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A U R O R A

Diese Nacht hatte ich wieder diesen Traum. Das Feuer im Café züngelte sich in meine Richtung und umzingelte mich. Dann tauchte Logan vor mir auf, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, bis das Feuer anfing, an ihm zu nagen und sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte.
Logan fiel zu Boden und ich musste mit ansehen, wie er verbrannte. Der Geruch seines verbrannten Fleisches stieg mir in die Nase. Mir kamen die Tränen, es tat immer wieder weh, ihn so zu sehen und ich wollte zu ihm, wollte ihm helfen und wollte ihm sagen, dass es mir leid tat.
Aber ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen. Meine Hände lagen in Ketten, die scharf in meine Haut einschnitten. Ich zerrte mit all meiner Kraft, aber ich kam nicht vorwärts, ich konnte ihm nicht helfen. Ich musste zusehen, bis sein Körper komplett verbrannt war.
Und dann ertönte ein Schrei. Er kam von mir.
Und plötzlich verblassten die Flammen und die Ketten lockerten sich um meine Handgelenke.
Ich spürte, wie sich zwei Arme um meinen Körper schlangen und wie mich Wärme umschloss, die mein Zittern dämpfte und die schrecklichen Bilder verblassen ließ.
Ich atmete Finn's Duft ein und die Leiche von Logan, welche vor mir lag, verschwand allmählich.
„Danke", flüsterte ich und war froh, dass er bei mir war.

F I N N

Sie lag in meinem Arm und fing allmählich an, sich zu beruhigen und hörte auf, zu zittern.
Aurora hatte wieder ihren Alptraum gehabt, von dem Brand vor einigen Wochen.
Ich durfte sie eigentlich nicht so im Arm halten, ich durfte nicht mal so neben ihr liegen – und dennoch tat ich es.
Sie hatte geschrien und geweint und ihre Angst schlug wie Wellen auf mich ein. Ich sah die Bilder in meinem Kopf und erlebte, was ihr passiert war, immer wieder aufs Neue.
„Wie konnte ich nur überleben?", hörte ich sie flüstern und schon atmete sie wieder ruhiger und war wieder eingeschlafen.
Dabei gingen mir Gedanken durch den Kopf, die sich wie Kletten festhakten und mich nicht schlafen ließen.
Was wäre, wenn sie es wüsste? Wie würde sie reagieren? Einige Antworten würden ihr beantwortete werden. Vielleicht wäre es dadurch für sie einfacher.

***

Wir liehen und Fahrräder aus und hatten heute vor, um den See zu fahren. Ich mochte Aurora's Freunde, Cece erinnerte mich sogar ein kleines bisschen an Sophie. Sie hatte genauso ein Temperament.
Aurora und ich hatten heute Morgen nicht viel geredet, wahrscheinlich wussten wir beide nicht, was wir sagen sollten, oder ob wir über letzte Nacht sprechen sollten. Ich hatte beschlossen, sie trotzdem zu fragen, was sie geträumt hatte. Ach wenn ich es schon wusste, aber das wusste sie ja nicht.
Wir fuhren einen schönen Radweg, der kaum bergig war. Die Sonne schien kräftig, aber durch die einzelnen Windböen, war es relativ angenehm.
Ich wagte einen kurzen Blick zu Aurora. Ihre schönen kastanienbraunen Haare wehten im Wind und auf ihrem Gesicht saß ein Lächeln. Ich könnte diese Frau immer wieder ansehen und würde trotzdem immer wieder über ihre Schönheit staunen.
Was ich ihr nur alles bieten würde, wären die Umstände anders.
Hätten wir uns in einem normalen Leben kennengelernt, müsste ich mich nicht von ihr fernhalten und dürfte sie berühren und ihre Nähe spüren.
Mein Gewissen stach mir bei diesen Gedanken an den Hinterkopf. Ich sollte wirklich nie wieder so denken und wendete den Blick ab.

A U R O R A

Nach einer Weile setzten wir uns auf eine kleine Rasenfläche, die an einen Steg grenzte. Keine Menschenseele hielt sich hier auf. Bis auf den Mann, der an dem kleinen Imbiss am Radweg arbeitete.
„Ich brauche definitiv eine Abkühlung", schnaubte Nathan und zog sich sein Shirt über den perfekten Oberkörper. Die Hose war auch schnell weg, sodass er in Boxershorts schließlich auf den Steg zu rannte. Cece tat es ihm schnell nach.
„Los, habt euch nicht so", lachte sie, während sie wahrscheinlich meinen misstrauischen Blick betrachtete.
Ich zog also mein Shirt, Hose, Schuhe und Socken aus. Auch Finn sprang auf und schmiss sein Shirt ins hohe Gras. Ich konnte nicht anders, ich konnte einem kurzen Blick nicht widerstehen, während er seine Hose aufknöpfte.
Die Muskeln spielten in seinen Bewegungen. Auf seiner ganzen Brust malte ein Tattoo, ein dunkles Muster in geschwungenen Linien.
Bevor er wieder aufsah, wandte ich meinen Blick wieder ab, was mir sehr schwer fiel und rannte ans Wasser, wo ich mit einem Satz in die kühle Oberfläche eintauchte.
„Das haben wir lange nicht mehr gemacht", lachte Cece und duckte sich vor den Spritzern, die Finn mit seinem Sprung hinterließ.
Er tauchte mit einem Grinsen wieder auf und fuhr sich mit der einen Hand durch das nasse Haar.
Wir blieben nicht lange drin, dann wurde es zu kalt und Finn und ich setzten uns wieder raus zu den Sachen, während Cece und Nathan noch ein Wettschwimmen veranstalteten. Geschwister halt. Das war schon Tradition bei den Zweien, da waren wir noch klein.
„Was hast du letzte Nacht geträumt?", fragte mich Finn und seine Augen stachen unter den dunklen Strähnen hervor.
„Von dem Brand im Café. Ich träume immer wieder davon und immer dasselbe", seufzte ich und spürte einen Kloß in meinem Hals.
„Das wird irgendwann vorbeigehen", sagte er mit beruhigender Stimme.
„Danke, dass du mir geholfen hast... die Nacht", gestand ich und sah schüchtern zu ihm rüber.
Er lächelte, was mein Herz schmelzen ließ. Verdammt, warum lächelte er so verlockend?
„Dir ist kalt", stellte er fest und warf mir eine Jacke hin, die er aus seinem Rucksack holte.
Ich nahm sie dankend an und streifte sie über, wobei mir sofort sein Geruch auffiel, der mich jetzt umgab.
„Ich habe nie so was gemacht", fing er an, „Einen Urlaub, mit Freunden wegfahren, Fahrräder ausleihen und an einen See fahren."
Ich starrte ihn ungläubig an.
„Wo ist deine Kindheit, junger Mann?"
„Tja, die gab es nie."
„Das musst du mir genauer erklären."
„So neugierig", schmunzelte er und strich verschmitzt mit der Zunge über seine Zähne.
„Du hast angefangen, jetzt erzähle gefälligst weiter", protestierte ich und stupste ihn gegen die Schulter.
„Na gut. Für mich gab es strenge Regeln und immer nur das Internat. Jeden Tag darauf getrimmt zu lernen, wir sind nie weggefahren oder haben Urlaub gemacht. Es wurde nur Wert darauf gelegt, dass wir alles perfekt konnten."
„In welcher Welt bist du denn bitte aufgewachsen?"
„In einer Welt, die keine Zeit für kindlichen Spaß hatte." Er sah auf seine Hände und ich erkannte, dass er es bedauerte. Wer würde das auch nicht tun?
„Wir wollen uns ein Eis holen, kommt ihr mit?", fragte Cece und sah mit einem vielsagendem Blick zwischen uns beiden hin und her, als sie aus dem Wasser kam.
„Wie habt ihr zwei euch eigentlich kennengelernt?", fragte Cece auf einmal während wir unser Eis verdrückten. Finn sah wahrscheinlich genauso überfordert aus, wie ich. Niemand von uns beiden hatte erwartet, dass das angesprochen wird. Da er nichts sagte, meldete ich mich zu Wort.
„Auf der Party, auf die du mich mitgeschleppt hast, hat mich ein betrunkener Typ überfallen, also er wollte offensichtlich irgendwas. Finn ist aufgetaucht und hat mich quasi vor ihm gerettet." Ich schmunzelte kurz zu ihm rüber, aber sein Gesicht verzog keine Miene.
Sein Spaß und seine Freude waren jetzt plötzlich nicht mehr zu sehen, er schien irgendwie angespannt und ich hatte Angst, ihm wäre das irgendwie peinlich.
„Das hätte ich bei jeder anderen auch gemacht. Das war doch keine große Sache", meinte er verlegen.
Irgendwie tat mir seine Antwort mehr weh, als sie sollte. Das hätte er bei jeder anderen auch gemacht? Also schien ich für ihn gar nichts Besonderes zu sein. Wieso machte mich das traurig – schließlich kannte ich ihn kaum.
Auch Cece schien kurz zu schlucken, als hätte sie so eine Antwort gar nicht erwartet.
Nachdem wir unser Eis gegessen und noch ein bisschen über belangloses Zeug gequatscht hatten, machten wir uns schließlich wieder auf den Rückweg zum Haus.

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