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F I N N

Ich lag auf dem Rücken und starrte ins Dunkel. Es tat mir weh, sie so abweisen zu müssen und jede Faser meines Körpers kämpfte dagegen an. Mein Herz kämpfte dagegen an.
Wie lange konnte mein Verstand also noch standhalten.
Ich hätte sie vorhin küssen können. Nein. Ich hatte sie küssen wollen.
Wie sie so vor mir saß, in meinen ihr viel zu großen Sachen und lachte. Sie lachte unglaublich schön, sodass ich meine Augen nicht von ihr lassen konnte. Ich liebte es, wenn sie sich die Haare aus dem Gesicht strich und ich liebte ihre Augen.
Dieses Mädchen stellte irgendetwas mit mir an, was ich nicht einordnen konnte.
Und, was verboten war.
Ich lebte in einer anderen Welt, als sie. In meiner Welt durfte ich nicht so empfinden für sie.
Ich wusste, dass ich sie damit verletzte und dass sie nicht verstand, warum ich das machte. Es war wie ein Stich in meinem Herzen, als ihre Emotionen vorhin auf mich hereinbrachen. Unbarmherzig krallten sie sich an mir fest.
Verdammt, warum war es nur so kompliziert?
Ich erinnerte mich an den gestrigen Tag zurück, als ich sie fast verloren hätte.
Ihre Haut war so blass, ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen.
So eine große Angst hatte ich noch nie zuvor gespürt. Ich wusste nicht, was ich gemacht hätte, hätte sie ihre Augen nicht geöffnet.
Ich wusste nicht, wie ich damit hätte leben können. Aber war es der Schutzengel, der da aus mir sprach?
Nein, da war noch was anderes.
Ich wusste, wenn ich nicht ihr Schutzengel wäre, würde ich sie nicht von mir fernhalten wollen.
Ich wusste, dass ich sie vorhin an mich gezogen und sie geküsst hätte. Ich hätte Aurora's Lippen noch einmal schmecken können und ihr wundervoller Duft hätte mich umhüllt und mich nie mehr verlassen.
Diese Vorstellung machte mich wahnsinnig. Der Gedanke daran ließ mich beinahe zu ihr rüber laufen und sie in meinen Arm nehmen.
Ich wollte sie halten, wollte sie immer bei mir spüren. Ich wollte derjenige sein, der sie zum Lachen brachte, an den sie Tag und Nacht denken musste, dessen Sachen sie trug und der nur ihr gehörte.
Ich ballte meine Fäuste und setzte mich auf.
Ich sollte wirklich aufhören so zu denken. Es wäre besser, ich würde sie nie mehr sehen.
Es zerriss mich, dass ich nicht so bei ihr sein konnte, wie ich es gerne hätte.
Aurora's Schrei riss mich plötzlich aus meinen Gedanken. Ich sprang auf und lief zu ihr, wie ein gehorsamer Hund. Sie krallte sich in die Bettdecke und wimmerte.
Und da zogen auch schon die Bilder vor meinem inneren Auge an mir vorbei.
Das Feuer, die Ketten an ihren Handgelenken, die verbrannte Leiche von Logan, die vor ihr jämmerlich aussah.
In ihren Augen stand unendlicher Schmerz, den ich nicht ertrug. In ihren wunderschönen braunen Augen spiegelten sich die Flammen, die nach ihr leckten und nach ihrem schönen Körper forderten.
Ich hob die Decke und legte mich zu ihr, berührte vorsichtig ihren zitternden Körper. Ich schlang meinen Arm um ihre Taille und berührte mit meinen Lippen ihr Ohr.
Ich wurde schwach, mein Herz siegte über meinen Verstand, aber ich konnte nichts dagegen tun.
Egal, wie sehr ich dagegen ankämpfte, immer mehr schaffte sie es, meine Mauer zu brechen.
„Es wird alles gut, Aurora", flüsterte ich ihr leise ins Ohr.
Ich spürte, wie ihr Körper unter meinen Berührungen anfing, zu entspannen.
Es war ein schönes Gefühl zu wissen, welche Wirkung ich auf sie hatte.
Aurora drehte sich im Schlaf zu mir und zwang mich, mich auf den Rücken zu legen, wobei sie ihren Kopf auf meine Brust ablegte.
Wie könnte ich ihr jemals vollständig widerstehen, wenn ich es nicht mal schaffte, ihren Berührungen zu entkommen?
Ihre flache Atmung kitzelte meine Haut und brachte mich dazu, dass ich einschlief.

***

Als ich am frühen Morgen aufwachte, weilte ihr Kopf immer noch auf meiner Brust. Ihr Atem ging flach, was mich automatisch zu beruhigen schien. Am liebsten würde ich weiter mit ihr hier liegen, sie sollte mich nie wieder loslassen.
Ich genoss die Vorstellung, jeden Tag mit Aurora genauso aufzuwachen. Aber ich wusste, dass das nicht möglich war und nie in Erfüllung gehen würde und schnell packte ich die Gedanken beiseite.
Vorsichtig schob ich sie von mir herunter. Ich wollte sie nicht wecken, sie sollte sich ausruhen.
Als ich mir sicher war, dass sie noch tief und fest schlief, schlich ich mich ins Bad und stellte mich unter die Dusche.
Als mir das heiße Wasser auf die Hut prasselte, hätte ich fast aufgeschrien. Wie heiß wollte Aurora noch duschen? Das war ja reiner Selbstmord, wobei ich dennoch etwas schmunzeln musste.
Während ich eine Weile unter der Dusche stand, gingen mir einige Gedanken durch den Kopf, die mich einfach nicht mehr losließen.
Irgendjemand war hinter Aurora her, das wusste ich ganz sicher. Aber wer wollte sich an ihr vergreifen?
Mich machte es wütend, dass es jemand auf sie abgesehen hatte und ich ballte automatisch die Fäuste. Normalerweise konnte mich nichts so schnell aus der Ruhe bringen, aber bei Aurora war es anders.
Das Feuer war kein Zufall, der Typ im Krankenhaus, der Van,... Was sollte noch kommen? Was übersah ich? Wen übersah ich?
Als das Wasser schon, selbst für mich zu kalt wurde, stieg ich hinter den Glaswänden hervor und zog mich an. In einer halben Stunde musste ich im Institut sein.
Ich würde wirklich lieber das Training schwänzen und den Morgen mit Aurora verbringen.
Warum quälten mich diese Gedanken immer wieder?
Ich musste mich wirklich von diesem Mädchen fernhalten, sonst könnte es wirklich gefährlich für uns beide werden. Vor allem für sie und das durfte ich auf keinen Fall riskieren.
Ich hinterließ ihr eine Nachricht auf dem Nachtschrank und als ich meine Wohnung, die ich sonst nie oft betreten hatte, verließ, keimte dennoch die verbotene Hoffnung in mir, dass sie noch da sein würde, wenn ich zurückkam.
Auf dem Weg zum Institut redete ich mir immer wieder ein, dass sie in meiner Wohnung am sichersten war. Ihr ruhiger Herzschlag verriet mir, dass sie immer noch schlief.
Als ich die große Trainingshalle betrat, waren schon fast alle da, bis auf Mio.
„Hey, wie geht es Aurora? Erholt sie sich?", fragte mich Sophie sofort.
„Ja, es wird langsam, sie ist nur noch etwas schwach", gab ich zurück und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich das eigentlich beschäftigte.
„Gut, sie wird hoffentlich keine weiteren Fragen stellen", seufzte sie und band ihr blondes Haar zu einem Zopf.
„Guten Morgen, alle zusammen. Wir fangen mit einem einfachen Kampftraining zu zweit an", grollte Herr Cullen's Tiefe Stimme und schlug Wellen an den Wänden der Halle.
Sophie und ich bildeten ein Team. Ich hatte wirklich keine Lust heute, aber ich versuchte mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass alles, was ich hier tat, Aurora das Leben retten könnte.
Sophie's Handkante landete unsanft in meinem Gesicht.
„Für was war das?", knurrte ich sie an, während sie mich verschmitzt angrinste.
Sie holte zu einem Roundhouse-Kick aus, dem ich diesmal aber noch rechtzeitig auswich.
„Wir trainieren, schon vergessen?"
Diesmal blockte ich ihre weiteren schellen Schläge ab und stieß ihr meine Faust sanft in den Bauch.
„Wie lange wird sie noch bei dir bleiben?", fragte sie, während sie meinen Hieben auswich.
„Keine Ahnung, ich habe ihr gesagt, sie kann so lange bleiben, bis es ihr wieder besser geht. Ich schlafe so lange auf dem Sofa." Ich zuckte abwertend mit den Schultern, als würde nicht das Bedürfnis bestehen, bei ihr im Bett liegen zu wollen.
Doch das war genau der Fall.
Aber das würde ich schon noch in den Griff bekommen. Wenn ich lange genug meine aufkeimenden Gefühle unterdrücke, werden sie sicherlich irgendwann verschwinden und es würde nichts passieren.
Mir wurde der rechte Fuß weggezogen, sodass ich augenblicklich auf dem Rücken landete und Sophie sich auf mich setzte.
„Ich werde immer die Bessere von uns beiden sein", lachte sie und umschloss mit ihren Händen meinen Hals.
Doch da hatte sie sich zu früh gefreut, Ich hebelte ihren Arm, trat ihr Bein weg, sodass sie den Halt verlor und nun ich auf ihr lag.
Sophie schmollte und versuchte sich zu befreien, was ihr jedoch nicht gelang. Dabei sah sie wirklich süß aus.
Doch dann sah ich Aurora's Gesicht vor mir und ich ging von Sophie herunter.
Sie war hübsch, keine Frage, aber Aurora wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen.
„Gut, das war's für heute mit dem Kampftraining!"
„Sehen wir uns in der Mensa?", fragte Sophie.
„Ja klar, bis dann", antwortete ich und rappelte mich auf.
Sie lief davon und ich sah ihr hinterher, wie sie sich im Lauf bewegte.
Aber die Gedanken an Aurora wendeten meinen Blick automatisch von Sophie ab.

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