- 6 Monate später -
A U R O R A
Hätte ich selbst bestimmen können, wie mein Leben verlaufen würde, dann hätte ich es sicherlich getan. Doch an der jetzigen Lage konnte ich nun nichts mehr ändern.
Ich musste hinnehmen, was passiert war.
Sie sagten, ich hätte vor sechs Monaten einen schrecklichen Autounfall gehabt und war fast gestorben.
Wenn ich an dieses Wort dachte, legten sich Klauen um mein Herz und es stach in meinem Magen.
Ich wurde wiederbelebt, aber erst nach einigen Minuten, weshalb ich ungefähr das letzte halbe Jahr, vor dem Unfall, in meinen Erinnerungen verloren hatte. Die Ärzte meinten, ich hätte sehr viel Glück gehabt und auch in Bezug darauf, dass ich alles andere, was vor diesem verloren gegangenen halben Jahr passiert war, noch wusste. Es hätte ganz anders ablaufen können.
Jedoch konnte ich mich an keinen Unfall erinnern. Ich wusste nicht, warum ich unterwegs gewesen, mit welchem Auto ich gefahren war oder wie das passieren konnte.
Ich hatte absolut keine Erinnerung daran.
Doch das Schlimmste war, dass mir gesagt wurde, dass mein bester Freund gestorben war. Logan kam vor ungefähr einem Jahr bei einem Brand in unserem Café ums Leben und ich hatte überlebt, was sich damals niemand erklären konnte.
Es brach mir das Herz. Wie konnte ich das nicht mehr wissen?
Cece hatte mir in den letzten Monaten immer wieder erzählt, was in den sechs Monaten, welche in meinen Gedanken verloren gegangen waren, passiert war.
Sie erzählte mir von den viele Partys, auf denen wir gewesen zu sein schienen.
Außerdem habe mir Alec seine Liebe gestanden und mich geküsst. Doch ich hatte ihm anscheinend das Herz gebrochen.
Trotz, dass ich ihm wehgetan habe, hatten wir uns im letzten halben Jahr gut verstanden, was mich echt glücklich machte.
Nathan hatte seit einiger Zeit eine Freundin und Cece war mit einem Sean zusammen gewesen. Doch dieser hatte sich, ungefähr zeitgleich mit meinem Unfall, einfach nicht mehr gemeldet und die Beziehung war von jetzt auf gleich beendet gewesen. Doch sie war schnell darüber hinweg, was mich bei ihr nicht überrascht hatte.
Sie erzählte auch, dass wir mal wieder im Haus ihrer Eltern am See gewesen waren und, wie früher, gemeinsam dort Zeit verbracht hatten.
Und sie erzählte mir von Finn.
Finn war jemand, der in mein Leben getreten war und sich plötzlich alles um ihn gedreht hatte. Cece meinte, er habe eine so intensive Wirkung auf mich gehabt, wie sie es vorher noch nicht gesehen habe.
Zwischen uns hätte sich wohl etwas entwickelt gehabt und er habe mir ganz schön den Kopf verdreht, so waren ihre Worte. Sie meinte, er wäre ein heißer, charmanter Typ gewesen, der mich immer angesehen habe, als wäre ich für ihn etwas ganz besonderes.
Und es würde mir vielleicht etwas bedeuten, würde ich mich an all das erinnern können.
Würde ich mich an ihn erinnern.
Es scheint als hätten wir eine gemeinsame Geschichte gehabt, wer auch immer Finn war. Doch es löste in mir keine Gefühle aus. Ich schien mal etwas für ihn empfunden zu haben, doch das war verloren gegangen, zum Zeitpunkt meines Unfalls.
In den letzten sechs Monaten habe ich versucht zu verarbeiten, was passiert war und, dass ich gestorben war und zurückgeholt wurde, lag mir immer noch wie ein Stein im Magen.
Doch ich konnte zumindest sagen, dass es mir jetzt besser ging. Ich kam damit klar, dass mein Gedächtnis eine Lücke hatte. Es hätte viel schlimmer sein können. Ich hätte viel mehr vergessen können, mich nicht einmal an all meine Freunde und Familie erinnern können oder an Logan.
Ich hätte tot sein können.
Doch das war alles nicht eingetreten und ich war jeden Tag dankbar dafür.
Die untergehende Sonne kitzelte mich sanft an der Nase, während sie ihren Weg durch mein Fenster suchte.
Ich trug mir soeben ein bisschen Schminke auf und strich gerade meine Wimpern nach oben. Dann betrachtete ich mich im Spiegel. Ich hatte mir ein enges schwarzes Kleid angezogen, das meinen Körper betonte.
Heute fand erneut eine Studentenfeier statt, doch diese war diesmal besonders. Diesmal war es keine normale, sondern eine Maskenparty.
Ich legte mir meine schwarze Maske über die Augen und legte meine Haare über die Schultern. All meine Wunden waren vollständig verheilt, weshalb ich mir keine Sorgen über ein schreckliches Ansehen machen musste.
Meine Zimmertür ging auf und meine Mom kam herein. In letzter Zeit hatte sie sich immer noch mehr Sorgen gemacht, als bisher. Sie hatte mich anfangs nicht irgendwo allein hingehen lassen. Verständlich, wenn man bedenkt, dass ich für einen Augenblick tot gewesen war.
„Du siehst so wunderschön aus", seufzte sie und hatte leicht Tränen in den Augen, während sie an mir auf und absah.
„Danke, Mom", flüsterte ich und nahm sie in den Arm.
„Pass auf dich auf, okay?"
„Ja, werde ich. All die anderen sind auch mit da. Ich werde von Cece sicherlich schon nicht aus den Augen gelassen", lachte ich und musste an die Worte denken, die meine beste Freundin mir nach meinem Unfall gesagt hatte.
„Ich werde dich nie wieder allein lassen, du baust nur irgendwelchen Mist. Mich hast du jetzt für immer an der Backe."
„Okay, du schreibst, wenn ihr angekommen seid, und, wenn was ist, du kannst mich immer anrufen, in wenigen Minuten hole ich dich ab."
„Ich weiß Mom", schmunzelte ich und sie umarmte mich nochmal ganz fest, bevor sie wieder aus meinem Zimmer ging.
Dann klingelte es an der Haustür und mein kleiner Bruder öffnete.
„Aurora du musst los, deine Freunde sind da!", rief er nach oben und ich nahm meine Tasche und mein Handy und ging nach unten.
Draußen setzte ich mich zu ihnen ins Auto.
„Bereit für deine erste Party nach so langer Zeit? Ob du es schon verlernt hast?", lachte Nathan, der am Steuer saß.
Alec saß neben ihm und drehte sich zu mir um, nur um mir einen schelmischen Blick zuzuwerfen.
„Jaja, macht euch nur lustig", lachte ich zurück und umarmte Cece, die neben mir saß.
„Dafür müssen wir heute viel zusammen trinken", jubelte sie und Nathan fuhr aus der Einfahrt.***
Nach nicht mal zwanzig Minuten waren wir auch schon da und parkten vor dem alten Backsteingebäude, aus dessen Fenster schon die bunten Lichter flackerten.
Draußen war es noch kalt, obwohl es langsam wieder auf den Frühling zuging. Der Frost zog sich über den Asphalt und fror die Straßen ein.
Ich stieg vorsichtig aus dem Auto und Alec eilte zu mir, um mich zu stützen. In meinen Absatzschuhen, stellte sich die ganze Sache etwas schwieriger dar. Ich lächelte ihn an und er lächelte süß zurück.
„Wir müssen auf unsere Aurora gut aufpassen, sie steckt gern mal in Lebensgefahr", lachte Nathan und wir gingen alle gemeinsam hinein.
Das durfte ich mir wahrscheinlich noch ewig anhören.
Drin dröhnte die Musik uns entgegen und wir zogen unsere Jacken aus. Cece sah wie immer wunderschön aus und zog sofort mehrere Blicke auf sich, in ihrem kurzen roten Kleid mit der verführerischen roten Maske. Wenigstens hatte ich bei solchen kleinen Dingen das Gefühl, dass sich rein gar nichts geändert hatte.
Ich seufzte und spürte eine freudige Energie in mir. Ein Großteil war wie immer und nichts würde nun mehr schief gehen. So fühlte es sich zumindest für einen kurzen Moment an.
Nathan legte seine Arme um unsere Schultern.
„Lasst uns erstmal etwas trinken!", jubelte er und schob uns in Richtung Bar, die ich durch meine Maske ausfindig zu machen versuchte. Ich musste mich erstmal an das Ding gewöhnen.F I N N
Natürlich war ich nicht auf dieser Party und trug diese Maske, weil ich selbst Spaß haben wollte.
Nein.
Weil ich wusste, dass sie hingehen würde.
Verdammt, wie ich sie vermisste. Es waren nun sechs Monate vergangen, seitdem ich sie das letzte Mal gesehen hatte und jede Minute ohne sie war, wie ein Dorn in meinem Herzen.
Ich konnte mich noch ganz genau an den Moment erinnern, als sie ihre Augen öffnete und nicht mehr wusste, wer ich war.
Abgesehen davon, war Aurora am Leben und das war für den Moment erstmal alles gewesen, was zählte.
Und da kam sie auch schon herein, in Begleitung von ihren Freunden. Ich genoss für einen Augenblick ihre Schönheit, die ich schon so lange nicht mehr bewundern konnte.
Wie sie mit kleinen Schritten den Saal betrat, in ihren hohen Schuhen und ihrem engen schwarzen Kleid, das sich an ihren Körper schmiegte.
Eine schwarze Maske hatte sie auf, welche mit sanften silbernen Verzierungen bestückt war und ihr schönes Gesicht versteckte.
Doch ich würde sie überall wiedererkennen.
Es war ungewohnt für mich, sie einfach nur vor mir zu sehen und sie nicht spüren zu können.
Kein einziger Funken von dem, was sie gerade fühlte, kam bei mir an. Den einzigen Herzschlag, den ich spürte, war meiner.
Ich hatte all meine Engelskräfte verloren, um sie zu retten und damit hatte ich auch meine Bindung zu ihr aufgegeben. Nicht mehr zu wissen, wann sie in Sicherheit war und wann nicht, beunruhigte mich. Doch es war etwas, womit ich klarkommen musste.
Hauptsache, sie war am Leben.A U R O R A
Ich hatte schon einiges getrunken und bewegte mich zur Musik. Ich hatte Spaß mit meinen Freunden und hatte keine Ahnung, wie spät es war. Doch so musste sich das anfühlen. Ich wollte nicht, dass dieser Abend jemals endete.
Cece nahm meine Hände und wir tanzten zusammen, lachten und sahen, wie Nathan und Alec uns belustigt ansahen, während sie an der Bar lehnten.
Ich drehte mich im Takt und schloss die Augen.
Ich spürte, wie der Bass durch meine Adern trieb und mein Herz vor Freude schlug.
Als ich meine Augen wieder öffnete, fiel mein Blick auf einen Mann.
Er war groß und dunkelhaarig und stand mit dem Rücken zu mir.
Er hatte ein weißes Hemd an und die schwarzen Bänder seiner Maske spannten sich durch sein Haar.
Plötzlich drehte er sich um und, als ich in das wunderschöne Bernstein seiner Augen sah, welche unter seiner Maske hervorstachen, raubte es mir leicht den Atem.
Ich spürte eine Wärme, die sich um mein Herz legte, als würde ich den Mann kennen.
Er sah mich intensiv an und wich meinem Blick keinesfalls aus.
Sein Gesicht war kantig und seine Lippen sahen so weich aus. Er war muskulös und hatte sein Hemd weit aufgeknöpft, sodass meine Knie beim Anblick ganz weich wurden.
Wir waren ein paar Meter voneinander entfernt, doch ich hatte das Gefühl, er hatte Besitz von mir genommen.
Ich spürte eine Verbindung, von der ich nicht verstand, was sie bedeutete und irgendwas in mir wollte diesen Mann kennenlernen.
Also ging ich näher zu ihm und sah ihm tief in die Augen. Er sah mich, überrascht und traurig zugleich, an.
Ich musste herausfinden, wer dieser Mann vor mir war, der von der ersten Sekunde an etwas in mir auslöste, das mich glücklich machte und dem ich nachgehen wollte.
Wer war er?
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SCHUTZENGEL
Romantizm~Dann drehte er sich um und ich sah direkt in seine Augen, deren Bernsteinfarben mich in ihren Bann zogen. Sein schwarzes Haar lag ihm ein bisschen in der Stirn. Er beugte sich zu mir und ich konnte seinen wunderbaren Duft riechen, sodass meine Knie...