A U R O R A
Ich öffnete meine müden Augen und spürte wie die Sonne durch mein Fenster, mein Gesicht kitzelte. So friedlich hörte ich die Vögel zwitschern, als wäre das gestern Abend nicht passiert. Noch immer zitterten meine Hände.
Dann checkte ich mein Handy und nur eine Nachricht viel mir sofort auf. Eine unbekannte Nummer hatte mir geschrieben. Ich hätte nicht erwartet, dass er das Dankeschön so schnell einlösen wollte.
„Hey, hier ist Finn. Ich hoffe dir geht es gut nach gestern Abend. War ein ziemlicher Schock..."
Mit einem leichten Grinsen auf den Lippen tippte ich die Antwort.
„Ja, ich danke dir so sehr, du hast vermutlich mein Leben gerettet. Ein Glück, dass du gerade in der Nähe warst."
Dabei fiel mir zum ersten mal auf, dass es schon sehr früh am Morgen gewesen war, als ich fast erschossen wurde. Was hatte er so zeitig dort noch gemacht?
Es kam aber keine Antwort mehr von ihm und irgendwie machte es mich verrückt zu wissen, dass er es gelesen hatte. Vielleicht war er beschäftigt? Er musste bestimmt arbeiten, schließlich war er doch mindestens ein paar Jahre älter als ich, schätzte ich.
Ich aß zu Mittag, meine Eltern waren nicht zu Hause, mein Bruder hockte in seinem Zimmer und die Langeweile schien mich zu erdrücken.
Ich sah auf mein Handy – noch immer keine Nachricht von Finn.
Ich wusste nicht so richtig, wieso mich das ärgerte, aber irgendetwas daran schien mich gründlich zu stören.
Nach dem Essen sah ich etwas fern.
Immer noch keine Nachricht. Er war jetzt seit drei Stunden nicht online gewesen.
Also schrieb ich ihm.
„Hey, ich nochmal. Ich würde mich gerne bei dir mit einem Kaffee bedanken. Wie sieht es bei dir aus, hast du heute Zeit?"
Die Nachricht las er sofort.
Ich wartete ein paar Minuten, doch es kam keine Antwort.
Warum trieb es mich so in den Wahnsinn, dass er mir nicht antwortete? Ich kannte ihn doch gar nicht.
Und dann kam eine Nachricht von ihm.
„Klar, sag wann und wo."
Ich vereinbarte mit ihm ein Treffen in einem kleinen Café, nicht weit von mir und er stimmte zu.
Es war das Mindeste, was ich tun konnte, schließlich hätte ohne ihn der Abend gestern ganz anders aussehen können.***
Ich betrat das Café und suchte mir einen kleinen Tisch für zwei, in einer Nische. Ich hatte mir ein sommerliches rotes Kleid angezogen und meine Haare etwas gelockt.
Ich war zehn Minuten zu früh und diese zehn Minuten waren qualvoll, bis ich die Glocke über der Eingangstür hörte und ihn sah.
Er trug eine Lederjacke und sein mystischer Blick durchsuchte den Raum.
Als seine Augen auf mich trafen, verschlug es mir den Atem. Dieser Blick, mit dem er mich musterte, machte meine Knie weich, er durchdrang mich.
Mit langsamen Schritten näherte er sich meinem Tisch und sah zu keiner Sekunde woanders hin. Auch ich konnte nicht anders, mich interessierte nichts anderes mehr. Ich wusste nicht, was das für ein Gefühl war, aber er zog mich vollkommen in seinen Bann.
Und das allein durch sein Auftreten.
„Hey", begrüßte er mich und setzte ein strahlend weißes Lächeln auf, bei dem ich auch sofort lächeln musste. Ich nahm seine Hand entgegen und ließ ihn sich zu mir setzten.
„Schön, dass es so schnell geklappt hat." Seine Augen ließen mich auch jetzt keine Sekunde alleine. Es war, als wäre die Welt um uns herum ausgeblendet.
„Du sieht wunderschön aus". Seine Stimme schlug wie Wellen auf meinem Körper ein.
„Dankeschön", lächelte ich nun noch mehr, „Also, Finn. Erzähle mir etwas über dich, schließlich sind wir uns jetzt schon öfter über den Weg gelaufen und ich muss doch wissen, wer mein Retter war."
Ich stützte erwartend meinen Kopf auf eine Hand und wollte ihm signalisieren, dass meine Aufmerksamkeit nur ihm galt.
„Über mich gibt es nicht so viel zu erzählen. Ich würde lieber zuerst etwas von dir erfahren, Aurora."
Die Art und Weise, wie er mit mir sprach, wie seine Augen mich anschauten, wie diese eine Locke in seiner Stirn hing, erzeugte Stromschläge in meinem Körper und ich wollte ihn näher kennenlernen. Ich wollte alles wissen, was hinter diesem Mann steckte.
Aber, auf seinen Wunsch hin, fing ich mit meiner Geschichte an.
„Gut, ich bin neunzehn und habe letztes Jahr meinen Schulabschluss gemacht. Danach habe ich in einem Café gearbeitet, weil ich nicht studieren wollte." Ich musste mich konzentrieren meine Worte nicht zu verlieren.
„Du arbeitest doch aber in einer Bar?", fragte er.
„Ja, ich habe seit kurzem damit angefangen."
Eine Frau stellte sich an unseren Tisch und unterbrach unser Gespräch, um die Bestellung aufzunehmen.
Ich bestellte mir einen Café Americano und bemerkte dabei, wie Finn auch jetzt, nicht den Blick von mir abwandte. Auch nicht, als er sich einen schwarzen Kaffee bestellte, was die Frau schmunzeln ließ.
Nachdem sie unseren Wünschen nachging, sah ich ihn wieder an.
„Wo war ich?"
„Du arbeitest in einer Bar", half er mir auf die Sprünge, als hätte unser Gespräch für ihn keine Unterbrechung gehabt.
„Ach ja. Das mit dem Job im Café war sehr plötzlich vorbei, als ein Brand ausbrach", aus irgendeinem Grund fiel es mir in seiner Gegenwart nicht ganz so schwer, über das Geschehene zu sprechen, „Dabei habe ich einen sehr wichtigen Menschen verloren. Er war mein Chef, aber eigentlich war er eher ein sehr guter Freund für mich. Er ist ums Leben gekommen und ich säße auch nicht hier, hätte ich keinen Schutzengel gehabt."
Finn schluckte, als ich erzählte.
„Das tut mir leid." Er beugte sich ein Stück über den Tisch und ich konnte seinen angenehmen Duft wahrnehmen. Er roch genauso gut, wie er es auf der Studentenparty getan hatte.
„Naja, ich versuche noch darüber hinweg zu kommen, aber das ist nicht so einfach."
„Das glaube ich dir, so etwas ist nicht einfach. Aber irgendwann wirst du damit zurechtkommen." Er gab mir das Gefühl, jedes meiner Worte und meine Gefühle genau zu verstehen. Und das fühlte sich gut an.
Mir gefiel es mit ihm zu reden. Diese Art und Weise, wie er meine Worte aufzog und mir zuhörte, war ein unglaublich schönes Gefühl.
„Was gibt es noch über dich zu erfahren? Was sind deine Hobbys?"
„Meine Hobbys? Äh...", immer wenn ich in diese Augen sah, vergaß ich mich. Was war nur los mit mir?, „Ähm, ich lese gern."
„Welches Genre?"
„Romane. Und was machst du gern?"
Dann kam die Bedienung und er entfernte sich von mir, um sich in seinem Stuhl zurück zu lehnen. Wir sagten kein Wort, als die Frau uns unseren Kaffee vor die Nase stellte.
Erst als sie weg war, fand sich unser Gespräch wieder.
„Ich zeichne gelegentlich."
„Was zeichnest du?"
„Das ist geheim", er schmunzelte verschmitzt.
„Du willst also alles geheim halten?", fragte ich.
„Wäre nicht sonst der Reiz verloren? Deine Neugier gefällt mir."
Ich lachte. Auf was hatte ich mich hier eingelassen? Doch ich wollte all seine Geheimnisse erfahren. Ich wollte wissen, was er tagsüber machte, ich wollte wissen, was er abends machte, ich wollte wissen, was er zeichnete.
„Und was machst du beruflich?", ich versuchte weiter, Informationen von diesem unglaublich gutaussehenden Mann zu gewinnen.
„Ich arbeite in einem IT-Unternehmen."
„Oh wow, also ein Genie?"
„So etwas in der Art."
Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee, der inzwischen etwas abgekühlt war und blickte über den Tassenrand zu ihm hinüber. Er nahm ebenfalls seine Tasse und setzte zu einem großen Schluck an. Dabei sah er mich noch immer an. Mir wurde unter seiner Beobachtung ganz heiß und er setzte eine gewisse Nervosität in mir frei.F I N N
Ich sah ihr in die schönen braunen Augen, die mir schon ein bisschen gefehlt hatten. Ihre Art faszinierte mich und ich konnte einfach meinen Blick nicht von ihr lassen. Sie zog meine Augen regelrecht automatisch an.
Wäre es doch nicht so kompliziert.
Ich wusste, das Treffen war ein Fehler. Ich wusste auch, dass ich das nie wieder machen würde. Ich würde mich von ihr fern halten, mich im Schatten aufhalten und mich einzig und allein darauf konzentrieren, dass sie in Sicherheit war und ein sicheres Leben führte.
Aber wenn ich sie so ansah, sah wie sie lachte, wurde dieser Wille schwach und mir fiel es schwer daran festzuhalten.
Aber ich durfte nichts zwischen uns entstehen lassen, auch wenn ich gerne etwas anderes hoffen wollte.
Das Gefühl in mir, Aurora zu spüren, zu spüren wie aufgeregt und neugierig sie war, zu spüren, dass sie sich wohl fühlte, jetzt in diesem Moment, machte alles so verdammt schwer.
Ich kannte sie kaum, aber alles in mir zog sich zu ihr hin.
So durfte ich nur nicht denken. Es war falsch.
„Und was sind deine Ziele?", fragte ich, weil ich dennoch wissen wollte, was hinter dieser Frau steckte, „Ich kann mir vorstellen, du wirst nicht ewig in einer Bar arbeiten."
Sie überlegte und schien in ihren Träumen zu wühlen. All die Erwartungen und Wünsche strömten auf mich ein, ihre Begeisterung zuckte in meinem Herzen.
„Ich möchte die Welt sehen. Irgendwann werde ich eine Weltreise machen, werde durch jeden Kontinent fahren und ein Land nach dem anderen bestaunen. Vorher möchte ich bei einem Filmproduzenten anfangen und die Drehbücher schreiben. Ich möchte sehen, wie mein Geschriebenes gespielt wird und, wie die Geschichte andere Menschen berührt und begeistert."
„Du schreibst?"
„Ja, ein bisschen. Zumindest versuche ich mich darin."
„Darf ich mal was lesen?", schon bereute ich wieder meinen Vorschlag, es würde kein nächstes Mal geben.
Sie schmunzelte mich an und lehnte sich ein Stück über den Tisch, sodass ihr Duft, mit einem Hauch Vanille, mich einhüllte.
„Das ist leider geheim."
Ihr verschmitztes Lächeln machte etwas mit mir. Es fiel mir immer schwerer, sie nach diesem Treffen gehen lassen zu müssen. Ich durfte einfach nicht so denken, ich hätte schon gar nicht zu diesem Treffen zustimmen sollen. Ich hätte schon gar nicht zulassen dürfen, dass sie mir ihre Nummer gab.
Und dennoch bereute ich keine Sekunde mit ihr, ich bereute kein einziges Wort, dass wir gewechselt hatten und ich bereute keinen einzigen Augenkontakt.A U R O R A
Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen, aber ich konnte nicht ergründen was es war.
„Ich bin auf den Film gespannt, unter dem dein Name stehen wird."
„Ich werde dich höchstpersönlich in diesen Film ziehen."
„Okay", lachte er rau und senkte kurz sein Blick auf seine Hände, die er vor sich auf dem Tisch verschränkt hatte.
Das war das erste Mal, dass er mich an diesem Nachmittag nicht ansah. Aus seinem Bann gerissen, bemerkte ich, dass es draußen langsam dämmerte und ich zum Abendessen eigentlich zu Hause sein sollte.
„Ich muss leider nach Hause", verkündete ich, aber ich hätte noch Stunden mit ihm hier sitzen können.
Ich bezahlte und wir verließen das Café. Dann standen wir voreinander.
„Es war schön dich kennenzulernen, Finn."
„Ich fand es auch sehr angenehm." Seine Mundwinkel zuckten und als ich so zu ihm aufschaute, war es nicht einfach, jetzt zu gehen.
„Wir könnten es ja wiederholen. Eine Heldentat ist wohl kaum mit nur einem Kaffee beglichen."
Seine Kiefermuskeln malten und ich hoffte, ich hatte nicht voreilig gehandelt. Seine Augen wichen mir jetzt eher aus und er wirkte angespannt.
„Aurora, mir hat es gefallen, dich kennenzulernen. Aber ich glaube nicht, das es gerade der richtige Zeitpunkt ist."
Autsch.
Das war ein Schlag in die Magengrube.
„Sei mir nicht böse, aber ich muss jetzt gehen. Danke für den Kaffee." Mit einem letzten intensiven Augenkontakt, drehte er sich um und ließ mich stehen.
Ich sah ihm nach und ich wollte einfach nicht verstehen, was er gerade damit gemeint hatte.

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SCHUTZENGEL
Romance~Dann drehte er sich um und ich sah direkt in seine Augen, deren Bernsteinfarben mich in ihren Bann zogen. Sein schwarzes Haar lag ihm ein bisschen in der Stirn. Er beugte sich zu mir und ich konnte seinen wunderbaren Duft riechen, sodass meine Knie...