F I N N
Das Knallen der Tür, als sie weinend meine Wohnung verließ, konnte ich am ganzen Leib spüren. Es waren wie Messerstiche, die auf mich einstachen, ließen mein Herz bluten und ich hatte das Gefühl, dass es nie wieder aufhören würde. Ab dem Moment an, als sie meine wahre Gestalt gesehen hatte, wusste ich, dass ich sie verloren hatte. Ich hatte es in ihren Augen gesehen. Sie hatte sich so verraten gefühlt und war so verwirrt, dass es mir in der Seele wehtat.
Ja, ich hatte Hoffnung gehabt, als sie zuließ, dass ich sie hier her brachte, aber die Hoffnung war verflogen, als ich in ihre schwachen Augen gesehen hatte, nachdem sie aufgewacht war.
Da war Leere und das Strahlen war verschwunden. Ihr Zorn, ihre Enttäuschung und ihre Traurigkeit prallten auf mich, wie Wellen an scharfe Felsen. Es waren die schlimmsten Gefühle, die ich je spüren durfte und noch jetzt schimmerten sie in mir, obwohl sie, wer weiß wie weit, schon weg war.
Ich hätte hinterher gehen müssen. Ich hätte sie aufhalten und sie dazu zwingen müssen, bei mir zu sein und mir zu verzeihen.
Aber wie hätte ich das anstellen sollen?
Ich ballte meine Fäuste, die Wut brodelte in mir. Es war ein riesiger Fehler gewesen, sie nach einem Kaffee zu fragen. Es war falsch, überhaupt mit ihr geredet zu haben. Tief im Inneren wusste ich, dass ich das jetzt denken musste. Ich wollte so nicht denken, denn ich bereute nichts, was zwischen uns passiert war. Außer der heutige Abend. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und alles ungeschehen machen.
Ich wäre mit ihr bei mir in der Wohnung geblieben, da, wo wir sicher gewesen wären.
Ich hatte es vermasselt. Natürlich waren wir draußen angreifbar, aber ich habe nicht weiter darüber nachgedacht, sondern einfach die Zeit mit ihr genossen.
Hätte ich die Gefahr schon vorher erkennen müssen? Hatten die Typen etwa schon vor dem Restaurant gelauert?
In meiner Wut schlug ich gegen die Wand, was sich schmerzhaft in meinen Knöcheln zeigte.
Es sollte alles nicht so laufen. Sie hätte niemals erfahren dürfen, was ich war. Doch nun war es zu spät und ich wusste nicht, wie ich das wieder hinbekommen wollte. Sie wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, aber ich musste meine Aufgabe trotzdem weiter verfolgen. Dafür wurde ich geboren, einen anderen Sinn im Leben hatte ich nicht. Ab dem Tag, an dem ich ihr Blut getrunken hatte, konnte ich an nichts anderes denken. Meine Gedanken drehten sich nur noch um Aurora und ich wollte nichts anderes.
Ich wusste nicht, wie lange ich hier saß und einen Punkt weit in der Ferne anstarrte. Gerade fühlte ich nichts außer Leere. Es war, als hätte sie meine ganze Körperwärme mit sich genommen. Ich fühlte mich, wie ein Häufchen Elend. So schlimm hatte ich das letzte Mal gefühlt, als mein Vater gestorben war.
Vielleicht waren zwei Stunden vergangen. Es könnten auch drei gewesen sein. Die Sonne hangelte sich am Horizont ganz langsam nach oben, als wäre ihr Leben auch so schlimm, wie meins gerade. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge mehr zu getan und ich fühlte mich schlecht, dass ich sie allein nach Hause gehen lassen habe. Aber ich habe die ganze Zeit auf ihre Gefühle geachtet und hatte nur Traurigkeit, Verletzlichkeit und Wut spüren können. Diese Gefühle haben mich fertig gemacht. Ich wollte nicht, dass sie so über mich denkt. Ich hatte alles kaputt gemacht. Schon, als ich das erste Mal mit ihr gesprochen hatte, hätte ich wissen sollen, dass dies ein Fehler gewesen war. Ich hätte es wissen sollen, aber ich wollte es nicht zulassen. Aurora hat mir den Verstand genommen und mein Herz.
Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so etwas fühlen konnte, aber bei ihr war das etwas anderes. Ich konnte einfach nicht in Worte fassen, was es war, dass ich so nach ihr lechzte.
Mühselig stand ich vom Bett auf, meine Glieder fühlten sich schwer wie Blei an, als würde der ganze letzte Tag und die Nacht an mir hängen.
Ich musste in einer halben Stunde im Institut sein. Alles in mir sträubte sich dagegen. Ich wollte bei Aurora sein, doch das war gerade nicht möglich, ich würde wahrscheinlich alles einfach nur noch schlimmer machen.
Ich ging ins Bad und meidete es, mich im Spiegel anzusehen. Ich wollte nicht daran erinnert werden, wie sie mich gesehen hatte.
Nachdem ich fertig und einigermaßen ansehbar war, nahm ich mein Zeug und verließ die Wohnung, die ich wahrscheinlich nie wieder betreten würde. Die Wohnung hatte ich seit Jahren nicht mehr betreten. Sie war etwas, was von meinem Vater übrig geblieben war und ich wollte mir das nicht antun, aber als ich mit Aurora hier gewesen war, hatte sie mir den Schmerz genommen.
Als ich im Institut angekommen war, hatte ich mal wieder Verspätung. Die anderen waren sicherlich beim Kampftraining, aber ich fühlte mich nicht in der Lage zu ihnen zu stoßen.
Ich ging stattdessen in den Fitnessraum und nahm mir einen Stock.
Ich hatte das Bedürfnis alles aus mir rauslassen zu müssen. Also fing ich an, den Boxsack vor mir zu verprügeln. Ich wollte die Gedanken loswerden, die in meinem Kopf hingen. Alle Gedanken an gestern Abend sollten fortgehen.
Ich drehte den Stock in meiner Hand und schlug auf den Boxsack ein, sodass das Leder schon zu reißen anfing.
Meine Muskeln schmerzten und ich genoss es. Es befreite mich von dem Schmerz, den ich gerade fühlte. Ich spürte fast gar nicht, wie sehr ich auf den Boxsack einschlug. Irgendwann legte ich den Stock beiseite und boxte mit meinen bloßen Fäusten, sodass sie anfingen, blutig zu werden.
Ich hatte Wut auf mich selbst, dass ich dumm genug gewesen war, um zu glauben, dass es funktionieren könnte. Aber natürlich könnte es niemals funktionieren.
„Was ist denn mit dir los? Hast du Liebeskummer?"
Ich drehte mich erschrocken zu Sophie um, die plötzlich neben mir stand, ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie hinein gekommen war.
Ich schüttelte den Kopf und sah auf meine roten, pulsierenden Fingerknöchel, die jetzt heilten und der Schmerz fortging.
„Du hast das Training schon wieder verpasst, was ist los?"
„Ich mache mir Gedanken um Aurora", platzte es aus mir heraus, weil ich es einfach jemandem erzählen musste. Natürlich konnte ich nicht alles sagen, aber einen kleinen Teil konnte ich preisgeben.
„Ich glaube sie ist in großer Gefahr." Und damit meinte ich nicht unsere Beziehung oder Verbindung oder was auch immer das war. Auch die war gefährlich, das hatte ich von Anfang an gewusst. Aber ich meinte auch die ganzen merkwürdigen Geschehnisse der ganzen letzten Wochen.
„Wie meinst du das?" Sophie sah mich fragend an.
„Ständig versucht ihr jemand wehzutun. Irgendwelche Männer, die ihr nachstellen oder sie absichtlich angreifen und ich weiß verdammt nochmal nicht wieso", die Wut kochte immer mehr in mir auf. Nicht nur die Wut auf mich selbst und darauf, dass Aurora erfahren musste, wer ich wirklich war, sondern auch die Wut auf diese Männer.
„Was ist passiert? Hast du Cullen schon davon berichtet?"
„Nein, noch nicht. Ich weiß ja noch nicht mal, wieso das alles passiert. Ich habe keine Fakten. Ich bin einfach nur froh, dass ihr bis jetzt nichts ernstes zugestoßen ist."
„Nun sag schon, was ist passiert?", drängelte Sophie weiter.
Ich seufzte und raufte mir die Haare, als könnte ich die ganze Sache damit einfacher machen.
„Du kannst dich sicherlich noch an den Brand im Café erinnern? Du hattest gesagt, dass das kein Zufall gewesen war, womit du wahrscheinlich Recht hast. Dann waren wir in dem Haus am See übers Wochenende. Auf dem Rückweg hat uns ein schwarzer Van gerammt, sodass wir in den Fluss gestürzt waren."
„Ja, das weiß ich. Denkst du, das hängt alles zusammen?"
„Ja, anders kann ich mir es nicht erklären. Gestern waren wir essen und, als wir dann noch ein Stück spazieren waren, haben uns plötzlich vier Männer angegriffen. Und sie erwähnen immer den Name Luzifer. Er würde auf Aurora warten oder so etwas Ähnliches. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet."
„Ihr wart essen? Zusammen? Wie eine Art Date?", fragte Sophie und ihr Ausdruck war nun ganz anders. Ihre Augen wurde zornig und beschuldigten mich. Ich hatte einfach geredet, ohne darauf zu achten, was ich da erzählte. Wie konnte ich von gestern Abend erzählen, das durfte niemand wissen. Verdammt. Mein Herz schlug schneller und meine Augen wurden ganz groß.
Ich wusste nicht, wie ich mich jetzt noch rausreden konnte, also nickte ich und wartete auf ihre Reaktion.
„Was läuft da zwischen dir und Aurora?" zischte sie, sodass ich fast zusammenzuckte. Scheiße.
„Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Es verlief alles nicht so, wie geplant."
„Spuck's aus Finn, du erzählst mir jetzt gefälligst alles."
Ich presste die Lippen aufeinander, als könne ich so verhindern, dass alles über sie sprudelte. Das, was ich für immer geheim halten wollte. Das, was in letzter Zeit zu meiner größten Schwäche geworden war.
Doch unter Sophie's fordernden Augen gab ich nach.
„Ich... ich glaube, ich... habe mich in sie verliebt."
„Was?!", schrie sie fast und in ihren Augen lag nun Angst, die sie auf mich übertrug.
„Ich wusste nicht, dass das passiert. Ich wollte es auch gar nicht, aber..." Verdammt, ich wusste überhaupt nicht, wie ich mich erklären sollte.
Ich war so dumm, warum habe ich es erzählt?
„Wie? Man hält sich doch fern. Das ist das oberste Gesetz. Deine einzige Aufgabe war es, sie zu beschützen. Du weißt genau, was passiert, wenn man solche Beziehungen eingeht! Das muss man dir doch nicht erklären!"
Ich versuchte sie zu beruhigen, da sie anfing, lauter zu werden. Ich hatte Angst, dass uns jemand hören könnte. Es brauchte nur jemand vor dem Trainingsraum vorbei zu laufen und er würde wahrscheinlich alles hören.
„Lass es mich erklären", bettelte ich und hielt sie an den Händen, sodass sie mir in die Augen sah und auch nicht versuchte, den Raum zu verlassen.
„Ja, ich will eine Erklärung, denn ich verstehe es nicht. Du kennst verdammt gut die Gefahren."
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich wartend an. Dabei wusste ich nicht mal, wo genau ich anfangen sollte.
„Ich weiß es selbst nicht, aber irgendwie kamen wir ins Gespräch. Ich habe meinen Job gemacht und dann hat sie angefangen mit mir zu flirten oder, wie auch immer das war. Sie hat mich zum Dank auf einen Kaffee eingeladen und aus irgendeinem Grund konnte ich nicht ablehnen. Ich fühlte mich von ihr angezogen, schau sie dir doch mal an." Ich versuchte verzweifelt meine Gefühle irgendwie in Worte zu fassen, während Sophie die Augen rollte.
„Bitte, versuche mich zu verstehen", flehte ich und erzählte weiter, „In dem Haus am See sind wir uns irgendwie näher gekommen und ich konnte nicht dagegen ankämpfen, so sehr ich es auch wollte. Ich habe wirklich versucht, mich von ihr fernzuhalten und sie auf Abstand zu bringen. Doch dann haben wir uns geküsst."
Sophie legte die Hände vors Gesicht und zeigte mir damit nochmal deutlich, dass das, was ich getan habe, schon mein Leben hätte kosten können und auch ihres. Diese Momente der völligen Unachtsamkeit, hatte ich mir nicht erlauben dürfen.
„Ich habe es danach wirklich weiter versucht, aber dann ist noch etwas passiert und ich konnte mich einfach nicht mehr von ihr fern halten. Hast du so etwas noch nie gefühlt?"
„Doch habe ich, aber nicht so. Der Unterschied dabei war, dass ich niemanden damit in Lebensgefahr gebracht habe! Liebe ist verdammt gefährlich, in dem was wir machen und das weißt du!"
Ich wusste nicht, wie ich noch reagieren sollte. Sophie verstand mich kein bisschen. Sie sah nur die Gefahr, die mir durch und durch bewusst war. Aber manchmal ging man Risiken ein, die man nicht kontrollieren konnte.
„Sag mir, dass ihr nicht miteinander geschlafen habt."
Mein Kiefer klappte weg, aber ich konnte nichts dazu sagen. Gedanken daran vernebelten mir die Sinne.
„Du bist ein Idiot, Finn. Du bringst dich in Lebensgefahr. Mir ist ihr Leben egal, aber ich könnte nicht damit leben, wenn du mich wegen solchen Dummheiten verlässt! Elijah Cullen muss es erfahren!", sie drehte sich um und steuerte auf den Ausgang zu, doch ich konnte sie noch rechtzeitig am Arm festhalten und mich zwischen sie und die Tür stellen.
„Bitte, höre mir zu." Langsam verlor ich die Geduld.
Sie blieb stehen und versuchte auch nicht, an mir vorbei zu laufen. Als ich ihre Aufmerksamkeit hatte, erzählte ich weiter.
„Ich brauche deine Hilfe. Ich habe sie verloren. Sie will wahrscheinlich nichts mehr mit mir zu tun haben, aber..."
„Was hast du gemacht?", unterbrach sie mich.
„Sie hat mich gesehen. Sie hat gesehen, was ich bin."
Sophie schien beinahe durchzudrehen, sie wendete sich ab und schüttelte den Kopf. Sie musste mich hassen.
„Du bewegst dich auf sehr dünnem Eis, wenn es nicht schon gebrochen ist."
„Soll das Eis doch brechen, aber Aurora soll in Sicherheit sein." Ich hatte keine Lust mehr, mich für meine Gefühle zu rechtfertigen. So etwas konnte man nun mal nicht steuern.
„Dann halte sich von ihr fern oder ihr geht beide unter."
„Hilf mir einfach, das mit Luzifer zu klären", seufzte ich, da mir die Kraft ausging.
„Luzifer ist doch nur eine Legende, niemand hat je gesagt, dass es wirklich so war."
„Aber was wenn nicht? Was, wenn das alles wahr ist. Die Geschichten über den Krieg im Himmel. Schau uns an, wir sind Engel. Wieso sollte Luzifer nicht gelebt haben?"
Sie sah mich jetzt unsicher an, obwohl sie gerade eben noch so überzeugt von ihrer Meinung war.
„Aber, wo ist Luzifer jetzt und was will er von Aurora?"
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass hier irgendetwas nicht stimmt und Aurora definitiv in Gefahr ist."
Sophie überlegte und ich zählte die Sekunden, bis zu ihrer Antwort.
„Gut ich helfe dir."

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SCHUTZENGEL
Romance~Dann drehte er sich um und ich sah direkt in seine Augen, deren Bernsteinfarben mich in ihren Bann zogen. Sein schwarzes Haar lag ihm ein bisschen in der Stirn. Er beugte sich zu mir und ich konnte seinen wunderbaren Duft riechen, sodass meine Knie...