23

36 0 0
                                    

A U R O R A

Der Regen prasselte auf meine Windschutzscheibe, während die Scheibenwischer versuchten dagegen anzukämpfen. Blitze zuckten in der Dämmerung, gefolgt von lautem Donnergrollen.
Die Beifahrertür ging auf und Cece plumpste auf den Sitz, wieder perfekt gestylt und aufreizend gekleidet.
„Was für ein Wetter, der Regen soll mir ja nicht meine Frisur zerstören. Wir treffen Sean in der Bar."
Sie sagte seinen Namen uns sofort saß ein Lächeln auf ihren Lippen, während bei mir wieder dieses ungute Gefühl auftrat.
„Ja, du amüsierst dich und ich muss arbeiten", lachte ich. „Sieh es positiv, ich begleite dich zur Arbeit und mache auch mit dir gemeinsam Feierabend."
Wir lachten und ich fuhr auf die Straße.
Die Bar war noch nicht gefüllt, als wir sie betraten. Ich begrüßte Jeff, bereitete mich auf den kommenden Abend vor und hoffte innerlich, dass er schnell enden würde, es sei denn eine ganz bestimmte Person würde heute auch auftauchen. Unsere Bar gab heute eine sogenannte „Sommerauftaktsparty" und Jeff war der Meinung die ganze Stadt würde kommen.
Nichts mit einem schnellen Schichtende.
Cece war lange die einzige in der Bar, aber gegen 21.00 Uhr füllte sich allmählich der Raum, bis schließlich auch Sean zu uns stieß.
„Hi, ich wusste gar nicht, dass du in einer Bar arbeitest", und schon wieder sah er mich eindringlich an.
„Also, was willst du trinken", fragte ich knapp, um ihm aus dem Weg zu gehen. Irgendwas an ihm war komisch und störte mich, aber ich konnte nicht sagen was.
„Ein Bier bitte", sagte er mit einer weniger freundlichen Miene und ich war froh, dass uns der Tresen trennte.
Ich zapfte ihm ein frisches Bier und stellte es ihm wortlos hin, während er mir das Geld in die Hand drückte. Mit einem letzten Blick folgte Sean seiner Freundin auf die Tanzfläche und ich hoffte, dass er mich den restlichen Abend in Ruhe lassen würde. Seine Augen auf mir nervten mich und ich wusste nicht, was er von mir wollte.
Ich huschte hinter dem Tresen von einem Kunden zum nächsten, mein Kopf rechnete auf Hochdruck, ich sammelte mein Trinkgeld ein und wich Flirtversuchen so gut es ging aus. Dazu war ich überhaupt nicht in der Stimmung.
Doch dann stoppten meine Bewegungen und ich ließ fast ein Glas fallen, als ich zufällig in seine Augen sah.
Finn stand in der Tür und unsere Blicke trafen sich sofort. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten und es schien, als würde seine bloße Anwesenheit das ungewohnte Loch in meiner Brust schließen.
Doch dann entriss er sich mir und eine Frau mit hellbraunen, schulterlangen Haaren henkelte sich bei ihm ein. Es war nicht die Frau, die ich schon mal mit ihm gesehen hatte und das ärgerte mich. Und warum warf sie sich so an ihn? Hatten sie etwa was miteinander?
„Hallo?! Würde die schöne Frau vor mir mich bitte bedienen?", ein junger Mann schnipste vor meinen Augen mit seinen Fingern und riss mich aus meinen Gedanken.
Ich stellte ihm den Wodka- Energy hin und nahm das Geld entgegen.
Ich versuchte zu arbeiten und mich nicht von ihm ablenken zu lassen. Aber jedes Mal, wenn ich niemanden zu bedienen hatte, suchten meine Augen automatisch nach ihm.
Und dann kamen die beiden an die Bar.
„Wir hätten gern ein Bier", forderte die Frau mit ihren stechend grünen Augen, doch es rutschte in den Hintergrund. Finn stand ein Stück hinter ihr und hatte die Hände in die Lederjacke gesteckt. Sein Blick lockte mich unter den Strähnchen, die ihm wie immer in der Stirn hingen.
Doch dann entriss mich ihm schon wieder die Frau neben ihm und ich bekam Wut auf sie.
Ich zapfte ihnen ihre Getränke und stellte sie ihnen hin. Die Frau ließ das Geld auf den Tresen fallen und schenkte Finn ein Glas, dessen Augen sie freundlich musterten.
Augenblicklich durchfuhr ein Stich meine Brust und ich wurde nur noch frustrierter. Was auch immer das zwischen uns gewesen war, für ihn war es anscheinend tatsächlich bedeutungslos gewesen.
Die beiden setzten sich in eine Nische, in eine Ecke der Bar und die tanzenden Leute versperrten mir die Sicht. Es war, als wäre er mir so nah und doch so fremd. Ja, wir kannten uns nicht sehr lange, trotzdem hatte ich bei ihm nicht das Gefühl, dass wir Fremde waren. Da war eine Anziehung, die wir beide nicht verstanden. Wir hatten uns geküsst, zusammen in einem Bett geschlafen, er hatte sich zu mir gelegt, wenn ich wieder einmal meine Alpträume gehabt hatte.
Bei ihm hatte ich mich wohl und sicher gefühlt. Mehr konnte ich nicht beschreiben.
Und jetzt war er mit einer anderen hier, als wäre zwischen uns nie etwas gewesen. Eine Woche hatten wir nicht miteinander geredet oder geschrieben. Für mich hatte sich das schrecklich angefühlt, aber für ihn?
Hatte er rein gar nichts gefühlt?
Ich putzte den Tresen, nachdem so ein Vollidiot seinen Drink verschüttet hatte und Cece hatte ich schon länger nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich war sie mit Sean abgehauen, um irgendwo ungestört zu sein.
„Aurora, vergiss deine Kunden nicht!", schimpfte Jeff über die Musik hinaus, während er eine Coladose aus dem Kühlschrank nahm.
Ich musste meine Gedanken an Finn abstellen, sonst würde ich noch meine Arbeit verlieren und ich hatte keine Lust, mir schon wieder etwas Neues zu suchen.
Also arbeitete ich weitere Stunden und die Gäste schienen nicht weniger zu werden. Dabei war es schon 03:00 Uhr morgens.
Wären die Umstände besser, hätte mir dieser Abend sicherlich heute mehr Spaß gemacht.
Bessere Umstände, wie, dass Finn und ich noch reden würden oder, dass er nicht mit dieser Frau aufgetaucht wäre.
„Hey, bist du nicht Aurora?", quatschte mich jetzt plötzlich jemand von der Seite an. Er war gutaussehend und war wahrscheinlich asiatischer Herkunft. Woher kannte er mich, ich hatte ihn noch nie gesehen.
„Ja, woher weißt du das?", fragte ich zurück und versuchte dabei, so gut es ging, die Musik zu übertönen.
Er schmunzelte und sah mich mit seinen dunklen Augen amüsiert an.
„Nun ja, Finn hat viel von dir erzählt."
Sofort stoppte ich meine Bewegungen und sah den Mann vor mir an.
„Bist du ein Freund von Finn?"
„Ja, durchaus, ich bin Mio."
„Gut, dann hat er dir auch bestimmt erzählt, wie er mir falsche Hoffnungen gemacht und sich dann einfach nicht mehr gemeldet hat", platzte ich heraus. Keine Ahnung, warum ich ihm das jetzt erzählt hatte, aber wahrscheinlich musste ich das mal aussprechen – oder so etwas in der Art.
Auf einmal schliefen die Gesichtszüge meines Gegenübers ein und das Schmunzeln verschwand. Seine Kieferknochen malten ungeduldig und seine Augen schauten jetzt gefährlich.
„Halte dich von ihm fern", sagte der Fremde mit dem Namen Mio und verließ meinen Tresen, bis er in der Menge der Leute verschwand.
Okay das war mehr als komisch. Was ist mit diesen Typen nur los? Sie sind geheimnisvoll und von einem Moment auf den anderen schwanken sie von warmherzig und charmant zu kalt und gefühllos.
Das hatte ich bei Finn immer wieder gemerkt und dieser Mio schien nicht anders zu sein.
„Jeff, ich gehe frische Luft schnappen. Hier drin ist es stickig."
„Okay, aber nicht so lange, die Bar ist noch voll."
Ich verließ den Tresen und bahnte mir durch die Menge einen Weg zum Ausgang. Doch genau neben dem Ausgang stand Finn und sobald ich ihn entdeckte, entdeckte er auch mich. Ich ging einen Schritt auf ihn zu, da ich aus irgendeinem Grund innerlich den Beschluss gefasst hatte, ihn jetzt zur Rede zu stellen.
Doch das bekam er mit und was er jetzt tat, ließ meine Knie erzittern.
Die Frau, welche mit ihm hier war, stand direkt neben ihm an der Wand. Er stützte sich mit einer Hand neben ihrem Kopf ab. Mit der anderen Hand zog er ihre schlanke Hüfte näher zu sich heran und seine Lippen trafen auf ihre.
Sie erwiderte den Kuss natürlich sofort. Wer würde das auch nicht? Ich konnte auch nicht widerstehen.
Wütend stürmte ich aus der Bar und war froh über die kühle Nachtluft, die mich jetzt umgab.
Leichter Wind spielte mit meinem Haar und kitzelte meine Wangen. Ich spürte die aufkommenden Tränen.
Ich wusste nicht mal, wieso mich das so traf, doch ich konnte es nicht ändern. Mir wurde fast schlecht bei dem Bild, welches ich gerade vor Augen hatte.
Wie seine Zunge in ihren Mund fuhr, widerte mich an und auch, wenn sich alles in mir dagegen sträubte, musste ich leider wieder rein.
Doch jemand packte mich am Arm, seine Finger gruben sich schmerzhaft in mein Fleisch.
„Au! Lass' mich gefälligst los!", schrie ich und bekam Panik, als mir der Zigarettengeruch in die Nase stieg.
Sofort hatte ich wieder den widerlichen Typ in Erinnerung, der an dem Tag, als unser Café abgebrannt war, mich angefasst hatte.
Und ja, er war es.
Er zog mich weg von der Bar über den Parkplatz.
„Komm' mit, Kleine. Luzifer erwartet dich schon!", sagte er mit seiner kratzigen Stimme. Aber seine Worte verstand ich nicht. Wer war Luzifer?
Ich schlug ihn und versuchte mich gegen seinen festen Griff zu wehren, aber ich hatte keine Chance.
Ich blickte mich hektisch um, aber niemand war auf dem Parkplatz zu sehen.
Ich hatte panische Angst. Was hatte der Typ mit mir vor?
Ich schlug gegen seine Brust, doch es schien ihn rein gar nichts auszumachen und auch, dass ich mich schwer machte, bewirkte nichts. Er war einfach viel zu stark.
Und dann, als wir schon fast den Parkplatz verlassen hatten und auf ein Auto zusteuerten, in dem er mich wahrscheinlich wegbringen würde, knallte die Tür der Bar gegen die Fassade.
Meine Augen folgten augenblicklich dem Geräusch und fanden Finn, der in der offenen Tür stand, die aussah, als hing sie nur noch halb in ihren Angeln.
„Finn! Hier drüben! Hilf' mir bitte!", schrie ich, doch er hatte mich schon längst entdeckt, als hätten seine Augen nichts anderes gesucht.
Ich drehte mich zu meinem Entführer um und als ich wieder zu Finn sah, war er plötzlich neben uns. Gerade eben war er doch noch auf der anderen Seite des Parkplatzes gewesen.
Mein Entführer festigte seinen Griff.
„Lass' sie los!", knurrte Finn und seine Augen wirkten, als wollte er sein Gegenüber umbringen, „Ich habe gesagt, du sollst sie loslassen!"
Dabei stieß er gegen die Brust des Mannes, aber so heftig, dass sich seine Hand sofort von mir löste und er mit dem Rücken auf dem Asphalt landete.
Doch er war blitzschnell wieder oben und ich entfernte mich ein kleines Stück von den beiden.
„Sie gehört uns!", sagte der andere und stürzte sich auf Finn, doch dieser wappnete sich schnell.
Mein Herz schlug immer schneller und ich hoffte, dass Finn nichts passierte.
Und anstatt dem Angriff ausgeliefert zu sein, griff Finn dem Mann blitzschnell an die Kehle und rammte seinen Kopf auf den Asphalt, sodass ich aufschrie.
Er würde ihn doch nicht töten? Oder doch?
Der Mann blieb liegen, als Finn sich wieder aufrichtete.
„Was hast du getan?", flüsterte ich und hielt mir die Hand vor den Mund, während er emotionslos zu mir sah. Seine Haare waren wild durcheinander und sein Blick war feurig, wie bei einem Raubtier.
Und dann wurde er zu Boden gedrückt. Der Mann hatte sich auf ihn gestürzt und schlug nun auf ihn ein. Mit beiden Fäusten wollte er Finn's Gesicht zertrümmern und mir schossen die Tränen in die Augen.
„Hört auf!", schrie ich, aber es funktionierte nicht.
Finn hörte plötzlich auf, sich zu wehren und blieb reglos auf dem kalten Asphalt liegen.
Oh Gott.
Ich wollte zu ihm rennen, aber der Mann kam mit schnellen Schritten auf mich zu. Ich wappnete mich für einen Schlag, aber er erreichte mich nicht. Stattdessen wurde er von mir weggeschleudert und überschlug sich zweimal. Sein Gesicht triefte nun vor Blut und mir wurde schlecht. Finn sah genauso schlimm aus, doch er baute sich weiterhin vor dem Typen auf und als dieser sich aufrichten wollte, landete eine Faust in seinem Gesicht und er verlor anscheinend das Bewusstsein.
„Geh' rein, Aurora!", befahl Finn und sah mich eindringlich an.
Ich konnte aber nicht reagieren, meine Hände zitterten und ich spürte die warmen Tränen auf meinen Wangen.
„Geh' rein!", sagte er jetzt mit Nachdruck und ich erschrak so sehr, dass ich wie ferngesteuert zur Bar rannte und Finn allein zurückließ.

SCHUTZENGELWo Geschichten leben. Entdecke jetzt