A U R O R A
Es war anders. Ein ungewöhnlicher Anblick in der mir vertrauten Umgebung. Ob es die alte Frau war, die jeden Donnerstag fragte, was wir für Kuchen in unserem Sortiment haben und trotzdem jedes Mal denselben nahm, oder ob es das kleine Mädchen war, dass sich jede Woche mindestens einmal schüchtern einen Keks kaufte, das ich heute vermisste, oder ob es der mürrische Mann war, der jeden Tag nach der Arbeit seinen Kaffee, an dem kleinen Tisch hinten links am Fenster, trank, konnte ich nicht genau sagen. Es war nun mal ungewohnt einer geschlossen Veranstaltung von Männern in hochwertigen Anzügen Kaffee und Kuchen zu servieren.
Der Rauch ihrer Zigaretten verpestete meine Lunge und ich sah ständig auf die Uhr, deren Zeiger im Schneckentempo voranschritten. So sehr ich meine Arbeit auch mochte, dies hier war nicht die perfekte Vorstellung von meinem kleinen Job. Ich liebte es zu sehen, wie Beziehungen anfingen und wie sie wieder zu Ende gingen. Die Mädchengruppe, die sich ständig über die Jungs an ihrer Schule unterhielten, alte Ehepaare, die die Liebe noch nicht verloren hatten und junge Menschen, die sich in unserem kleinen Café einander versprachen.
Aber das laute Gelächter der Geschäftsmänner zerstörte das Gemütliche in diesem Raum, übertönte die entspannende Musik, die über den Fernseher lief und machte mich wahnsinnig.
„Jetzt beeile dich ein bisschen. Die Herren warten auf ihren Kaffee", kam Logan gestresst um die Ecke, ein Blech mit frisch gebackenen Muffins auf den Händen. Aber selbst die konnten den widerlichen Gestank des Rauches nicht vernichten. Ich nahm das Tablett mit den, im französischen Stil, verzierten Tassen und brachte es vorsichtig zu dem großen Tisch, um den die Männer saßen. Nachdem ich sie abgestellt hatte, lief mir ein Gänsehaut sträubender Schauder über die Haut, als die Hand des Mannes neben mir über meinen Rücken strich und mich seine Augen von oben bis unten musterten.
„Danke, schöne Frau", seufzte er.
„Pfoten weg!", fauchte ich ihn an, schlug gegen seinen Arm und eilte wieder hinter den Tresen, wo ich ihn im Stillen verfluchte. Was fiel ihm bitte ein? Logan kam, nachdem er die Männer nach ihrem Wohlbefinden gefragt hatte, ebenfalls wieder hinter den Tresen und bemerkte mein wütendes Gesicht.
„Sei nicht so unfreundlich. Sie werden viel Geld bezahlen und du weißt, dass wir das Geld brauchen!" Seine schokobraunen Augen sahen mich warnend an.
„Ich lasse mich von so einem Schnösel nicht betatschen! Hast du das denn nicht gesehen?"
„Mach dich wieder an die Arbeit und denke einfach an dein Trinkgeld", fauchte Logan zurück und warnte sie nochmals nachdrücklich mit einem genervten Augenbrauenzucken.
„Noch einmal und ich breche ihm die Hand!"***
Dann machte ich mich noch weitere zwei Stunden an die Arbeit, servierte den Männern Kaffee, später Alkohol und jede weitere Minute wünschte ich mir, sie würden einfach gehen. Ich konnte natürlich verstehen, dass Logan das Geld brauchte, denn auch wenn jeden Tag Kundschaft kam, lief dieser kleine Laden nicht mehr so gut, wie früher. Die ganzen Fastfoodketten nahmen uns immer mehr die Leute weg, zumindest sah ich das so. Deswegen meide ich so etwas wie Subway oder Burgerking und unterstütze mit meinem Geld lieber kleine Restaurants oder Obsthändler, die noch jedes Wochenende ihre Stände auf dem großen Marktplatz, nicht weit von hier, aufbauten. Meine Eltern hielten mich für sehr altmodisch und mein Vater sagte immer, dass ich mich zusammenreißen sollte. Die Welt drehte sich weiter und ich sollte mich, seiner Meinung nach, mitdrehen. Ich hörte nicht auf sie, immerhin war es mein Leben. Ich war neunzehn, langsam konnte ich also selbst entscheiden was ich tat und was nicht. Auch meine Freunde fanden meine Sichtweise manchmal ein bisschen albern, es passte nicht zu ihrer Sichtweise. Trotzdem liebten sie mich so wie ich bin und gehen mit mir sogar mal in ein kleines Restaurant in einer Seitenstraße, welches nicht viel Kundschaft besaß. Natürlich musste ich auch mal entgegenkommen und mich mit zu McDonald's setzten...
Während ich anfing, das Geschirr abzuwaschen, spürte ich immer noch den stechenden Blick des Mannes, der mich vor ein paar Stunden berührt hatte. Er durchbohrte mich, wie eine Klinge. Logan kam aus der Küche, Falten lagen auf seiner Stirn, die ihn irgendwie älter aussehen ließen als 26. „Haben die Herren noch einen Wunsch?"
„Wir würden gerne zahlen", antwortete der Mann am Kopf des Tisches, dessen Heiterkeit etwas abgeflaut war, als es noch vor ein paar Minuten war. Auf seinem Gesicht schleierte eine angsteinflößende Ernsthaftigkeit und seine Miene war undurchdringlich. Er ließ mich nicht unbeobachtet, auch wenn seine Augen mich nicht direkt ansahen. Ein unwohles Gefühl kribbelte in meinem Bauch. Was wollte der Mann von mir? Er musste doch mindestens zwanzig Jahre älter sein...
Auch die anderen Männer bemerkten die Stimmung und das Gelächter verstummte allmählich. Logan gab ihnen die Rechnung und ich sah, dass sie ein ordentliches Trinkgeld daließen. Ich konnte mir genau vorstellen, wie glücklich Logan gerade sein musste und ich freute mich für ihn. Auch wenn es den Laden nicht vollkommen aufpeppelte, half es trotzdem ein wenig.
Die Männer verließen der Reihe nach das kleine Café, wobei der eine schon nicht mehr gerade gehen konnte und die Flüssigkeit aus seinem edlen silbernen Flachmann, den er zum Ende herausgeholt hatte, überall auf unserem schönen Linoleumboden verteilte.
Na toll! Wegen dem Idiot durfte ich dann auch noch wischen.
Der Mann, der womöglich der Gastgeber dieses Treffens war, bedankte sich bei meinem besten Freund mit einem festen Händedruck und verließ ebenfalls das Café. Beim Herausgehen trafen sich unsere Blicke noch ein einziges Mal und erst dann sah ich die glühende Zigarette, die bis jetzt noch locker zwischen seinen Fingern hing und nun auf das nasse Linoleum fiel. Diese eine Sekunde, in der ich begriff, dass es sich bei der Flüssigkeit nicht um was zu Trinken handeln konnte, fühlte sich an wie Minuten. Die Augen des Mannes glichen denen einer Wildkatze, die ihr Opfer fixierte und jetzt vorhatte, zuzuschlagen. Er betrat gerade die Straße vor der Schwelle, die Tür fiel ins Schloss und es war wie ein Kuss, sacht, hauchzart, konnte aber so viel anrichten. Und dieser Kuss zwischen der Zigarette und der Flüssigkeit, ließ den den Boden entflammen und das Feuer züngelte sich sofort der Nässe entlang. Logan, der sich gerade zu mir umgedreht hatte, um mir unseren Gewinn zu zeigen, bemerkte die heißen Zungen, die sich wie Schlangen auf ihn zu bewegten, erst gar nicht. Doch dann war es zu spät. Ich schrie als die Flammen seine Kleidung erfassten und sein fröhliches Gesicht sich erschrocken und voller Schmerz verzerrte. Mein Körper war wie eingefroren, als ich mit ansehen musste, wie Logan vor mir am lebendigen Leib verbrannte und das Feuer anfing, sich durch den ganzen Raum zu fressen.
‚Aurora tu' endlich etwas!', fauchte mich meine innere Stimme an und war wie ein Weckruf für meine Muskeln. Sofort löste sich meine Starre und verwandelte sich in Adrenalin. Meine schweißnassen Hände griffen, als wären es nicht meine, nach dem Feuerlöscher hinter mir. Ich rannte um den Tresen, der Weg kam mir viel zu lang vor, und sprühte den Schaum. Logan war zu Boden gegangen, seine Schreie erstickten und er wehrte sich nicht mehr gegen die jetzt zurückgehenden Flammen. Mein Herz drohte aus meiner Brust zu springen. Um mich war es heiß, es hatte alles angefangen zu brennen. Tische, Stühle, Gardinen, Fensterrahmen. Der Rauch verpestete die Luft und ich musste unaufhörlich husten. Ich band mir schnell meine Schürze um Mund und Nase und ließ meinen Blick umherschweifen, mit der ständigen Angst, dass es gleich für uns beide vorbei war. Die Tür war völlig versperrt, Flammen kletterten wie Ranken am Rahmen nach oben, Holz bröckelte herunter. Schlagartig fiel mir die Hintertür in der Küche ein. Dort brachten wir immer den Abfall heraus. Warum war mir das denn nicht früher eingefallen?!
Logan lag reglos am Boden. Ich traute mich nicht, seinen Puls zu fühlen, klammerte mich an der Hoffnung fest, dass sein Herz noch schlug und versuchte mit all meiner Kraft, ihn in die Küche zu schleifen. Er war schwerer als es sein schmächtiger Körper von außen zugab. Ich hatte Mühe, ihn schnell genug von den Flammen wegzuzerren, die wie ausgestreckte Krallen nach uns kratzten und nach unseren Körpern forderten. Jetzt bereute ich zum ersten Mal, dass ich mein Abo jeden Monat im Fitnessstudio fleißig bezahlt hatte, aber nie dort aufgetaucht war.
Mit brennender Lunge erreichte ich die Küche, doch selbst da stand der Rauch schon wie eine dunkle dicke Wolke an der Decke. Das Feuer leckte nun schon an der Tür hinter uns – ein Zurück gab es jetzt nicht mehr - und meine Angst stieg immer weiter. Es brannte viel zu schnell! Ich rüttelte an der noch kalten Klinke und warf mich mit aller Kraft gegen die schwere Metalltür. Aber sie gab nicht nach. Panik kroch in jede Faser meines Körpers und ich fing am ganzen Leib an, zu zittern. Das Bild meiner verbrannten Leiche, die wie ein Häufchen Elend neben der von Logan lag, vernebelte meine Konzentration, die ich jetzt dringender denn je brauchte. Ich wusste innerlich, ich würde sterben, aber ich hatte noch nicht aufgegeben. Mit zitternden Händen wühlte ich in Logan's Taschen, irgendwo musste sich doch der verdammte Schlüssel verstecken. Seine Haut sah fürchterlich aus und roch nach verbranntem Fleisch.
Kein Schlüssel.
Ich durchsuchte jedes Schubfach, jeden Schrank.
Kein Schlüssel.
Ich konnte ihn einfach nicht finden und jetzt brach die Verzweiflung wie eine Welle auf mich herein. Ich zerrte mit letzter Kraft, Logan von dem Feuer, das jetzt die Küchenschränke zerfraß, weg. Erschöpft und geschlagen ließ ich mich am Metall, der Barriere zur Freiheit, sinken. ‚Das war's', war mein einziger Gedanke. Tränen rannen mir über die Wangen und ich dachte an meine Mutter, meinen Vater, meinen kleinen Bruder, der das mit seinen elf Jahren noch nicht verkraften würde,wenn seine Schwester nicht mehr da wäre. Sie wussten gerade nicht, dass ich an der Grenze zum Tod stand und das sie mich wahrscheinlich nicht mehr wieder sehen würden.
Und ich würde sie auch nie wieder sehen.
Es war ein Albtraum, einer den man sich nie vorstellen mochte. Ich hatte immer noch die Hoffnung, es würde gleich vorbei sein und ich würde in meinem Bett aufwachen. Aber es war Realität, das Café brannte wirklich. Logan bewegte sich vor mir wirklich nicht. Es war wirklich keine Rettung in Sicht.
Das Feuer verbrannte jetzt mein Gesicht, die Flammen, die immer näher kamen, versprühten eine ungeheure Hitze, der keiner entkommen konnte. Ich schloss meine Augen und verspürte plötzlich eine angenehme Ruhe in mir. Nur gedämpft hörte ich das Knistern. Mein Herzschlag, der immer schwächer wurde, übertönte alle anderen Geräusche. Das Blut pulsierte in meinen Ohren und dann wurde es schwarz. Meine Knochen wurden unglaublich schwer. Ich hörte auf über irgendetwas nachzudenken und wurde müde. Der Rauch vertrieb jeglichen Sauerstoff, sodass ich spüren konnte, wie meine Atmung immer schwächer... und schwächer... wurde.
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SCHUTZENGEL
Romance~Dann drehte er sich um und ich sah direkt in seine Augen, deren Bernsteinfarben mich in ihren Bann zogen. Sein schwarzes Haar lag ihm ein bisschen in der Stirn. Er beugte sich zu mir und ich konnte seinen wunderbaren Duft riechen, sodass meine Knie...