F I N N
„Was willst du?!", schrie ich mein Gegenüber an, dessen Gesicht noch blutüberströmt war, während meins schon zu heilen anfing.
„Dasselbe könnte ich dich auch fragen! Was hast du mit diesem Mädchen am Hut? Sie hätte schon längst in diesem Feuer sterben sollen!", knurrte der Mann und sein ekelhafter Geruch nach Zigaretten trug der Wind zu mir herüber.
„Was wollt ihr von ihr?!" Mein Blut pulsierte in meinen Adern, ich fühlte mich stärker als je zuvor. Was auch immer sie mit Aurora vorhaben, sie werden sie nicht bekommen. Nur über meine Leiche.
„Sie sollte im Feuer sterben, aber das hat nicht geklappt!", fauchte der Mann und wischte sich das Blut von der aufgeplatzten Lippe, „Dann sollte sie von der Brücke stürzen und im Fluss jämmerlich ertrinken, aber du funkst uns ständig dazwischen! Also muss ich dich wohl töten!"
Jetzt lachte er gehässig und siegessicher und selbst im Dunkeln konnte ich den verräterischen schwarzen Schleier über seine Augen huschen sehen.
Langsam hatte ich das Gefühl, dass Aurora das Ziel von etwas Größerem war und das machte mir Angst.
Meine kurze Unachtsamkeit nutzte der Unbekannte aus und stürzte sich auf mich. Ich landete hart auf dem Boden, sodass mir die Luft für einen Moment wegblieb.
Der Fremde stürzte sich auf mich und seine Hände landeten an meiner Kehle. Ich versuchte hastig zu atmen, doch der Sauerstoff wurde immer knapper. Der Mann beugte sich über mich und grinste auf mich herab.
„Sag gute Nacht zu deiner kleinen Freundin."
„Niemals!", schrie ich und bündelte meine gesamte Kraft. Damit stieß ich ihm mit meiner Faust in den Bauch, sodass er in hohem Bogen von mir flog. Meine Flügel breiteten sich links und rechts neben mir aus und schimmerten in der heutigen Nacht.
Der Fremde rappelte sich erneut auf. Er konnte nicht menschlich sein. Aber was war er dann?
„Ein Schutzengel also", hustete er und spuckte Blut auf den Asphalt, „Ich habe es mir schon fast gedacht."
„Was bist du?", stellte ich jetzt meine Frage, die mir auf der Zunge lag.
„Dein schlimmster Alptraum, Engel!" Mit einem grässlichen Schrei kam er schon wieder auf mich zu und ich sammelte mich bis in die letzte Faser meines Körpers und wappnete mich für seinen Angriff. Dann stieß meine Hand, wie von alleine in die Brust meines Gegners und durchbrach seinen Brustkorb, bis meine Finger gegen sein Herz stießen und auch dieses zerrissen.
Der Mann erschlaffte um meine Hand und hauchte mir sein Leben entgegen. Seine Muskeln hörten auf, gegen mich anzukämpfen, als hätte ich bei ihm auf einen Kopf gedrückt, der alles für immer ausschaltete.
Dann fiel der Körper auf den Boden und rührte sich nicht, während das Blut von meiner Hand tropfte und ich meine Flügel wieder verbarg.
Dann fiel ich auf die Knie. Dieser Kampf hatte mir meine Kraft geraubt und der letzte Schlag hatte viel von meinen Fähigkeiten gefordert. Aber ich hatte Aurora beschützt.
Als ich in mich hineinhorchte, konnte ich fühlen, dass sie immer noch beunruhigt war, aber lange nicht mehr so sehr, als sie mit diesem Typen, der sie entführen wollte, allein war.
Als ich mich erholt hatte, zog ich die Leiche zu meinem Auto, welches nicht weit entfernt stand und zog sie in den Kofferraum.
Es war nicht leicht jemanden zu töten, aber ich wusste, ich hatte damit Aurora womöglich das Leben gerettet und das war das Einzige, was zählte.
Als ich wieder auf die Bar zusteuerte, kam mir gerade ein knutschendes Pärchen entgegen.
Ich lief durch die tanzenden Menschen und hielt meine blutige Hand in meiner Lederjacke versteckt.
Dann entdeckte ich das Mädchen, für das ich mein Leben geben würde, hinter dem Tresen. Ich sah, dass ihre Hände noch immer zitterten. Unsere Blicke trafen sich und sie sah mich erwartungsvoll an. Fast hätte sie alles stehen und liegen gelassen, aber ich gab ihr mit meinem Blick zu verstehen, dass ich sie nicht bei mir haben wollte. Auch, wenn ich eigentlich genau das Gegenteil erhoffte.
Ich verschwand schnell auf die Toilette und war erleichtert, als ich dort niemanden vorfand.
Ich hielt meine verschmierte Hand unter den Wasserhahn.
Das weiße Becken wurde rot befleckt und ich konnte fast gar nicht hinschauen. Außerdem stank es fürchterlich.
Ich wusch mich dreimal, um auch alles abzubekommen und vielleicht auch, um mein Gewissen rein zu waschen.
Ich war einundzwanzig Jahre alt und hatte noch nie jemanden getötet. Eigentlich hatte ich gehofft, es würde niemals vorkommen, aber wie Herr Cullen sagte: „Zeige keine Gnade, wenn es um deinen Schützling geht."
Ich hatte keine Gnade, meine Hand stieß einfach in die Brust des anderen. Das war dafür, dass er sie an jenem Tag belästigt hatte, zudem Aurora umbringen wollte und nun auch mich umbringen wollte.
Ich trocknete nun meine, hoffentlich saubere, Hand. Doch dann wurde ich gegen die Wand gedrückt und sah in Mio's zornige Augen.
„Was ist los?", fragte ich und sah meinen Freund an, um zu verstehen, weshalb er so sauer war.
„Hast du sie noch alle?!", knurrte er mich an, „Du hattest was mit Aurora! Hast du vergessen, was unser wichtigstes Gesetz ist? Nicht mal ich würde auf so eine blöde Idee kommen!"
Scheiße.
Ich schlug seine Hände weg, sodass er zurücktaumelte. Dadurch, dass ich mit Aurora verbunden war, war ich stärker als er.
„Wer hat dir das erzählt?"
„Ich habe sie indirekt gefragt, weil ich langsam das Gefühl hatte, dass du abgelenkt bist. Dann hat sie es mir erzählt. Du weißt, dass du sie damit in Gefahr bringst!"
Ich ballte meine Fäuste. Ja, ich habe einen Fehler gemacht, aber das ging ihn rein gar nichts an.
„Wenn du das irgendjemandem erzählst, dann", drohte ich ihm und baute mich vor ihm auf.
„Ich werde es niemandem erzählen, wenn du das in den Griff bekommst. Ich habe keine Lust, dass du draufgehst, nur weil dir dein kleiner Schützling den Kopf verdreht."
„Danke, aber ich kann auf mich selbst aufpassen und ich habe es längst beendet!"
„Man Finn, meine Mom ist deswegen gestorben, also mach' nicht dieselbe Scheiße!", schrie er mich an und verließ die Toilette.
Ich blieb sprachlos zurück. Das hatte ich nicht gewusst, aber mit Aurora und mir war es eh vorbei.
Ich würde sie nie wieder so nah an mich heranlassen.
Ich würde mich voll und ganz auf meine Aufgabe konzentrieren und sie beschützen, bis zu unserem letzten Atemzug.***
Den Rest des Abends verbrachte ich im Hintergrund. Aurora bekam mich nicht mehr zu sehen. Ich spürte, dass sie immer wieder nach mir suchte, aber mich nicht finden konnte. Das war gut so. Wahrscheinlich hatte sie Fragen, die ich nicht beantworten konnte.
„Warum hast du mich geküsst?", fragte Saskia, als wir zurück zum Institut fuhren. Sie wickelte sich eine ihrer Locken um den Finger und grinste.
Ich zuckte mit den Achseln. Ich konnte ihr doch nicht einfach sagen, dass ich sie geküsst hatte, damit Aurora endlich mit mir abschließen konnte.
„Ich weiß nicht, wir standen so nah beieinander und dann..."
Das ließ sie noch mehr schmunzeln und sie fuhr mit der Hand über meine, die auf dem Schalthebel ruhte.
Als wir am Institut parkten, wollte ich gerade aussteigen, aber Saskia hinderte mich daran. Sie kletterte flink über die Mittelkonsole und setzte sich auf meinen Schoß, sodass mir für einen Moment die Luft wegblieb und ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte.
Sie fasste mich am Nacken und zog mich näher zu sich, während sie ihre Lippen auf meine legte und anfing, mich lustvoll zu küssen.
Für einen Moment vergaß ich mich und meine Hände landeten auf ihren Hüften, während ihre meine Haare rauften. Wir küssten uns fordernder und unsere Körper schmiegten sich eng aneinander, sodass die Luft in dem Auto knapp zu werden schien.
Ich fuhr mit einer Hand ihren Rücken auf und ab, was sie aufkeuchen ließ und sie drückte sich noch enger an mich.
Doch dann hatte ich Aurora's schönes Gesicht vor Augen. Ich erinnerte mich an ihre Lippen und, wie ich sie berührte. Ich musste daran denken, wie unsere Lippen sich sanft probierten und voneinander kosteten. Ich vermisste ihren Duft, der mich nicht losließ und mich umhüllte. Ich vermisste ihre Nähe so sehr.
Und sofort hörte ich auf, Saskia zu küssen und ärgerte mich selbst, dass ich das zugelassen hatte.
„Was ist?", sie sah mich enttäuscht an.
„Ich kann das nicht"; flüsterte ich und sie kletterte von meinem Schoß.
Dann stiegen wir aus und gingen schweigend auf unsere Zimmer, wo ich immer noch an Aurora denken musste.

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SCHUTZENGEL
Storie d'amore~Dann drehte er sich um und ich sah direkt in seine Augen, deren Bernsteinfarben mich in ihren Bann zogen. Sein schwarzes Haar lag ihm ein bisschen in der Stirn. Er beugte sich zu mir und ich konnte seinen wunderbaren Duft riechen, sodass meine Knie...