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F I N N

„Wer kommt mich denn hier besuchen?", raunte Luzifer durch den großen Saal.
Die gefallenen Engel, die mich festhielten, drehten sich mit mir zu den Neuankömmlingen um und noch mehr Erleichterung flutete meine Sinne, als ich sah, wer zu uns gestoßen war.
An der Spitze stand Elijah, die Hände zu Fäusten geballt und seine eiserne Miene durchbohrte sein Gegenüber. Dahinter stand Mio, fest entschlossen, wahrscheinlich jeden hier in diesem Raum ordentlich zu bekämpfen. An seiner Seite hielt sich Ming auf. Auch Sophie und Saskia waren zur Unterstützung gekommen und Sophie musterte mich mit warmen Augen.
Doch das waren noch nicht alle. Ich konnte nicht aufhören zu staunen, als ich sah, wer noch in der großen Tür stand. Alle Ausbilder der Schule stellten sich in Elijah's Rücken und waren fest entschlossen zu kämpfen. Auch einige der Ältesten des Instituts, welche noch kämpfen konnten, hatten sich der Armee angeschlossen.
„Hier wird niemand durch deine dreckige Hand sterben, gefallener Engel. Oder sollte ich lieber Dämon sagen? Verschwinde wieder in dein Loch, aus dem du gekommen bist!"
„Ich habe schon zu deinem jungen Engel gesagt, dass hier niemand gleich unhöflich werden muss", rief Luzifer dem Leiter des Instituts der Schutzengel entgegen, „Das hättest du wohl gerne, dass du hier einfach hereinspazierst und ich lasse alles fallen und bettle um Gnade!"
„Es wäre für alle Beteiligten besser, wenn du einfach verschwindest und das Mädchen in Ruhe lässt. Wir wissen, warum du sie so dringend brauchst. Aber du wirst deinen Platz im Himmel niemals wiederbekommen! Niemand wird dich und deine Anhänger akzeptieren. Ein weiterer Krieg wird entstehen und auch den wirst du verlieren!", brachte ihm Elijah entgegen.
Das erste Mal sah ich, wie Luzifer ungemütlich wurde. Er hörte auf, zu grinsen und biss die Zähne aufeinander.
„Ich werde dort oben herrschen und jeder wird zu mir aufsehen. Auch du Elijah!"
Das erste Mal kam mir in den Sinn, dass sich die beiden zu kennen schienen, aber ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken.
„Hör' auf, zu träumen! Lass Finn gehen und auch das Mädchen, dann werden wir dich in Ruhe lassen."
„Ich habe nicht hunderte Jahre darauf gewartet, meinen Platz im Himmel wiederzubekommen, nur damit du jetzt vorbeikommst und mir das wegnimmst! Ich werde dieses Mädchen töten, egal was ich dafür opfern muss."
Elijah's Körper spannte sich an. Alle hier wussten, dass ein Kampf unvermeidbar war.
Und kaum hatte ich das gedacht, signalisierte Luzifer seinen Leuten mit ausgebreiteten Armen, dass sie angreifen sollten.
Wie gehorsame Hunde setzten sie sich in Bewegung und stürmten auf die fast gleichstarke Armee von Engeln zu.
Es war ein gnadenloser Anblick, als die beiden Parteien aufeinander prallten. Sie krachten aufeinander und sofort durchströmten laute Schreie die Villa.
Mein Blick wanderte zu Aurora, die sich hektisch in der Menge umsah und nicht zu begreifen schien, was sich hier abspielte. Ich musste unbedingt zu ihr.
Ich riss mich los und mein Ellenbogen fand das Gesicht des großen Mannes hinter mir, der taumelnd rückwärts lief und meinen Arm losließ.Ich schlug auf den anderen ein und trat der lästigen Frau in den Bauch. Dann schlug im meine Flügel und hob vom Boden ab, auf dem Weg zu meinem Mädchen, dass ich um jeden Preis retten wollte.
Ich schaute über das entstandene Schlachtfeld. Alle Engel zeigten ihre prachtvollen Schwingen und setzten sie bewusst gegen die Dämonen ein. Das Licht sollte die Dunkelheit vertreiben.
Sophie und Saskia kämpften Seite an Seite, während auch Mio und Ming ein gutes Team abgaben. Ming setzte zu einem Kick an und traf ihren Gegenüber schmerzhaft am Kopf, wodurch dieser zurücktaumelte. Mio ließ sich zu ihm herunter sinken, packte ihn an der Kehle und riss ihn ein paar Meter mit sich um ihn dann in den gefliesten Boden zu pressen, wo er bewusstlos liegen blieb.
Elijah schlug sich einen Weg in Richtung Luzifer, der noch immer mit seinem Dolch bei Aurora stand, als würde er seinen wertvollsten Schatz beschützen, den er jemals besessen hatte. Seine Augen huschten ungeduldig hin und her. Erstmals sah ich, dass seine Fassade bröckelte. Er wurde unruhig und wirkte ängstlich. Immer wieder trat er näher einen Schritt an Aurora heran, deren Brustkorb sich viel zu schnell hob und senkte.
Ich spürte immer noch ihre Angst, die mit jedem Schrei oder Knall stärker zu werden schien.
Ich flog auf Luzifer zu und spielte schon in meinen Gedanken ab, wie ich ihn zu Boden riss und solange auf ihn einschlug, bis er unter mir erschlaffte und ihr nie wieder etwas antun konnte. Ich würde ihm seinen dämlichen Dolch in die Brust rammen und nie wieder herausziehen.
Doch bevor ich bei ihm ankam, rammte mich etwas in die Seite. Ich war zu tief über dem Boden gewesen, sodass es ein Leichtes für Sean war, mich aus der Luft zu holen.
Ich rollte über das harte Gestein und als ich liegenblieb, trat er mir schmerzhaft in den Bauch. Ich bekam keine Luft mehr. Sein Fuß traf mein Gesicht und mir wurde schwarz vor Augen. Verschwommen sah ich, wie ich Blut spuckte. Die dunkelrote Flüssigkeit, spritzte auf den dunklen Beton. Gedämpft hörte ich Aurora schreien. Sie schrie meinen Namen und es war wie Adrenalin für mich. Ich rappelte mich auf und wehrte Sean's nächsten Tritt ab. Mit einer schnellen Bewegung riss ich ihn zu Boden und, als wäre ich ferngesteuert, schlug ich auf ihn ein.
Meine Knöchel taten weh und sein Blut befleckte meine Hände, doch ich hörte nicht auf. Er war Schuld daran, dass Luzifer an Aurora herangekommen war. Er hatte sie entführt und zu ihm gebracht, damit er sie töten konnte.
Das war mein einziger Gedanke und ich konnte einfach nicht aufhören. Sein Kopf wurde schlaff und er wehrte sich nicht mehr. Sein Gesicht war blutüberströmt und seine Augen sahen mich leer und glasig an. Er atmete nicht mehr.
Bevor ich begreifen konnte, was ich getan hatte, hörte ich Mio schreien. Sein Schrei hallte durch den ganzen Raum und lenkte meinen Blick. Mein Körper reagierte sofort, als ich sah, wie ein Messer in seinem Brustkorb steckte. Er riss seine Augen weit auf und ging vor dem Dämon zu Boden, seine Hand umfasste das Messer, um dessen Stichwunde sich eine große Blutlache bildete. Ich rannte, so schnell ich konnte zu ihm und fing ihn auf, bevor er fiel. Tränen sammelten sich in meinen Augen, als Blut aus seinem Mund tropfte und er angsterfüllt in meine Augen sah.
„Mio, es tut mir so leid! Bleib' wach, halte durch. Hilfe!", schrie ich und versuchte das Kampfgeschehen zu übertönen.
Plötzlich war Ming an meiner Seite, ihre Wangen mit Tränen überströmt und ihre Augen bereits rot vom Weinen.
„Nein, nein, nein... Babe, sieh mich an. Du musst heilen. Konzentriere dich!", schrie sie ihn an und sein Blick fand ihren.
Sofort kamen Herr Forks und Frau Kimberly. Sie waren die einzigen, die eine medizinische Ausbildung hatten.
„Wir bringen ihn hier raus. Ich habe ein Mittel mit, was die Heilung beschleunigt. Los!", sagte Frau Kimberly und die drei trugen Mio aus der Villa, dessen Augenlider schon gefährlich schwer wurden.
Als sie außer Sichtweite waren, drehte ich mich wieder zu Aurora, die zu mir herüber sah und anfing, zu weinen. Ich lief zu ihr und wehrte jeden Angreifer ab, der sich mir in den Weg stellte. Niemand würde mich jetzt mehr aufhalten, zu ihr zu gelangen.
Luzifer achtete nicht auf mich und ich nutzte meine Chance und ging mit ihm zu Boden, sodass sein Dolch, mit dem golden verzierten Griffstück, aus seiner Hand viel.
Doch als ich die Überhand hatte, entwickelte Luzifer eine Kraft, die ich nicht erwartet hätte und ich wurde in hohem Bogen gegen die Steinwand geschleudert. Kurz bevor ich herunter fiel, nutzte ich meine Flügel und fing mich ab. Sofort widmete ich mich wieder Luzifer, der gerade dabei war, den Dolch aufzuheben.
Unaufmerksam, getrieben von Wut, flog ich auf ihn zu, in seinen Rücken, doch er drehte sich blitzschnell um und rammte mir einen Holzpfahl ins Bein. Der Schmerz durchzuckte sofort meinen ganzen Körper und ich landete wieder einmal unsanft auf dem Boden, niedergeschmettert in meinen erbärmlichen Versuchen, Aurora zu retten. Ich schrie und versuchte den Holzpfahl aus meinem Oberschenkel zu ziehen.
Blut befleckte meine, ohnehin schon schmutzige und blutige Jeans. Ich umgriff das Holz und zerrte mit aller Kraft daran, bis es meinen Muskel verließ und mein Heilungsprozess begann, zu arbeiten.
Doch als meine Augen wieder nach Aurora suchten, zerriss es mir alle Sinne. Luzifer hatte sich vor sie gestellt und sah sie siegessicher an. Eine Hand ruhte auf ihrer Schulter und die andere hielt den Dolch fest umgriffen, auf sie gerichtet.
Als der Dolch ihren Brustkorb durchbohrte und ihr Herz traf, durchbrach der Schmerz alles in mir. Ich hörte auf, zu atmen.
Ihre wunderschönen Augen fanden mich. Erst waren sie voller Schmerz und Leid und dann verloren sie all ihre Farbe und Emotionen. Sie wurden still und sagten mir nichts mehr und die Welt, um mich herum, schien zu zerbrechen. Ich fühlte mich, als würde ich aus Glas bestehen, das jetzt zu kleinen Stücken zerbröselte.
Der Dolch stak nun in ihrer Brust und ich hatte es nicht verhindern können. Ich hatte als Schutzengel versagt, als Freund und als jemand, der sie liebte.
Ein Schrei hallte durch die Halle und erstickte jedes Geräusch und alles, was sich bewegte. So laut und klagend, dass die Fensterscheiben des alten Gebäudes aus ihren Rahmen splitterten und die Scherben in vielen Einzelteilen herabstürzten.
Es war mein Schrei.
Ich bekam keine Luft mehr, ein einziges riesiges Loch bildete sich in meinem Magen und ich hatte das Gefühl, nichts würde je wieder in mir heilen.
Ich spürte, wie das Band, dass sich zwischen Aurora und mir befand, gekappt wurde.
Ich spürte, wie sie mir genommen wurde.
Ich konnte nichts mehr von ihr fühlen. Ich fühlte ihren Schmerz nicht mehr und auch nicht, wie ihr Herz schlug. Nichts davon durchströmte mehr meine Adern.
Sie war nicht mehr da. Ihr Feuer, das in mir gelodert hatte, war erloschen und es konnte nie wieder entfacht werden.
Ihr Körper sackte zusammen und hing reglos in den eisernen Ketten. Luzifer trat von ihr zurück und grinste, während der Dolch anfing, die Energie von Aurora aufzusaugen.
Ich sprang auf und rannte zu ihr, dabei fühlte sich jeder Schritt an, als würde ich nicht vorankommen.
Als ich bei ihr war, riss ich die Ketten an ihren Handgelenken auf und sie fiel in meine Arme. Zusammen mit ihr kniete ich mich hin und meine Tränen nahmen mir die Sicht auf ihr wunderschönes Gesicht, das mich leblos anblickte.
Ich hielt sie fest in meinen Armen und konnte nicht glauben, dass es vorbei war.
Um mich herum herrschte Totenstille, niemand rührte sich.
Das Blau ihrer Augen leuchtete nicht mehr, der Glanz war aus ihnen gewichen.
Meine Finger strichen über sie und zogen die Lider ganz sanft nach unten. Jetzt sah es aus, als würde sie schlafen.
Wenn das doch nur wahr wäre.
Vor meinem inneren Auge spielte sich unsere Geschichte ab, die viel zu schnell ihr Ende gefunden hatte.
Ich sah sie vor mir, wie sie mich zum ersten Mal ansah. Ich erinnerte mich an unser erstes Date und, wie sie in ihrem schönen Kleid vor mir gesessen hatte. Ich hatte meinen Blick nicht von ihr lösen können.
Ich spürte unseren ersten Kuss, als wäre er gestern gewesen. Wie weich ihre Lippen doch waren.
Mein Daumen strich unterbewusst über ihre Unterlippe.
Ich sah, wie ich mich zu ihr kuschelte, wenn sie schlecht geträumt hatte und ich erinnerte mich an unsere einzige Nacht, in der sie sich mir vollkommen hingegeben hatte.
Ich würde keine Sekunde, die ich mit ihr hatte, vergessen.
Ein letztes Mal fanden meine Lippen ihre und ich spürte noch ein letztes Mal ihre Wärme. Mich umhüllte ihr wunderbarer Duft nach Vanille und ich nahm ihn in mich auf, sodass er für immer bei mir bleiben würde.
Und nun saß ich hier und hielt ihren leblosen Körper.
Ich sah auf sie herab und versprach ihr im Stillen, dass ich sie immer lieben würde.
Ich wusste nicht, wie es ohne sie weitergehen sollte.
Gern würde ich die Zeit zurückdrehen und nochmal alles mit ihr erleben. Ich würde unsere gemeinsame Zeit, die wir hatten wiederholen und jede Sekunde genießen. Diesmal würde ich sie nicht von mir wegstoßen, wie ich es am Anfang getan hatte.
Dieses Hin und Her hatte sie nicht verdient gehabt.
Und nun hatte ich keine Zeit mehr, die ich mit diesem wunderbaren Mädchen verbringen konnte.
Und ich weinte um sie, wie ich noch nie geweint hatte.

SCHUTZENGELWo Geschichten leben. Entdecke jetzt