und in seinen Klauen zerfetzt!
„Schatz! Mein Baby! Du bist wach." Eine zärtliche Stimme tauchte rechts neben mir auf. Meine Mutter. Sie sah so erschöpft aus, ihr Gesicht war müde, Augenringe lagen ihr über den Wangenknochen, die sie nicht mal versucht hatte, mit Schminke zu überdecken.
„Wie geht es dir?", fragte sie und das Wasser stand ihr in den Augen. Mein Vater stand hinter ihr und griff nach meiner Hand, drückte sie zärtlich, als hätte er Angst etwas kaputt zu machen. Verwirrt und überfordert huschte mein Blick zwischen meinen Eltern hin und her.
„Wie habe ich überlebt?" Diese Frage brachte meine Mutter nun gänzlich zum Weinen, sodass mein Vater antworten musste.
„Schatz, du hast unglaublich großes Glück gehabt. Die Einsatzkräfte fanden dich in sicherer Entfernung vom Café. Du hast es rechtzeitig raus geschafft, bevor das Gebäude in sich zusammenstürzte", er lächelte und eine Träne floss jetzt auch ihm über die Wange. Ich starrte ihn an. Nein, nein, nein. So war das nicht.
„So war das nicht!", sagte ich etwas zu laut, sodass die beiden erschraken, „So war das nicht! Ich war gefangen! In der Küche, die Flammen..." Meine Stimme brach.
„Aurora, hey Schatz, reg' dich nicht auf. Du musst dich ausruhen." Die Hand meiner Mutter strich mir liebevoll über die Stirn. Aber das beruhigte mich ganz und gar nicht. Ich hatte mein Gedächtnis nicht verloren und aus dem Gebäude war ich nicht selbst herausgekommen! Ich war ohnmächtig geworden und Logan...
„Wo ist Logan? Was ist mit ihm?" Mein Herz zog sich zusammen, wenn ich an ihn dachte und an das Feuer, dass sich an ihm zu schaffen machte.
Die Augen meiner Eltern wurden trüb und sie sahen sich unsicher an. Ich setzte mich, plötzlich mit neuer Energie voll gepumpt, aufrecht, meine Hände krallten sich in das Bettlagen.
„Sie konnten ihn nicht retten. Er war bereits tot, als die Feuerwehr ihn fand. Er starb an einer starken Rauchvergiftung. Es tut uns so leid", flüsterte meine Mutter, doch es klang weit entfernt. Ich war unfähig mich zu bewegen, meine Arme und Beine wurden schwer, mein Herz schmerzte.
„Nein, nein, nein!!!", schrie ich und ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich strampelte die Wut und die unendliche Trauer, die jetzt auf mich einstürzte in die Bettdecke und boxte sie in die Matratze. Nicht Logan! Er war mein bester Freund, so gut und lieb. Ihm durfte so etwas nicht passieren. Nicht ihm, nicht Logan!
Meine Eltern versuchten mich festzuhalten, meine Mutter rief verzweifelt nach einem Arzt, welcher dann ins Zimmer stürmte und bei meinem Anblick Panik bekam. Dann spürte ich etwas Spitzes in meinem Arm, dann einen drückenden Schmerz und schließlich nichts mehr.

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