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F I N N

Ich öffnete die Augen, nachdem ich hörte, wie jemand in der Küche hantierte, die eins mit dem Wohnzimmer war. Cece sah mich verwundert an, als ich verschlafen über die Sofalehne blinzelte.
„Was machst du denn hier?"
Ich rieb mir die müden Augen und überlegte mir schnell eine Ausrede, damit sie mir nicht weitere Fragen stellen konnte.
„Ich konnte nicht so gut schlafen und wollte Aurora nicht ständig wecken", log ich und ging ins Schlafzimmer.
Als ich die Tür öffnete, war Aurora schon wach und sah sich verwundert zu mir um. Sie war gerade dabei das Bett zu machen.
„Guten Morgen", murmelte ich.
„Guten Morgen", antwortete sie trocken und wendete den Blick schnell wieder von mir ab. Irgendetwas zog sich in mir zusammen, bei ihrer kurz angebundenen Reaktion.
Eigentlich sollte mir das egal sein, aber aus irgendeinem Grund war das nicht so.
Ich ging ins Badezimmer, welches sich gleich an das Zimmer anschloss. Als ich wieder herauskam, war Aurora weg.
Ich fand sie bei Cece in der Küche, sie bereiteten gemeinsam das Frühstück vor und, da ich mich nicht nutzlos fühlen wollte, suchte ich in den modernen und teuren Küchenschränken nach Tellern.
„Die Teller sind da drin", wies mich Aurora an, nachdem ich einige Schranktüren geöffnet hatte, nur, um feststellen zu müssen, dass ich sie gleich wieder schließen konnte. Die Küche war einfach viel zu groß.
Ich folgte ihrem Kopfnicken und fand die Teller.
„Danke", doch sie beachtete mich nicht mehr, sondern schnitt einfach weiter an ihrem Apfel.
Ich beschloss, die Gedanken, die ich mir über sie machte, zu ignorieren und mich voll und ganz auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Für nichts anderes wurde ich geboren. Wortwörtlich.
Ich deckte schnell den Tisch ein, auf der Terrasse, dann ging ich zum See, wo mir eine frische Brise entgegenwehte, die meinen Morgenmuffel in seinen Käfig verscheuchte.
Ich holte mein Handy aus der Tasche und wählte Sophies Nummer.
Es klingelte eine Weile. Vielleicht war sie gerade beim Training? Aber am Sonntag stand, selbst für sie, nur selten eine Einheit auf dem Tagesplan.
Ich wurde leicht nervös und hoffte, Sophie würde nicht zu viel nachfragen. Darin war sie viel zu gut. Sie durfte aber auf keinen Fall etwas von dem Kuss erfahren, schon gar nicht davon, dass Aurora und ich in einem Bett geschlafen hatten. Sie würde ausrasten.
„Finn? Was ist los?", fragte sie noch etwas verschlafen. Es war eigentlich untypisch für Sophie um halb zehn am Sonntag noch im Bett zu liegen. Normalerweise stand sie immer relativ früh auf, selbst an den Wochenenden.
„Was gibt es Neues im Institut?", fragte ich, einfach, weil ich nicht wusste, was ich gerade anderes tun sollte.
„Ming ist total auf ihren Schützling fixiert. Sie will alles richtig machen und ist wie besessen davon. Mio fühlt sich fast schon vernachlässigt", sie lachte, „Ansonsten alles normal und es gibt nicht wirklich was Neues. Und bei dir? Ist irgendwas passiert?"
Mein Herz schlug schneller.
„Nein, es ist nichts passiert. Wir waren ein bisschen unterwegs, ansonsten nichts Spannendes."
„Ziemlich frech von dir, dass du einfach so Urlaub machst", neckte sie mich und ich schmunzelte, „Wann bist du heute zurück?"
„Kann ich noch nicht genau sagen." Ich drehte mich zur Terrasse um, da jemand herauskam.
Cece stellte Pancakes auf den Tisch und Aurora hielt kurz inne, mit einer Kaffeekanne in der Hand und sah zu mir herüber, sodass sich unsere Blicke für einen kurzen Moment begegneten.
„Dann gib' mir Bescheid, wenn du da bist. Bis später."
„Bis dann", verabschiedete ich mich auch.
„Habe ich einen Hunger", äußerte Nathan, als ich zum Frühstückstisch ging und mich ebenfalls setzte.
Ich schielte seitlich zu Aurora. Ihre Gefühle waren durcheinander und verstrickten sich mit meinen, sodass es diesmal schwer war, genau zu erkennen, was sie gerade fühlte.
Und ich fing an, dieses Gefühl zu hassen.
Ich wollte genau wissen, was sie dachte. Ich wollte wissen, ob sie traurig oder glücklich war. Es war schon irgendwie erschreckend, was sie in so kurzer Zeit, in der wir uns kannten, mit mir anrichtete.
Ich wollte ihr nahe sein, obwohl ich das nicht durfte. Ich wollte wieder ihre Lippen mit meinen vereinen und wollte ihren Körper spüren.
Doch ich konnte nicht. Ich durfte einfach nicht so fühlen, auch, wenn es mir schwer fiel.
Nach dem Frühstück traf ich auf Aurora im Schlafzimmer. Sie war gerade dabei, ihre Sachen zusammenzusuchen.
„Aurora, was ist los? Du ignorierst mich schon den ganzen Morgen", fragte ich vorsichtig, weil ich das Gefühl nicht loswurde, dass sie sauer war.
„Nein, Finn. Was ist mit dir los?", fauchte sie und würdigte mich keines Blickes.
„Was meinst du?" Ich wusste genau, was sie meinte.
Aurora hielt in ihrer Bewegung inne und drehte sich zu mir um.
„Ich verstehe dich einfach nicht. Du willst dich mit mir treffen, dann sagst du allerdings, du kannst mich nicht weiter treffen. Dann flirtest du mit mir und fährst mit uns hier her und küsst mich. Gleich danach nimmst du dein Bettzeug und schläfst auf dem Sofa", Aurora sah mir in die Augen und jetzt brachen ihre Gefühle, wie eine Flut, auf mich ein. Sie war wütend und verwirrt.
„Wenn dir das Spaß macht, dann suche dir jemand anderes. Aber mach das nicht mit mir!"
Sie wendete sich ab und packte weiter ihre Tasche.
Mir tat es weh, das zu sagen, was ich jetzt aussprach und jede Faser meines Körpers sträubte sich dagegen, aber ich musste es tun. Es war alles zu ihrem Schutz notwendig.
„Ich denke, es wäre besser, wenn wir uns nicht mehr sehen."
Wieder stoppte sie beim Packen, sah mich aber diesmal nicht an. Gut so, denn ich wusste nicht genau, ob ich ernst genug aussah. Sie musste mir das abkaufen.
Natürlich wollte ich sie weiter sehen, ich wollte einfach alles von ihr kennenlernen.
Aber das war für uns nicht vorgesehen.
„Dabei hätte es nach dem ersten Mal bleiben sollen", schnaubte sie.
Ich ging an ihr vorbei, sammelte meine Sachen, die ich anschließend ins Auto brachte.
Aurora kam mir hinterher und bevor sie zu einem anderen Auto gehen konnte, nahm ich ihr ihre Tasche ab. Nur in meinem Auto war sie vollkommen sicher.
„Ich fahre dich noch nach Hause."
Zu meiner Überraschung sagte sie nichts dagegen.
„Und morgen geht der ganz normale Wahnsinn wieder los", seufzte Cece und umarmte Aurora, „Das müssen wir alle unbedingt wiederholen."
Sie umarmte auch mich und stieg in Nathan's Auto.
„Gute Heimfahrt!", rief Nathan, ließ sich auf den Fahrersitz fallen und fuhr mit durchdrehenden Rädern aus der Einfahrt.
Als Aurora und ich uns nebeneinander ins Auto setzten, herrschte zuerst eine unangenehme Stille, also drehte ich das Radio ein bisschen auf, um dieser unerträglichen Stille zwischen uns zu entweichen.
Aurora lehnte ihren Kopf gegen die Scheibe, während die Landschaft an ihr vorbeizog.
„Es tut mir leid", platzte es aus mir heraus.
„Was tut dir leid?", brummte sie. Sie war immer noch sauer.
„Dass ich dich geküsst habe. Ich weiß nicht, was mit mir los war."
Ich sah verstohlen zu ihr rüber. Sie schluckte und ihre Augen starrten immer noch in die Ferne und ich spürte, wie nervös sie wurde.
„Dann tut es mir leid, den Kuss erwidert zu haben. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe."
Jetzt war ich derjenige, der schlucken musste. Es war komisch, dass sie so fühlte. Und innerlich wünschte ich mir, die ganze Situation wäre anders.
Aber das durfte ich mir nicht eingestehen. Weitere Fehler durfte ich mir nicht erlauben.
Wir fuhren eine Weile weiter, ohne etwas zu sagen und meine Hände verkrampften sich immer mehr um das Lenkrad.
Gott, wie ich es hasste, wenn sie so war. Ich vermisste ihre Neugier und ihr Lachen. Das alles war wie vom Wind verweht.
Und das war meine Schuld. Sie war wegen mir so und es war ein schreckliches Gefühl.
„Warum hast du angefangen, dich mit mir zu treffen, wenn du eh von vornherein wusstest, dass es nicht der richtige Zeitpunkt ist?", fragte sie.
Meine Muskeln spannten sich an – diese Frage hätte ich nicht erwartet. Ich hatte eine Antwort darauf. Ich wollte sie kennenlernen, aber es war nicht gut, weil ich ihr gottverdammter Schutzengel war?
Sie durfte diese Antwort nicht hören, denn es wäre die Wahrheit und die war nicht für ihre Ohren bestimmt.
„Ich wollte einfach wissen, wer du bist. Mehr nicht", antwortete ich so trocken und unberührt, wie es meine Anspannung ihr gegenüber, zuließ.
Sie sah wieder aus dem Fenster und sagte nichts mehr und ihr Schweigen tat mir im Herzen und auch in ihrem Herzen weh.
Wir fuhren in unserem Schweigen über eine Brücke, die über einen breiteren Fluss führte.
Ich hatte sie verletzt, das wusste ich. Aber ich wusste nicht was ich jetzt sagen sollte. Es tat mir weh, aber es musste so sein.
Ich würde alles zu ihrem Schutz tun und dazu gehörte nun auch, dass ich ihre Gefühle verletzte, wie ich feststellen musste.
Ich mochte sie wirklich, auch, wenn es für sie nicht danach aussah. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass es für sie nur das Beste war, auch wenn ich es nur schwer zugeben konnte.
Ich war in meinen Gedanken versunken, in denen ich mir ausmalte, wie sie jetzt wohl über mich dachte und sie fingen an, mich innerlich zu zerfressen.
Um die Kurve, vor uns, raste auf einmal ein schwarzer Van, der seine Scheinwerfer an diesem bewölkten Tag direkt auf uns richtete, sodass ich die Augen zukneifen musste.
Der Van war viel zu schnell – dabei kam er immer mehr in unsere Spur und meine Gedanken versetzten sich sofort in Alarmbereitschaft.
Aurora schien es gar nicht zu bemerken, denn sie saß vollkommen entspannt neben mir und verlor ihre Gedanken in der vorbeiziehenden Landschaft.
Mein Herz schlug schneller, all meine Muskeln waren angespannt.
War der Fahrer am Handy? Oder war er eingeschlafen? Meine Hoffnung, dass der Fahrer die Situation noch berichtigte, löste sich auf, als der Van noch beschleunigte und mit einer enormen Geschwindigkeit auf uns zuraste.
Erst im letzten Moment schnellte Aurora in ihrem Sitz nach oben und hielt sich, mit weit aufgerissenen Augen, an der Tür fest, während ich das Lenkrad herumriss, um dem Van auszuweichen.
Mein Auto krachte durch die Leitplanke und gab einen fürchterlichen Knall von sich, was Aurora neben mir ängstlich aufschreien ließ.
Der Van streifte uns am Heck meines Mustangs und brachte uns ins Schleudern.
Wir stürzten in die Tiefe, die nur darauf wartete, uns in ihre Arme zu schlingen und uns fürchterlich zu erwürgen.
Von dem Zeitpunkt an schien alles, wie in Zeitlupe abzulaufen und mein einziges Ziel, an das sich all meine Gedanken sammelten, bestand nur noch darin, Aurora das Leben zu retten.

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