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A U R O R A

Ich stand immer noch in meinem Handtuch eingewickelt im Zimmer. Seine Berührung war so unerwartet, aber sie ließ es in meinem Bauch kribbeln, sodass ich augenblicklich mehr davon wollte. Mehr von ihm.
Nachdem ich meine Haare getrocknet hatte, ging ich zu den anderen, die schon das Essen auf den Grill geworfen hatten, was mir einen herrlichen Duft in die Nase wehte.
Cece und Alec unterhielten sich, Nathan stand am Grill. Und wo war Finn?
Doch dann entdeckte ich ihn, allein am Ufer, im hohen Gras.
Meine Füße führten mich ganz automatisch zu ihm. Ich hatte das Bedürfnis ihm auch diese Gefühle zu bescheren, die er soeben in mir verursacht hatte.
„Was macht der mysteriöse Kerl, allein am Wasser?", neckte ich ihn und stellte mich dicht neben ihn. Finn grinste und ich stellte fest, dass ich dieses Grinsen jetzt schon liebte und es von überall wiedererkennen würde.
„Was ein mysteriöser Kerl eben so macht."
„Und was macht der so?"
„Mysteriös sein", lachte er, worauf ich ihn gegen die Schulter schubste.
„Warum bist du manchmal so verschlossen?", hakte ich nach.
„Ein offenes Buch wäre doch langweilig. Du musst schon jede Seite einzeln erforschen."
Seine Augen sahen mich fordernd an, sodass sich in meinem Bauch sofort Wärme breit machte.
„Dann werde ich das eben tun", jetzt war ich diejenige, die grinste.
Plötzlich kam er ganz nah, sodass ich seinen Atem an meinem Ohr spüren konnte, der leicht auf meiner Haut kitzelte.
Ich schnappte augenblicklich nach Luft und biss mir leicht auf die Unterlippe.
„Vielleicht gefällt es dir aber gar nicht, wer ich bin", flüsterte Finn und bei seiner rauen Stimme lief mir ein angenehmer Schauer über den Rücken, was mir eine Gänsehaut unterbreitete.
Bevor er sich wieder entfernen konnte, griff ich seine Lederjacke und zog ihn sanft wieder zu mir heran.
„Aurora... Nicht...", seufzte er und spannte seine Kiefermuskeln an. Er betrachtete mich lustvoll und es sah so aus, als könnte er sich kaum beherrschen.
„Genau das muss ich herausfinden." Ich spürte, wie angespannt er war, ich sah es in seinem Blick.
„Essen ist fertig!", rief Cece von der Terrasse aus und ich löste mich schnell von Finn. Was war nur los mit mir? So war ich noch nie drauf gewesen. Doch bei ihm fiel es mir leicht, so zu sein. Ich versuchte ihn zu verführen, bei jedem anderen wäre ich viel zu schüchtern dafür.
Finn räusperte sich und wir gingen zu den anderen, wo uns Alec mit finsterem Blick musterte. Auch, dass ich mich neben Finn setzte, schien ihm ganz offensichtlich unter die Haut zu gehen.
Ich packte schnell meinen Teller voll und versuchte, ihn zu ignorieren.
Alec ließ uns die ganze Zeit, während des Abendessens nicht aus den Augen. Als wir fertig waren, nahm ich ihn zur Seite und wir setzten uns auf das große weiße Ledersofa im Wohnzimmer.
„Alec, was ist dein Problem?", herrschte ich ihn an.
„Ich mag es einfach nicht, wie er sich an dich ran schmeißt!" Er sah auf seine Hände, die er ungeduldig verschränkte.
Überrascht, sah ich ihn an. So war es ja wohl nicht.
„Finn schmeißt sich überhaupt nicht an mich heran." Ich funkelte ihn wütend an. Auf solche Streitereien hatte ich keine Lust.
„Siehst du denn nicht, wie er dich anschaut? Aurora, er kann die Augen nicht mehr von dir lassen!"
Ich saß da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Natürlich hatte ich bemerkt, dass Finn immer mal zu mir herüber sah, aber ich dachte, vielleicht hatte ich mir das ja nur eingebildet.
„Was ist, wenn ich sage, dass es mir gefällt?", setzte ich ihm entgegen, worauf Alec schnaubte.
„Alec, du solltest jetzt mal aufhören, ein Drama anzuzetteln", sagte Cece trocken, während sie mit den anderen beiden zu uns hereinkam, „Trink lieber was, dann entspannst du dich." Sie hielt ihm einen Becher hin und ließ sich auf das gegenüberliegende Sofa fallen.
„Wir spielen jetzt lieber eine Runde Wahrheit oder Pflicht." Sie klatschte in beide Hände. Es war ihr Lieblings- Partyspiel, da sie immer die Chance hatte, einen süßen Typen abzuknutschen.
Nathan trank schnell seine Bierflasche aus und legte sie in die Mitte des kleinen Couchtisches.
Es traf natürlich als erstes mich. Warum spielte ich nochmal mit? Cece fragte mich, was ich wählte.
„Wahrheit."
„Warst du schon mal richtig betrunken?"
„Einmal", Finn schmunzelte in sich hinein, ich hatte ihm ja gestern davon erzählt.
„Gut, das wusste ich eigentlich schon, aber wir können ja erstmal mit etwas Harmlosen starten", feixte Cece und und drehte die Flasche, die bei Alec ihren Drehwurm beendete.
„Pflicht."
„Küsse jemanden aus der Runde."
Mein Herz setzte kurz aus, als sein Blick auf mich fiel. Tu' das nicht, flehte ich ihn im Stillen an.
Doch dann ging er einfach zu meiner besten Freundin und presste seine Lippen auf ihre. Da sie scheinbar mit jedem rummachte, schien es ihr nichts weiter auszumachen.
Nachdem Alec mit seiner Pflichtaufgabe fertig war, drehte er die Flasche und sie stoppte bei Nathan. „Wahrheit oder Pflicht?"
„Wahrheit."
„Hast du gerade eine Flamme?"
Nathan wurde plötzlich verlegen und es sah so aus, als würde er tatsächlich ein bisschen rot werden.
„Ich habe vor kurzem jemanden kennengelernt. Sie studiert mit mir an der Uni. Mehr verrate ich euch nicht."
Cece boxte ihn empört in die Seite. „Warum erzählst du mir so etwas nicht?!", protestierte sie, woraufhin ihr Bruder nur mit den Schultern zuckte und grinste. Nathan hatte immer mal jemanden im Auge, ich hatte es aber eigentlich schon aufgegeben gehabt, darauf zu warten, dass mal was Ernsteres entstehen könnte. Aber Nathan war noch nie so rot geworden, wenn er von jemandem erzählt hatte.
Um weiteren Fragen seiner Schwester auszuweichen, drehte er die Bierflasche und diesmal hörte sie bei Finn auf, sich zu drehen.
Nathan warf einen Blick auf mich und ich ahnte bei ihm nichts Gutes.
„Pflicht."
„Mach' mit Aurora rum, ohne sie zu küssen."
Finn und ich machten wahrscheinlich beide große Auge denn die anderen fingen an, zu kichern. Außer Alec, der ballte seine Hände zu Fäusten und seine Kiefermuskeln malten.
Finn zog mich zu sich nach oben und mein Herz schlug sofort schneller. Seine Augen blitzten in ihrem schönen Bernstein. Mir war ein bisschen unwohl, wenn alle zuschauten und stünde jeder andere vor mir, würde ich wahrscheinlich einen Rückzieher machen. Aber bei ihm blieb ich stehen und war wie gefesselt.
Er sah mich intensiv an, während er mit einem Finger sanft von meinem Handgelenk aufwärts strich, bis hin zu meinem Oberarm.
Cece quiekte und klatschte aufgeregt in die Hände. Finn reagierte nicht darauf, sein Blick galt allein mir. Seine Finger erreichten meine Schulter und krabbelten mein Schlüsselbein entlang. Meine Knie wurden weich, die Haut, wo er mich berührte kitzelte angenehm.
Dann kam er plötzlich mit seinem Gesicht näher, wanderte nur knapp an meinen Lippen vorbei. Ich wollte so sehr, dass er mich berührte, wollte, dass seine Lippen meine fanden und, dass sie sich vereinten und sich nie wieder losließen.
Sein Atem strich an meiner Wange entlang, bis zu meinem Ohr. Ich spürte die Gänsehaut und, wie meine Atmung instinktiv schneller wurde.
Langsam und behutsam verteilte er einzelne Küsse meine Halsbeuge entlang, während nun seine Hand meine Hüfte fand. Als ich gerade anfing, es zu genießen, entfernte er sich wieder und der Rausch war so schnell vorbei, wie er gekommen war.
Er setzte sich zurück auf das Sofa und sein Ausdruck war, als wäre gerade rein gar nichts passiert. Ich sah dagegen wahrscheinlich anders aus.
„Ich glaube, unserer kleinen Aurora hat das sehr gefallen", schmunzelte Nathan.
Finn wollte gerade die Flasche weiterdrehen, als Alec von seinem Sessel aufsprang.
„Ich habe keine Lust mehr zu spielen."
„Es ist doch nur ein Spiel!", rief ihm Nathan hinterher und verdreht genervt die Augen.
Stille trat in die Runde und ich senkte meinen Blick verlegen auf meine Hände, spürte noch immer Finn's Berührungen.
„Ich hau' mich aufs Ohr", seufzte Nathan und verließ ebenfalls das Wohnzimmer. Daraufhin gingen wir nun alle in unsere Schlafzimmer.
Zwischen Finn und mir lag eine unangenehme Stille. Ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte.
Er ging zum Fenster und ich sah, dass er mit irgendetwas haderte. Bereute er es jetzt, die Pflichtaufgabe angenommen zu haben?
„Ich hoffe, ich bin dir nicht zu weit gegangen", murmelte er, während er sich verlegen am Hinterkopf kratzte und mich ansah.
Meinte er das jetzt ernst?
„Nein, alles gut. Ich... fand es schön", flüsterte ich, als meine Stimme verschwand.
Seine Augen weiteten sich ganz kurz und er kam auf mich zu. Wieder drohte mein Herz Überschläge zu veranstalten und mein Blick haftete an seinen Lippen.
Auch seine Augen wechselten zwischen meinem Mund und meinen Augen hin und her.
Dann beugte er sich plötzlich zu mir herunter, bis seine weichen Lippen meine vorsichtig berührten.
Unwissend, was hier gerade passierte, schloss ich meine Augen und erwiderte den Kuss.
Seine Lippen bewegten sich langsam gegen meine und seine Zunge streichelte meine Unterlippe.
Ich gab mich ihm hin, so wie ich mich noch nie jemandem hingegeben hatte, fuhr mit einer Hand durch sein Haar und zog sachte daran, sodass er zischend einatmete.
Seine Hände platzierte er an meiner Taille und er zog mich noch näher zu sich heran.
Unser Kuss wurde fordernder und hungriger, ich schmiegte mich mit meinem Körper an ihn. Sein Duft umhüllte mich und jede einzelne Berührung erzeugte Stromschläge auf meiner Haut.
Seine Zunge fing an, mit meiner zu spielen, sein Atem kribbelte mir hauchzart im Gesicht.
Es war unbeschreiblich schön und ich wollte nicht, dass es aufhörte. So, wie mich Finn gerade küsste, hatte mich noch nie jemand geküsst. Das Kribbeln in meinem Bauch, das lodernde Feuer, das er in mir entfachte, fühlte sich unglaublich gut an.
Doch dann schob er mich von sich weg und der Kuss, der eben noch so leidenschaftlich war, war wie vom Wind verweht, als hätte es ihn nie gegeben.
Erschrocken sah ich ihn an. Hatte ich was falsch gemacht?
„Aurora, das geht nicht...", flüsterte er und schloss seine Augen, als würde er in seinem Inneren mit irgendetwas kämpfen.
„Warum nicht?", wollte ich wissen und kam ihm wieder ein Stück näher.
„Es liegt nicht an dir... Es liegt an mir. Ich kann das nicht."
Mein Mund stand mir offen, ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Was war hier gerade passiert? Was hatte ihn dazu gebracht aufzuhören?
Warum stieß er mich schon wieder von sich weg? Was war sein Problem?
Mit einem letzten Augenkontakt schnappte er sich sein Kissen und seine Bettdecke und wollte aus dem Zimmer gehen.
„Was machst du da?", fragte ich ihn, weil ich einfach nicht ergründen konnte, was in ihm vorging.
Er hielt in seiner Bewegung inne.
„Ich werde auf dem Sofa schlafen." Dann verließ er das Zimmer, ehe ich noch irgendetwas sagen konnte.
Mein Körper war wie taub, meine Augen starrten auf die verschlossene Zimmertür.
Alles in mir wollte einfach nur noch im Boden versinken.

SCHUTZENGELWo Geschichten leben. Entdecke jetzt