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A U R O R A

Nach 25-mal anziehen, im Spiegel drehen und wieder ausziehen, setzte ich mich seufzend auf mein Bett und war schon fast verzweifelt.
Sonst hatte ich nie Probleme mit dem, was ich anziehen sollte. Ganz anders als Cece. Sie brauchte wirklich mehrere Stunden, um sich für einen Abend fertig zu machen. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, wie ich aussah.
Ich musste mich auch nie bemühen, für mich hatte sich irgendwie nie jemand interessiert. Umso mehr schmunzelte ich über die Ironie, dass es jetzt gleich zwei Männer waren. Nur dem einen musste ich wegen dem anderen das Herz brechen.
Finn würde in einer Stunde vor meiner Tür stehen und ich hatte noch nicht mal ansatzweise etwas, was ich anziehen konnte.
Ist wusste ja nicht mal, wo wir hingehen würden. Er wollte mir nichts verraten, als ich ihm heute eine Nachricht geschrieben hatte.
Mit einem letzten Blick in meinen Schrank, beschloss ich erst mal ins Bad zu gehen und stellte mich unter die Dusche.
Ich war nervös.
Sehr nervös.
Klar, wir waren schon mal aus, aber da lernten wir uns kennen.
Jetzt war es anders. Jetzt kannten wir uns und ich ertappte mich bei dem Gefühl, als würde ich ihn schon ewig kennen. Aber ich mochte dieses Gefühl und es ließ mich augenblicklich lächeln.
Das Wasser prickelte auf meiner nackten Haut und ich musste daran denken, wie sich Finn's Hände auf meinem Körper angefühlt haben.
Sie verursachten die schönsten Stromschläge, die ich mir hätte vorstellen können und ich wurde süchtig danach.
Meine Adern pulsierten, wenn ich daran dachte, wie er über mir lehnte und ich ihn so nah an mir hatte spüren können. In meinem Bauch tobten noch immer Schmetterlinge, wenn ich an diesen Moment mit ihm dachte.
Nachdem ich duschen war, machte ich mich wieder an meinem Schrank zu schaffen, bis ich ein schlichtes Sommerkleid fand, das ich seit Jahren nicht mehr getragen hatte.
Ich zog es an und trug ein bisschen Schminke auf, sodass ich mit meinem Gesamtbild ganz zufrieden war.
Meine Eltern waren mit meinem Bruder auf einer Geburtstagsfeier, sodass sie nicht wieder eine große Show machten, wenn Finn an der Tür klingeln würde. Und darüber war ich sehr froh.
Ja, sie waren sehr neugierig und waren froh darüber, dass ich mit einem Jungen ausging, aber sie mussten es nicht unbedingt übertrieben zeigen.
Und schon klingelte es an der Tür und mein Herz erhöhte die Frequenz automatisch.
Ich atmete tief durch, sah ein letztes Mal in den Spiegel und ging zur Haustür.
Als ich sie öffnete musste ich tief einatmen, wobei ich hoffte, dass es Finn nicht auffiel.
Doch zu meiner Erleichterung schaute er vermutlich genauso, wie ich.
Er stand vor mir, in einem schicken dunkelblauen Polohemd und einer weißen Jeans.
„Wow", seufzte er und kratzte sich am Nacken, während seine Augen an meinem Körper auf und ab wanderten, „Du siehst toll aus."
Sofort verursachte der Mann vor mir bei mir ein Lächeln und er lächelte automatisch mit.
„Du siehst auch sehr gut aus", gab ich schüchtern zu und wusste ehrlich gesagt nicht, wie ich mich verhalten sollte. Diesmal war es ganz anders, als beim ersten Mal. Wir hatten einiges zusammen erlebt, hatten uns geküsst und miteinander geschlafen. All das stand jetzt zwischen uns und brachte die Luft zum Knistern.
„Bist du soweit?", fragte er und hörte gar nicht mehr auf, zu lächeln. Ich nickte schnell und folgte Finn zu seinem Auto, wo er mir die Tür offenhielt.
Ich stieg ein und wartete, bis er um das Heck gelaufen war und ebenfalls einstieg. Ich war ein bisschen aufgeregt, da ich nicht wusste, wo wir hinfahren würden.
Finn startete den Motor und wir fuhren los.
„Wo fahren wir nun hin?", fragte ich, da ich es kaum erwarten konnte, auch, wenn ich die Zeit, in der ich einfach nur bei ihm war, sehr genoss.
„Sie sind ganz schön neugierig, Madame. Würden Sie sich bitte noch ein wenig gedulden?" Seine Augen musterten mich für einen kurzen Moment und sahen mich verspielt an.
„Wie förmlich Sie doch heute sind"; spielte ich mit. Wir fuhren eine lange Straße entlang und waren schon seit einer halben Stunde unterwegs, bis wir eine kleine Stadt erreichten.
Wir suchten uns einen Parkplatz und stiegen aus, wo ich feststellen musste, dass ich diese kleine Stadt noch nicht kannte.
Finn kam zu mir herüber und nahm meine Hand. Ich versuchte währenddessen zu begreifen, was zwischen uns passiert war. Ich würde zu gern wissen, was seine Meinung geändert hatte. Was hatte sich geändert, dass er mich nun doch bei sich haben wollte?
Ich ließ mich von ihm durch die kleinen Straßen führen, in denen viel los war. Kleine Läden stellten an den Hauswänden kleine Kunstwerke aus oder verkauften noch das letzte frische Obst, was an diesem Tag noch übrig war.
Ich fühlte mich, als wären wir in unserer eigenen kleinen Welt, wo niemand uns stören konnte und, wo alle Sorgen von uns fern blieben.
Ich genoss, wie unsere Hände sich ineinander schmiegten. Ich liebte schon jetzt diesen Abend und wollte augenblicklich noch viele weitere solcher Abende mit ihm verbringen.
Die Luft war mild und warme Luftzüge streiften immer mal wieder meine Haut.
Wir bogen in eine enge Gasse ein und blieben vor einem kleinen Restaurant stehen, dessen Name auf italienisch verwies.
Es war wirklich gemütlich drin und es waren nicht viele Leute da. Wahrscheinlich saßen die meisten in den größeren bekannten Restaurants, an denen wir vorbeigelaufen waren.
„Hier gefällt es mir wirklich sehr", murmelte ich und gesellte mich zu Finn an den kleinen Tisch, direkt am Fenster.
„Und das freut mich sehr", schmunzelte er und sah mich mit seinen schönen bernsteinfarbenen Augen an.
Ich nahm die Karte und wir sahen uns stillschweigend die Gerichte an. Ich spürte, dass etwas anders war, keiner von uns wollte etwas falsch machen und ich betete innerlich immer wieder darum, dass er mich nicht wieder wegstieß und nichts mehr mir mir zu tun haben wollte.
Ich wollte, dass es genauso blieb, wie es jetzt war und nichts sich verändern würde. Er sollte bei mir bleiben und mich nie wieder verlassen. Egal, welche Geheimnisse er vor mir hatte oder was auch immer das war, was er mir verschwieg. Ich hatte das Gefühl, dass wir alles gemeinsam schaffen konnten.
Ein Kellner kam zu uns an den Tisch und setzte sein bestes Lächeln auf, wahrscheinlich, weil wir die Einzigen hier waren, abgesehen von einem einzelnen Mann an der Bar.
Finn und ich bestellten unsere Wünsche und der Kellner verließ uns wieder mit einem süßen Nicken.
Am liebsten würde ich Finn jetzt danach fragen, was ihn umgestimmt hatte, aber andererseits wollte ich diesen schönen Abend nicht zerstören.
„Also, was hast du dieses Wochenende noch so vor?", fragte mich Finn und sah mich intensiv an. Schon seit ich diese Augen das erste Mal gesehen hatte, hatte ich mich in ihnen verloren.
Mir kam es vor, als wäre das eine Ewigkeit her gewesen.
„Weiß nicht, ich habe noch keine Pläne, warum?", antwortete ich und lehnte mich ein wenig zurück, als der Kellner unsere Getränke brachte. Finn bedankte sich und starrte den Kellner kurz mit einem warnenden Blick an.
„Was war denn jetzt?", fragte ich, als der junge Kellner wieder verschwunden war.
Finn sah mich ein bisschen verlegen an.
„Ich muss zugeben, mir hat es nicht gefallen, dass er dich länger angestarrt hatte, als es nötig war."
Ich musste sofort lächeln und spürte, wie ich rot wurde.
„Du weißt hoffentlich, dass ich mich für niemand anderen interessiere", gab ich zu und musste feststellen, dass er jetzt schluckte und ein Grinsen seine Lippen umspielte.
„Das gefällt mir schon viel besser." Finn sah mich eindringlich an und nahm einen Schluck von seinem Cocktail, den er sich bestellt hatte. Dabei beobachtete er mich über den Glasrand weiterhin und die Flüssigkeit spiegelte sich in seinen Augen.
Dann wurde unser Essen gebracht und diesmal achtete der Kellner darauf, die Augen von mir zu lassen.
Finn und ich mussten lachen, als er wieder weg war.
Und ich liebte sein Lachen. Tief und etwas rau, etwas kratzig an seinem Kehlkopf.
Als wir aßen, redeten wir über alles, was man sich vorstellen konnte. Er erzählte von seiner Arbeit im IT-Bereich und ich erzählte ihm von meinen Eltern und meinem Bruder. Ich war froh, dass er mich nicht so viel über Logan ausfragte. Wenn ich an ihn dachte, kamen mir immer noch sehr oft die Tränen und ich wollte nicht hier sitzen und weinen.
Wir saßen, bis die Sonne schon langsam unterging und wir hörten nicht auf uns zu unterhalten. Es war, als würde ich Finn schon ewig kennen.
Wir lachten zusammen und tranken noch ein bisschen was. Mir gefiel seine Art immer mehr und ich fühlte mich ihm so nah, wie noch nie zuvor. Abgesehen von unserer gemeinsamen Nacht, welche mir immer noch Gänsehaut bereitete, wenn ich daran dachte.
So etwas hatte ich zuvor noch nicht gefühlt, aber ich war mir sicher, dass ich mich in den geheimnisvollen Mann, vor mir, verliebt hatte.

SCHUTZENGELWo Geschichten leben. Entdecke jetzt