F I N N
Ich nippte an meinem Kaffee, während ich die beiden beobachtete, wie sie lachend an ihrem kleinen Tisch in einer gemütlichen Nische saßen. Wenn ich sah, wie dieser Alec Aurora anstarrte, wenn sie erzählte, wurde mir schlecht.
Heute Morgen hatte ich Training gehabt und hatte sogar Aurora mal aus meinem Kopf ausblenden können. Zumindest so weit, dass ich immer noch wusste, wann sie in Gefahr sein würde. Aber es war ein erster Schritt zur Besserung und, wenn ich weiter daran arbeiten würde, dann könnte ich meine aufkeimenden Gefühle für sie vielleicht vergessen.
Das war wichtig, für mich und für sie.
Ich hatte gerade Pause, der Unterricht begann erst heute Nachmittag. Also hatte ich beschlossen, in ihrer Nähe zur sein, falls etwas passieren würde.
Als sie in meine Richtung sah, zog ich meine schwarze Cap tiefer in die Stirn und blätterte die langweilige Zeitung um, die ich mir vor mein Gesicht hielt.
Ich wusste wirklich nicht, welcher Idiot heutzutage noch Zeitung las. Ich selber las nur noch die Nachrichten online, aber mein Handy hätte mir jetzt sehr viel weniger Deckung gegeben als dieses riesige Ding in meinen Händen.
Dann sah ich, wie Alec vom Tisch aufstand und in Richtung der Toiletten ging. Aurora saß nun allein an ihrem Tisch und checkte ihr Handy.
In meinem Inneren spürte ich ihre Wut auf mich und es war das schrecklichste Gefühl, dass je von ihr ausging. Abgesehen von dem Moment, als sie fast tot war und ich überhaupt nichts mehr fühlen konnte.
Was mindestens genauso schlimm war, war der Hauch von Traurigkeit, der sich hinter der Wand des Zornes versteckte.
Sie ließ mich zu jeder Sekunde spüren, dass ich sie verletzt hatte. Wie gerne ich ihr sagen würde, wie leid mir das tat. Wie gerne ich ihr alles erzählen würde. Dann würde sie mein Verhalten wenigstens verstehen. Dann würde sie nicht mehr im Dunkeln tappen. Vielleicht könnten wir dann sogar Freunde sein.
Als ich so in meinen Gedanken war und versuchte die Gefühle, die von Aurora ausgingen auszublenden, war mir der Mann, der von draußen hereinkam, fast gar nicht aufgefallen. Aber aus irgendeinem Grund hatte ich sofort ein ungutes Gefühl. Er war wahrscheinlich etwas älter als ich, aber nicht viel älter. Er war breit gebaut unter seiner schweren Lederjacke und hatte die blonden Haare streng zurückgekämmt. Er blieb stehen und seine Augen durchquerten den Raum, bis sie an Aurora hängen blieben, die immer noch allein am Tisch saß und darauf wartete, dass ihre Begleitung zurückkam.
Der blonde Mann steuerte direkt auf sie zu und mein ganzer Körper spannte sich an. Ich konnte ihn nicht einschätzen, was hatte er vor? Ich ließ meine Zeitung etwas sinken und rutschte ungeduldig auf meinem Stuhl hin und her.
Als der Mann bei Aurora angekommen war und sich einfach neben sie setzte, sah sie ihn verwirrt an und schien zu fragen, was er von ihr wollte.
Das wollte ich auch gerne wissen. Kannte sie diesen Widerling? Aus ihrem Blick konnte ich jedoch schnell ablesen, dass dies nicht der Fall war.
Mein Blick schweifte nach draußen und da sah ich das verräterische Auto.
Der Van, der uns von der Brücke gedrängt hatte. Vorn an seiner linken Seite malte eine große Schramme, die nur von einem Unfall stammen konnte. Meine Augen huschten wieder zum Tisch und der Mann versuchte auf Aurora einzureden und rutschte weiter an sie heran.
Jetzt war meine Geduld am Ende. Dieser Mann bedeutete Gefahr.
Der Van, der uns mit Absicht gerammt hatte, stand draußen vor dem Restaurant und dieser Mann hatte deutlich nach meinem Schützling gesucht, so zielstrebig, wie er auf sie zugegangen war.
Ich spürte ohne mich groß darauf zu konzentrieren, dass sich Aurora unwohl fühlte und sich ängstlich nach den Toiletten umsah, in die Alec vor ein paar Minuten verschwunden war.
Als der Mann nun auch noch seinen Arm auf die Banklehne legte um ihr noch näher zu sein, ballte ich meine Fäuste und sprang vom Tisch auf.
Nur kurze Zeit später sahen mich Aurora's Augen erschrocken an.
„Finn, was machst du hier?", fragte sie.
Doch ich hatte keine Zeit für Erklärungen.
„Aurora, wir müssen gehen."
Sie klappte den Mund auf und wusste wahrscheinlich nicht so genau, was sie sagen sollte. Der widerliche Typ funkelte mich böse an.
„Siehst du nicht, dass wir uns gerade unterhalten?"
„Das sehe ich, aber es ist ein Notfall", beharrte ich und sah Aurora flehend an.
Die Augen des blonden Mannes durchbohrten mich bis aufs Mark und plötzlich sah ich den Schimmer, der sich wie ein schwarzer Vorhang vor seine stechend grünen Pupillen schob. Ein Schimmer, von dem ich nicht wusste, was er bedeutete, aber er konnte nichts Gutes bedeuten. Mein ganzer Körper war bis aufs äußerste angespannt und ich griff nach Aurora's Hand, die ruhig auf dem Tisch ruhte.
„Aurora, wir gehen jetzt."
Erstaunlicher Weise ließ sie sich von mir aus dem kleinen Restaurant führen, ohne einen einzigen Protest. Ich öffnete für sie die Beifahrertür meines Autos und schob sie so schnell es ging auf den Beifahrersitz, wobei meine Augen die Umgebung sicherten. Ich selbst ließ mich auf den Fahrersitz sinken und in ein paar Sekunden fädelte ich mich auch schon in den Verkehr ein und atmete zum ersten Mal wieder aus.
Wir waren in meinem Auto, Aurora war bei mir, weg von dem komischen Typen, dessen Blick sich in mein Gehirn gebrannt hatte. Es dauerte nicht lange, dann drehte sich Aurora zu mir, sodass sie mich direkt ansehen konnte und ich spürte, wie noch mehr von ihrer Wut in Wellen auf mich einschlug.
„Was sollte das denn!", schrie sie fast und machte diesen Blick, den ich immer an ihr hassen würde. Ihre Augen sahen mich vorwurfsvoll an, ihr Mund stand offen, ihre Augenbrauen waren leicht zusammengezogen. Automatisch wollte ich weiter in den Sitz sinken.
„Du kannst doch nicht einfach so aufkreuzen und das! - Das eben veranstalten!"
Ich musste mir auf die Zunge beißen, um mich zusammenzureißen. Ich wollte ihr alles erzählen. Ihr alle Gründe aufzählen, warum ich das hier tat.
„Was hast du überhaupt hier gemacht? Und was ist so dringend, mich aus dem Restaurant zu zerren?"
Ihre Stimme wurde lauter und ich hasste es, ich hasste es so sehr, obwohl mir das eigentlich gar nichts ausmachen sollte.
„Wieso sagst du nichts?", ihr vorwurfsvoller Blick wurde immer stärker und die Wut brodelte in ihren schönen Augen.
Und als würde mich eine unsichtbare Kraft antreiben, fuhr ich einen Feldweg entlang, der auf einen Hügel führte, von dem aus man die ganze Stadt überblicken konnte und hielt an.
Aurora sah mich verwirrt an und ich konnte nicht anders, als auf ihre schönen Lippen zu sehen. Ihre Gefühle strömten auf mich ein, je näher ich ihr war und ich hatte einfach nicht die Kraft.
Und dann landeten meine Lippen auf ihren.
Ich spürte, wie meine Sehnsucht fort getrieben wurde, spürte, wie sich ein Stein von meinem Herzen löste, als nur schöne Gefühle von ihr ausgingen. Ich wollte mehr von diesen Gefühlen spüren und fing immer mehr an, die anderen Gefühle zu hassen.
Ich küsste sie sanft und kostete immer mehr von ihr. Ich strich mit einer Hand ihre Wange entlang und genoss, wie sie sich mir hingab und mit meiner Zunge spielte. Ich atmete sie ein und sog ihren Geruch in mir auf. Die Wut hörte auf in ihr, sie vergaß alles um sich herum.
Die Welt stand still. Es war, als hätte mein Körper, mein Verstand, mein Herz seit Tagen darauf gewartet.
Und dann schlug mir die Realität wieder einmal ins Gesicht und ich musste mich von ihr lösen. Sie hatte eine unvorstellbar große Macht über mich und ich wusste einfach nicht warum. Mir sollte alles egal sein, sie sollte mir egal sein.
Aber meine Gedanken drehten sich von Anfang an um sie.
Ihre lustvollen Augen sahen mich an und ich musste mich von ihr abwenden, um sie nicht wieder zu küssen.
Ich stieg aus dem Auto, atmete tief ein und raufte mir das Haar. Was tat ich hier?
Ich hörte die Beifahrertür und Schritte hinter mir im Gras, die sich vorsichtig nähern.
„Finn,...", ihre Stimme war kaum hörbar.
Ich drehte mich zu ihr um, sah diese wunderschöne junge Frau an und konnte nicht fassen, dass ich sie jetzt schon wieder verletzen würde.
„Egal, was du sagen willst, sag es nicht", sagte sie und ich brachte kein Wort heraus, „Ich habe deinen Zettel gelesen und ich weiß nicht warum du das tust, was du tust. Aber du hast wahrscheinlich einen Grund dafür." Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und sah mich mit einem Blick an, bei dem ich dahin schmolz. Es wäre alles so viel einfacher, wenn ich in ihrer Welt leben würde.
„Ich weiß nicht, was das zwischen uns ist, aber ich weiß, das da etwas ist. Aber ich kann das hier nicht. Deine Spielchen will ich nicht mitspielen. Also fahre mich bitte nach Hause."
Sie hatte Recht und das tat mir weh. Aber das hier durfte nicht zwischen und geschehen und es wäre unfair von mir, sie weiter mit reinzuziehen.
Obwohl sie der Mittelpunkt war.
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SCHUTZENGEL
Romance~Dann drehte er sich um und ich sah direkt in seine Augen, deren Bernsteinfarben mich in ihren Bann zogen. Sein schwarzes Haar lag ihm ein bisschen in der Stirn. Er beugte sich zu mir und ich konnte seinen wunderbaren Duft riechen, sodass meine Knie...