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A U R O R A

Was das für ein Gefühl war, wenn die Welt, die man kannte, um einen herum zusammenbrach, wie ein Kartenhaus, das einen Luftzug abbekommen hatte?
War das alles Realität?
Ich wusste nicht, was ich glauben sollte. Es war, als würde eine riesige Welle auf mich einstürzen und mich auf den Grund schleudern.
Finn war ein... ein Engel.
Ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen sollte.
Ich musste an unsere erste Begegnung denken, als er mich in der Bar vor diesem ekelhaften Typ gerettet hatte. Dabei wusste er genau, wer ich war. Finn war mein Schutzengel und bis gestern kannte ich übernatürliche Wesen nur aus Erzählungen.
Ich stand in der Küche und wärmte meine Hände an meinem heißen Tee, während die vielen Bilder durch meinen Kopf zischten. Sie erdrückten mich und nahmen mir die Luft zum atmen. Ich wusste nicht, was ich denken sollte oder, wie es jetzt weitergehen sollte. Ich wusste absolut gar nichts mehr, außer, dass jetzt alles anders war. Ich wünschte ich könnte das rückgängig machen. Ich wünschte, ich hätte es nie erfahren. Ich wünschte einfach, Finn wäre ein normaler Mann, den ich in einer Bar getroffen hatte und mit dem ich ausgegangen war. Ein normaler Mann, in den ich mich verliebt hatte.
Doch dieser Mann war mein Schutzengel.
Ich hatte mich in einen Egel verliebt.
In meinen persönlichen Schutzengel.
Ohne ihn würde ich gar nicht mehr hier stehen. Ohne ihn wäre ich in dem Café verbrannt, genau, wie Logan. Wo war sein Schutzengel gewesen, wenn es nun schon welche gab?
Tränen liefen mir die Wangen hinunter und tropften auf die Arbeitsplatte.
Wieso hatte ihn niemand retten können, so wie Finn mich gerettet hatte?
Ich sollte ihm dankbar sein, er hatte mir mein Leben gerettet. Mehrmals.
Aber hier spielten Gefühle mit. Er hatte die ganze Zeit alles gewusst. Er wusste, wer ich war und konnte die ganze Zeit fühlen, was ich fühlte.
Das war verrückt. Finn hatte mein Blut getrunken und hatte mich beobachtet. Er war immer da, wann immer ich mich in Gefahr befand.
Und das machte mir Angst.
Noch mehr Angst machte mir aber etwas anderes.
Luzifer.
Ich hatte viel über ihn gelesen, über den gefallenen Erzengel, der nun ein Dämon sein sollte.
Wenn es also Engel wirklich gab, wieso sollte es ihn dann nicht geben?
„Worüber denkst du nach?", fragte meine Mom, die auf einmal vor mir in der Küche stand.
„Ach nichts."
„Hast du Liebeskummer? Geht es um den jungen hübschen Mann? Wie hieß er doch gleich?", perfektes Timing, „Finn?"
Bei seinem Namen zog sich alles in mir zusammen und ich musste mir weitere Tränen unterdrücken. Wenn ich an seine Augen dachte, wurde mir schwer ums Herz und seine Hände konnte ich noch immer auf meinem Körper spüren.
„Vergiss ihn", seufzte ich und mied es meine Mom anzusehen. Sie würde genau sehen, wenn ich verletzt war und jetzt konnte ich nichts anderes behaupten. Ich war verletzt. Er hatte mich verletzt.
„Was ist passiert", fragte meine Mom und sah mich besorgt an.
„Er hat mich belogen", gab ich zu und musste an den gestrigen Abend denken, von dem sie nicht mal annähernd eine Ahnung hatte.
„Dieser Mistkerl", schimpfte meine Mom und kam zu mir, um mich in den Arm zu nehmen.
Ich konnte die Tränen nicht unterdrücken und weinte. Ich weinte in den Armen meiner Mom, wobei sie nicht mal ahnen konnte, was noch alles dahinter steckte.
Es fühlte sich einfach nicht echt an und ich sehnte mich nach der Zeit, bevor ich das erfahren musste.
Ich wusste nicht, wie ich Finn jemals wieder gegenübertreten sollte. Es hatte so viel zwischen uns geändert, dass es unmöglich war, es wieder gerade zu biegen.
Wenn sich einmal die Ansicht über jemanden ändert, kann man das nur schwer wieder ablegen.
Aber ich wusste ja nicht mal, ob wir uns je wiedersehen würden.
Ich löste mich von meiner Mom und ging in mein Zimmer, um mir etwas anderes anzuziehen. Ich trug etwas Schminke auf und nahm mein Zeug.
Heute war wieder mal eine Studentenfeier, aber diesmal auf einer Lichtung im Wald. Cece meinte, sie wäre jedes Jahr zu Herbstbeginn.
Ich verließ das Haus und lief unsere Straße entlang. Bis zum Wald war es nicht weit und ich würde die Lichtung sicherlich anhand der Lautstärke erkennen. Ich hatte den anderen gesagt, dass wir uns dort treffen würden.
Also lief ich im Dunkeln aus der Stadt raus und auf den Wald zu.
Und wieder schweiften meine Gedanken zu Finn, so wie immer, wenn ich allein war.
Ich hörte sein Lachen, sah seinen ernsten Blick, wenn er versuchte, sich von mir fernzuhalten. Ich spürte seine Lippen auf meinen und wollte ihn.
Ich wollte ihn nicht verlieren, er hatte mir mein Herz gestohlen.
Ich kam auf der Lichtung an und sah ganz viele Menschen, von denen ich keinen einzigen kannte, geschweige denn, schon einmal gesehen hatte. Also suchte ich sofort nach meinen Freunden, wobei ich nicht daran glaubte, dass ich sie so schnell finden würde.
Ich drängte mich durch die trinkenden, lachenden und lautstark quatschenden Studenten näher an das große Lagerfeuer, welches in der Mitte der Lichtung in den schwarzen Nachthimmel glühte.
Beim Anblick der heißen Flammen, spannte sich mein Körper an und Bilder zuckten durch meine Wahrnehmung, die ich aber schnell wieder verbannte.
„Aurora! Hier drüben!"; hörte ich Cece rufen und fand sie auch gleich darauf. Sie saß natürlich auf dem Schoß von ihrem Lover, bei dem ich noch nicht wusste, was ich von ihm halten sollte.
Nathan und Alec saßen ebenfalls mit auf dem langen Baumstamm. An Nathan schmiegte sich ein blondes Mädchen mit schulterlangem Haar, das ihr sehr gut stand. Sie suchte seine Hand und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Ich setzte mich zu ihnen und natürlich musste Cece gleich mit dem schönsten Thema anfangen.
„Wo ist Finn? Wollte er nicht mitkommen?"
Ich sah in die erwartenden Augen, nur Alec sah mich nicht an.
„Zwischen uns ist es aus", murmelte ich und wich den Blicken aus, um nicht wieder Tränen zu verlieren. Mir tat es weh, jetzt schon so darüber zu sprechen. Es war nicht allzu lange her, da hatten wir uns gerade mal kennengelernt und nun?
Nun hatte sich meine Welt verändert und ich konnte nichts dagegen tun. Ich war auf einen Menschen gestoßen, der mir eine neue, verrückte Welt gezeigt hatte und das konnte einfach nicht funktionieren und ich wusste auch immer noch nicht, wie ich damit umgehen sollte.
„Was ist passiert, Maus?", Cece kam neben mich und spürte den Blick von Sean auf mir, der mir gar nicht gefiel. Irgendetwas hatte der Typ an sich, das ich unheimlich fand.
Meine beste Freundin nahm mich in den Arm und drückte mir einen Becher in die Hand. Ich hatte keine Ahnung, was drin war, aber ich nahm einen großen Schluck und spürte, wie der Alkohol meine Gedanken ein wenig erträglicher machte.
„Das ist kompliziert und darüber möchte ich eigentlich nicht wirklich sprechen."
Eigentlich besprach ich mit Cece alles, aber wie sollte ich das diesmal anstellen? Was sollte ich ihr erzählen? Sie würde mich für verrückt halten, was ich selber schon tat.
Sie musste nicht auch noch in diese Welt hineingezogen werden. Es reichte schon, wenn ich damit umgehen musste.
Ich nahm einen weiteren Schluck und wie auf einen Lockruf sah ich ihn.
Es war, als würden wir uns das erste Mal sehen. Unsere Blicke trafen sich und es entflammte ein Feuer. Wir hakten aneinander und schienen zu tanzen, ohne uns zu bewegen.
Und dennoch war es anders. Es war zu viel passiert.
In seinem Blick lag Schmerz und Reue und die Flammen des Feuers, die in seinem Gesicht schimmerten, konnten dies nicht verstecken.
Wie sollte ich ihm gegenüber treten? Es war, als würde ich seine Schwingen sehen, obwohl sie gar nicht da waren. All das hielt mich davon ab, jetzt zu ihm zu rennen und in seine Arme zu fallen. Finn sollte mich nie wieder loslassen. Er sollte mich halten, sodass ich nie wieder fallen konnte.
„Das sieht mehr als kompliziert aus", flüsterte Cece und sah besorgt zwischen Finn und mir hin und her.
Ich riss meine Augen von ihm, auch, wenn das hätte noch Stunden weitergehen können.
„Ich brauche was zu trinken", seufzte ich und ging zum Getränketisch.
Ich schüttete mir wahllos etwas in den roten Becher, da ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.
„Wir müssen reden", seine Stimme kroch mir den Rücken hinauf, bis zu meinen Ohren und zerrte vorsichtig an ihnen.
Ich drehte mich zu ihm um, sah ihn an. Seine Gesichtszüge sahen traurig aus und seine Augenringe verrieten, dass er kaum geschlafen hatte.
Vermutlich sah ich genauso aus.
„Wir haben geredet und ich möchte nichts mehr davon wissen", versuchte ich ihm klar zu machen.
„Es geht nicht um uns. Erstmal nicht", seufzte er und seine Augen sahen mich eindringlich an, was mich ein wenig erschaudern ließ.
„Um was dann?", hakte ich nach und versuchte zu verhindern, dass er nicht von mir Besitz ergriff. Was verdammt schwer war. Wie sollte ich diesem Mann je widerstehen können?
„Du bist wahrscheinlich nicht das, was du denkst", hauchte er mir ins Ohr, „Und genau deswegen bist du in Gefahr."
Ich trat von ihm weg, sodass ich fast gegen den Getränketisch rempelte.
„Was redest du da? Der einzige, der nicht so war, wie er es vorgegeben hatte, bist du."
Ich wollte gehen, aber Finn packte mich am Arm.
„Du kannst diese Welt, die du kennengelernt hast, nicht vergessen!"
„Das ist aber genau das, was ich tun werde und du wirst mich nicht daran hindern!", fauchte ich.
„Hast du dir nie Gedanken über deinen Namen gemacht?", fragte er und ich sah ihn fragend an, „Du kannst diese Welt nicht leugnen. Du gehörst genauso dazu!"
Was sagte er da? Wie konnte das sein?
„Aurora, hör mir zu...", fing er an, doch ich entriss ihm meine Hand.
„Hör auf, das ist mir alles zu viel."
„Aurora bitte, du musst das verstehen. Ich ertrage es nicht, dich zu verlieren, also musst du mir zuhören!" In seinen Augen lag nun Angst, doch ich konnte es nicht. Noch nicht. Nicht heute.
Ich löste mich aus seinem Bann und wendete mich von ihm ab, um zurück zu den anderen zu gehen.
„Ich liebe dich!", hörte ich ihn sagen und dann setzten die Geräusche der Party wieder ein, als wären sie die ganze Zeit nicht da gewesen. Als wären es nur wir beide gewesen, was gezählt hatte.
So, wie es vor ein paar Wochen noch war, als alles noch nicht so verdreht und anders war.

F I N N

Sie drehte mir den Rücken zu und stach mir damit einen Dolch in die Brust. Ich wollte so sehr, dass alles so war, wie vorher. Bevor sie mit ansehen musste, was ich war.
Sie wollte diese Welt vergessen und verdrängen. Doch das konnte sie nicht.
Nicht, nachdem ich herausgefunden hatte, dass sie vielleicht auch zu dieser Welt gehörte.
Nicht umsonst suchte Luzifer so verzweifelt sehr nach dir.
Früher hatte ich geglaubt, es handelte sich hierbei nur um Legenden. Doch nun hatte sich meine Sicht darauf geändert. Luzifer gab es wirklich, ich glaubte nun an den gefallenen, dunklen Engel und auch daran, wie gefährlich er sein könnte.
Ich wusste weder, was er vorhatte, noch warum er genau Aurora dazu brauchte, aber ich würde sie beschützen, bis zu meinem letzten Atemzug.

A U R O R A

Ich ging zurück zu Cece und den anderen, aber meine Gedanken hingen dennoch an ihm. Ich konnte mich nicht von ihm losreißen. Schmerzlich wurde mir jedoch bewusst, dass dies nur die magische Verbindung, die er eingegangen war, sein könnte. Alles könnte nicht echt sein.
„Du solltest Lächeln, das steht dir viel besser", flüsterte Alec mir ins Ohr und rutschte näher zu mir.
Ich lehnte mich an seine Schulter, mein Kopf fühlte sich so schwer an. Die Gedanken, die ich mir die ganze Zeit machte, fühlten sich an, wie eine Last.
Alec legte den Arm um mich und ich ließ es zu, weil ich gerade keine Kraft hatte, um mich irgendwie dagegen zu wehren. Ich hoffte er interpretierte nicht mehr, als er sollte.
„Aurora, bitte rede mit mir", hörte ich plötzlich wieder seine Stimme, die mir gemischte Gefühle verursachte.
Finn stand vor uns und, obwohl ihn alle meine Freunde anstarrten, hatte er nur Augen für mich.
Ich schüttelte den Kopf.
„Siehst du nicht, dass sie nicht mit dir reden möchte?", sagte Cece scharf und funkelte ihn an. Dabei wusste sie nicht mal, worum es bei uns ging. Und das würde sie auch nie erfahren.
„Aurora, bitte", flehte er jetzt und seine gläsernen Augen forderten mich, lockten mich in seine Arme.
„Du sollst verschwinden", taumelte Alec nach oben, er hatte anscheinend schon einiges getrunken.
„Ich rede nicht mit dir, ich rede mit ihr", knurrte Finn und seine Kiefermuskeln mahlten.
Alec bäumte sich, wie ein Alpha vor Finn auf und kniff seine Augen zusammen.
Noch bevor ich aber reagieren konnte, schlug Alec seine Faust in das Gesicht von Finn.
Doch sein Kopf fing den Schlag ab, als wäre nichts passiert. Seine Haltung blieb unverändert und sein Blick musterte Alec, vollkommen ohne Schmerzen.
Alec hingegen, schüttelte sich das Handgelenk, von dem harten Aufprall.
„Was zur...", fluchte er und sah Finn ungläubig an.
„Aurora, ich gehe erst, wenn du mir sagst, dass ich gehen soll. Du weißt ich werde trotzdem immer bei dir sein." Seine bernsteinfarbenen Augen musterten mich eindringlich und er hatte etwas ausgesprochen, das nur wir beide verstehen konnten.
„Ich möchte, dass du gehst", hauchte ich, auch, wenn alles in meinem Körper sich dagegen sträubte. Jede Faser meines Körper wollte zu ihm.
Doch es war erst mal das Beste für uns beide. Ich musste mir erst über all das klar werden, was in letzter Zeit passiert war und das musste ich allein tun.
Er schluckte und sah mich ein letztes Mal tiefgründig an.
Dann drehte sich Finn um und ich hatte nur noch Sicht auf seinen Rücken, der in der Masse verschwand.

SCHUTZENGELWo Geschichten leben. Entdecke jetzt