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A U R O R A

Eine Woche war vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte und es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Sonst schien er überall zu sein. Immer wieder trafen wir aufeinander. Doch da war jetzt nur noch eine Leere, die ich nicht verstand.
Eine Leere, die einfach da war und auch nicht wieder fortging. Nach dieser Leere handelten mein Körper, meine Sinne und mein Verstand. Ich konnte es nicht erklären.
Alec ignorierte mich, seit ich ihn im Restaurant sitzen lassen musste und ich fühlte mich echt mies deswegen. Ich hatte ein paar Mal versucht ihn anzurufen, aber immer wieder ging diese verdammte Mailbox heran. So konnte ich ihm noch nicht einmal die Situation erklären.
Ich setzte gerade meinen kleinen Bruder beim Fußballtraining ab und holte mir danach noch einen Kaffee. Während die Barista meinen Café Americano machte, erwischte ich mich dabei, wie meine Augen den Raum absuchten.
Nach ihm.
Aber ich konnte ihn nirgends sehen. Es war, als wäre er verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben und ich hasste es. Auch, wenn ich nicht wusste, welche Verbindung wir zueinander hatten.
Ich bedankte mich, bezahlte und verließ enttäuscht das Café.
Meine Albträume waren auch nicht besser geworden. Immer wieder sah ich, wie Logan im Feuer sein Leben verlor. Mit Finn war das besser, er schenkte mir Kraft.
Ich setzte mich in mein Auto und sah eine Nachricht von Cece auf dem Display meines Handys.
„Unsere Eltern sind heute nicht da, also heute Abend bei mir. Wir kochen Nudeln, bis später, Süße XO."
Ich stimmte zu. Cece war die beste Ablenkung, die man sich wünschen konnte.
Ich sollte aufhören, so ein Drama zu machen. Wir hatten uns nicht lange gekannt. Finn war in mein Leben getreten und wollte nicht darin vorkommen. Das hatte er von Anfang an entschieden und dagegen konnte ich nichts machen.
Dennoch musste ich an ihn denken, wie ich vorher an noch keinen gedacht hatte.

***

„Hereinspaziert!", quiekte Cece und ich betrat das riesige Haus, dass ich schon seit meine Kindheit kannte. Cece nahm mir die Flasche Wein, welche ich mitgebracht hatte, aus der Hand und hüpfte in die Küche. Ich folgte ihr und begrüßte Nathan, der schon das Wasser für die Nudeln auf dem Herd hatte. Dann klingelte es an der Tür.
„Ich mache auf", rief ich, als ich schon in Richtung Haustür lief und sie öffnete.
Wen ich da sah, hätte ich nicht erwartet.
Auf seiner schweren Lederjacke perlten die Regentropfen ab. Es muss wahrscheinlich gerade erst angefangen haben, zu regnen. Seine blonden Haare hatte er streng nach hinten frisiert, wie, als er sich im Restaurant vor einer Woche neben mich gesetzt hatte.
„Hallo", sagte er mit einer sehr tiefen Stimme und irgendwie hatte ich kein gutes Gefühl, „Erkennst du mich?"
Ich rüttelte mich selbst aus meiner Starre und erwiderte seine Hand, die er mir freundlich hinhielt. Doch, als ich sie berührte, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken und ich wusste nicht, warum.
„Ja, Sean. Ich erinnere mich."
„Und willst du mich reinlassen? Cece hat mich eingeladen."
„Ja, ja klar." Ich ließ ihn eintreten und beobachtete, wie er seine Jacke auszog und wirklich sehr viele Muskeln zum Vorschein kamen.
Wortlos führte ich ihn in die Küche.
„Hi, Babe", begrüßte meine Freundin den Neuankömmling, lief zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
Nathan und ich sahen uns gleichzeitig verwundert an. Wahrscheinlich hatte er davon auch nichts gewusst.
„Also, das ist Sean und wir sind sozusagen", sie schielte verstohlen zu dem großen und breit gebauten Mann rüber, „Zusammen."
Ich konnte nicht anders, aber mir klappte wortwörtlich die Kinnlade runter. Das kam daher, dass ich versuchte, zu sortieren und zu ergründen, was er letzte Woche an meinem Tisch zu suchen hatte.
„Was guckst du denn so entgeistert?", lachte Cece verlegen.
„Ich bin nur überrascht", gab ich zu und sie schien erleichtert.
Also half ich Nathan mit den Nudeln, während sich die beiden aufs Sofa begaben.
Dann klingelte es nochmal an der Tür und Alec kam mit Cece, welche ihn hereingelassen hatte, in die Küche.
„Nun sind wir komplett", verkündete sie und stellte ihren neuen Freund nochmals vor, wobei auch Alec überrascht war.
Dann trafen sich unsere Blicke und ich sah, wie verletzt er war. Ich wusste nicht, wie ich es erklären sollte, aber ich musste es definitiv versuchen.
„Können wir kurz reden?", fragte ich und in mir zog sich jetzt schon alles zusammen, als er nur wortlos nickte und mir in den Flur folgte.
„Alec, es tut mir wahnsinnig leid. Ich hatte versucht, dich zu erreichen, aber du bist nicht ran gegangen", fing ich an.
„Ich hatte auch einen Grund dazu", brummte er und sah mich nicht einmal an.
„Bitte lass mich das erklären. Finn kam plötzlich ins Restaurant und hat gesagt, dass ich mitkommen soll, weil es ein Notfall ist. Besser gesagt, hat er mich aus dem Restaurant rausgezerrt. Ich hatte gar keine andere Wahl, Alec."
Doch seine Augen musterten mich nur mit noch mehr Enttäuschung.
„Was war es denn für ein Notfall", blaffte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Doch ich konnte nicht antworten. Damit hatte ich nicht gerechnet.
„Gut", er biss die Zähne aufeinander und seine Kieferknochen malten, „Ich weiß Bescheid."
„Nein, so war das nicht. Bitte, ich mache es wieder gut. Sag mir nur wie", flehte ich ihn an, weil ich gerade dabei war, ihn zu verlieren.
Er rieb sich das Gesicht und raufte sich das dunkle Haar, als wäre er es leid, mir noch weiter zuhören zu müssen.
„Alec, zwischen mir und Finn ist rein gar nichts", versuchte ich ihm klarzumachen. Dabei wusste ich nicht, ob das stimmte. Wahrscheinlich eher nicht, wie hatten uns zweimal geküsst.
Aber jetzt war es vorbei. Er wollte es so und dabei würde es jetzt bleiben.
Alec nickte. „Ja, okay. Aber das verzeihe ich dir erst, wenn du mich auf einen Drink in deiner Bar einlädst", lächelte er jetzt und mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich legte meine Arme um seinen Hals und umarmte ihn dankbar.
Danach gingen wir wieder zurück zu den anderen.
Als wir die Küche, die gleich an das geräumige Wohnzimmer grenzte, erreichten, trafen mich sofort Sean's Augen. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich in seiner Nähe nicht wohl. Ich wusste nicht warum, aber das Gefühl war einfach da und hing wie eine Klette an mir, ließ mich nicht los. Aber er war jetzt nun mal der Freund meiner besten Freundin und irgendwie musste ich damit klarkommen. Dennoch fragte ich mich, was das letzte Woche im Restaurant genau sollte. Bevor Finn uns unterbrochen hatte, wollte er mit mir ein Gespräch anfangen und irgendwie hatte ich dabei das Gefühl, dass er mich schon irgendwoher kennen würde.
Wir setzten uns alle an den großen Tisch, an den noch einige Leute mehr passten und aßen die Nudeln, die Nathan für uns gemacht hatte.
„Also, wie lange kennt ihr euch schon", fragte Nathan seine Schwester und sprach die Frage aus, die Alec und mir wahrscheinlich auch schon auf der Zunge lag.
Cece grinste und Sean griff nach ihrer Hand. „Noch nicht sehr lange. Es müsste jetzt eine Woche sein", feixte sie und Sean sah mich schon wieder an.
Wenn dieser Typ nicht bald aufhörte, mir so viel Aufmerksamkeit zu schenken, würde ich ihn zur Rede stellen.
„Das ging aber schnell", schmunzelte ich.
„Hey, sagst gerade du!", sie zeigte mit dem Finger auf mich und wackelte verräterisch mit den Augenbrauen.
Ich schluckte, als ich wieder an Finn denken musste und versuchte den Gedanken schnell beiseite zu schieben. Das war vorbei und das musste ich akzeptieren.
Aber so einfach war das nicht.
Seine Berührungen in meinen Gedanken, verursachten mir immer wieder eine Gänsehaut und mein Herz geriet außer Kontrolle, ohne, dass ich es kontrollieren konnte.
So hatte ich noch nie gefühlt, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren, auch, wenn ich es eigentlich sollte.
Allein, wenn ich an seinen Blick dachte, daran dachte, wie er mich ansah, veränderte sich etwas in mir.
Verdammt, ich wollte bei ihm sein, wollte ihn kennenlernen. Ich wollte sein Lachen hören, wollte ihn berühren können und mit ihm die tiefgründigsten Gespräche führen, die das Universum je gesehen hatte.
Ich hatte das Gefühl, dass so unendlich viele Dinge hinter der eisernen Fassade dieses Mannes steckten und ich wollte jedes einzelne Detail Stück für Stück entdecken.
Aber er ließ mich nicht an sich heran. Er blockierte mich und ich verstand nicht, weshalb.
„Erde an Aurora!", lachte Nathan und fuchtelte vor meinem Gesicht herum, „Alles in Ordnung?"
Ich blinzelte ein paar Mal, als wäre ich gerade aus einem Traum aufgewacht. Wahrscheinlich war dies auch so – ein Traum. Einer, der niemals in Erfüllung gehen würde.
„Entschuldigung, was habt ihr gesagt?, stotterte ich und nahm einen Schluck von dem süßen Wein.
„Was dich so beschäftigt", lachte Cece.
„Ach, nichts Wichtiges. Ich bin gerade meinen Dienstplan durchgegangen", log ich.

F I N N

Ich hatte schon die ganze Zeit dieses unwohle und bedrückende Gefühl in meiner Brust, dass ich seit einigen Stunden nicht loswurde. Ich wusste, dass es von Aurora kam und ich würde jetzt gern dem Drang nachgeben und einfach zu ihr gehen. Aber es lag nichts Ängstliches in ihrer Stimmung, weshalb ich keinen Grund hatte. Also zwang ich mich, hierzubleiben. Sie durfte mich nicht mehr sehen, zumindest nicht, wenn es vermeidbar war.
Ich hatte einen Fehler begangen und sie viel zu nah an mich herangelassen. Dieses wunderschöne Mädchen hatte meinen Verstand vernebelt, noch immer ließen mich ihre zarten Lippen nicht los. Noch immer spürte ich das Gefühl, als ich von ihnen kosten durfte und ich wollte es wieder tun.
Ich schloss meine Zimmertür im Institut auf und ließ mich erschöpft aufs Bett fallen. Heute war ein anstrengender Tag gewesen. Elijah hatte von früh bis spät Training aufgetischt. Gefahrenfrüherkennung, Kampftraining, Training unserer Heilkraft. Meine Körper fühlte sich an, wie Blei.
Also stieg ich unter die Dusche und drehte das Wasser auf. Die Hitze tat meinen müden Muskeln gut und ich konnte mich allmählich entspannen.
Und da war es wieder.
Ein Gefühl von Misstrauen, gemischt mit einer Aufgewühltheit, die mir gar nicht gefiel.
Was war mit ihr? Über was machte sie sich solche Gedanken? War dieser Alec gerade bei ihr?
Verdammt, sie sollte hier bei mir sein. Ich konnte es nicht verleugnen, denn tief im Inneren wollte ich es so sehr. Ich würde sie in den Arm nehmen und sie auf andere Gedanken bringen, egal wie.
Und ich hasste mich dafür, dass ich so dachte. Ich hasste meine Welt dafür, dass ich so nicht denken durfte. Ich fing an, diese Umstände zu verabscheuen, die es mir verbaten, bei ihr sein zu können.
Was hatte sie nur mit mir angestellt?

SCHUTZENGELWo Geschichten leben. Entdecke jetzt