A U R O R A
Die Sonnenstrahlen kitzelten mich an der Nase und zwangen mich langsam dazu aufzuwachen. Ich blinzelte gegen das grelle Licht, das genau in mein Zimmer schien und wollte mich strecken und den Schlaf aus den Gliedern kämpfen.
Aber etwas hinderte mich daran oder besser gesagt - jemand.
Augenblicklich musste ich schmunzeln. Diesmal war er geblieben und nicht einfach verschwunden. Sein Arm ruhte auf meiner Taille und ich spürte seinen ruhigen und warmen Atem, der auf meiner Haut kräuselte, wie sanfter Wind über die See.
Augenblicklich beschloss ich, nicht aufstehen zu wollen und einfach hier liegen zu bleiben, hier mit ihm. Ich wollte den Moment nicht zerstören und hatte irgendwie Angst, dass wenn er aufwachte alles vorbei sein würde. Oder schlimmer noch, er wieder verschwinden und die letzte Nacht vielleicht sogar bereuen würde.
Diese Gedanken ließen mich schlucken und meine Angst davor wuchs immer mehr.
Was war, wenn er sich wieder von mir abwendete und mich nun endgültig nicht mehr sehen wollte? Was würde ich tun? Das wollte ich auf keinen Fall. Ich hoffte so sehr, dass es diesmal anders sein würde. Dass er bei mir blieb und akzeptierte, dass wir offensichtlich nicht ohne einander konnten. Egal, wie kompliziert das auch sein mochte, was er vor mir verschwieg, irgendwie musste ich ihm zeigen, dass er mir vertrauen konnte. Ich musste ihm verständlich machen, dass er mit mir über alles reden konnte.
Gerade als ich mir darüber Gedanken machen wollte, wie ich das am besten anstellen sollte, regte Finn sich hinter mir und sein Arm verschwand von meinem Körper, was meine Angst nur noch vergrößerte.
Ich drehte mich zu ihm um und sah, wie er sich verschlafen reckte und sich dann zu mir drehte, sodass wir genau voreinander lagen. Ich konnte keine Anzeichen darüber entdecken, dass er etwas bereute oder dass er wieder gehen würde.
Nein, sein Blick war liebevoll und er küsste mich auf die Nasenspitze. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie froh ich gerade darüber war, also legte ich meine Hand auf seine Wange und streichelte seine Lippe. Daraufhin fanden seine Lippen erneut zu meinen und ich versuchte zu begreifen, dass er mich nicht von sich wegstieß und abschirmte. Dieses Mal nicht. Dieses Mal schien es wirklich anders zu sein.
„Guten Morgen", raunte Finn mir mit einer verführerischen, rauen Stimme entgegen. Mein Körper kribbelte vor Freude, es war ganz anders, als ich es erwartet hatte.
„Guten Morgen", flüsterte ich und konnte nicht aufhören zu grinsen, genau wie er.
„Wie spät ist es?", murmelte er und rieb sich das Gesicht. Ich sah auf die Uhr und verriet ihm, dass es schon fast 11 war.
„Was?!", schrie er plötzlich auf und saß im nächsten Moment im Bett. Ich zog die Bettdecke näher zu mir heran, weil er sie mir fast entrissen hätte und sah ihm in die erschrockenen Augen.
„Ich muss im Ins... bei der Arbeit sein!" Schnell suchte er im Zimmer seine Sachen zusammen, zog sie sich innerhalb von Sekunden über und stahl mir den schönen Anblick seines Körpers.
Finn stürzte zu mir und gab mir einen Kuss.
„Tut mir leid, dass ich gehen muss. Aber heute Abend gehen wir essen. Ich hole dich um sieben ab."
Überrascht, wusste ich nicht, was ich sagen sollte und mir kam nur ein Okay über die Lippen, gerade noch, bevor er aus dem Fenster stieg und verschwunden war.
Es war, als hätte sich Finn in eine andere Person verwandelt. Irgendetwas hatte sich definitiv geändert, denn er stieß mich nicht von sich weg, sondern suchte meine Nähe und hatte mir soeben ein Wiedersehen versprochen. Schon heute Abend.F I N N
Während ich in meinem Auto saß und zurück zum Institut fuhr, konnte ich gar nicht mehr aufhören zu lächeln.
Es war wahrscheinlich der größte Fehler, den ich je machen konnte. Aber das war mir egal, ich würde niemals diese Nacht rückgängig machen wollen.
Noch immer spürte ich ihre Hände auf meiner nackten Haut, wie sie sich in meinen Rücken grub und, wie sich unsere Körper aneinander schmiegten, als würde nichts auf der Welt das je ändern können.
Ich konnte noch immer nicht glauben, was letzte Nacht passiert war. Es war das schönste Gefühl, das ich bis jetzt erlebt hatte. Mit keiner anderen Frau hatte sich das so angefühlt, wie mit Aurora und das musste ich festhalten.
Ich erinnerte mich an ihren heißen Atem auf meiner Haut, hörte ihr Seufzen in meinen Ohren und sah ihre wunderschönen Augen vor mir, wie sie mich unschuldig musterten.
Ich hatte lange versucht ihr aus dem Weg zu gehen, hatte versucht, dass sie mich vergisst und ich sie vergesse.
Aber es hatte nicht funktioniert. Ich konnte nicht erklären, wann oder warum das passiert war, aber ich hatte mich in sie verliebt und ich wollte sie nicht einfach nur beschützen, weil ich ihr Schutzengel war.
Ich wollte sie beschützen, weil mein Herz es nicht ertragen könnte, wenn Aurora etwas zustoßen würde.
Schon, wenn ich daran dachte, wurde mir schlecht.
Ich musste daran denken, wie ich heute neben ihr aufgewacht war. Sofort wollte ich sie nie wieder verlassen und für immer bei ihr sein. Das Gefühl drängte sich in mein Inneres, dass ich jeden Morgen so aufwachen wollte. Ich wollte sie mit Frühstück am Bett überraschen, wollte sie jeden Tag glücklich machen. Ich wollte sie verdammt nochmal vergessen lassen, was ihr in den letzten Wochen passiert war.
Sie würde die glücklichste Frau auf der Welt sein und ich würde sie vor allem beschützen und ihr das Leben retten.
Ich würde sogar für sie sterben, wenn es sein müsste.
Ich lenkte meinen Wagen auf den Feldweg, der zum Institut führte, wohl bewusst, dass ich viel zu spät dran war.
Als ich das mächtige Haus betrat, hatte ich plötzlich ein ungutes Gefühl. Niemand hier würde akzeptieren, wie ich fühlte. Niemand würde es überhaupt ansatzweise verstehen. Meine Gefühle für Aurora waren verboten und das hatte ich von Anfang an gewusst. Aber ich konnte nicht dagegen ankämpfen, so sehr ich es auch versucht hatte. Gegen sie war ich machtlos. Sie stellte etwas mit mir an, was ich nicht in Worte fassen konnte.
Ich lief die Stufen nach oben in mein Zimmer und zog meine Trainingssachen an. Wenn ich schon das Kampftraining verpasst hatte, konnte ich es wenigstens nachholen. Also ging ich in die Trainingshalle, wo ich niemanden vorfand. Ich suchte mir einen geeigneten Boxsack heraus und band mir die Handgelenke und die Finger. Dann streifte ich meine Handschuhe über und kreiste ein paar Mal meine Arme.
Ich wollte einfach nur, dass dieser Tag schnell endete und ich mit Aurora essen gehen konnte. Ich vermisste sie und wollte wieder bei ihr sein.
Als ich in mich hineinhorchte, spürte ich ihre Gefühle, die mir genau dasselbe verrieten. Augenblicklich ließ sie mich wieder schmunzeln, obwohl sie nicht mal in meiner Nähe war.
„Na, was macht dich so glücklich?", rief Sophie und hinter ihr knallte die Hallentür ins Schloss.
„Hi", begrüßte ich sie und fing an zu boxen, sodass ich mir keine Gelegenheit gab, unsicher zu werden. Sie durfte das mit mir und Aurora auf keinen Fall erfahren. Das durfte keiner.
„Wo warst du heute Morgen. Cullen war nicht gerade glücklich darüber."
„Ich habe verschlafen", gab ich zu, was nicht gelogen, aber auch nur die halbe Wahrheit war.
„Seit wann verschläft denn Finn Winchester?", neckte sie mich und zog die Augenbrauen nach oben, „Heiße Nacht gehabt?"
Plötzlich stockt mir der Atem, bei dem was sie gesagt hatte. Wie kam sie darauf, sie ahnte doch nichts? Oder doch?
„Komm schon, mir kannst du es erzählen! Ich weiß sowieso schon, dass ihr euch geküsst habt!", quiekte sie und biss sich neugierig auf die Unterlippe.
Das Blut schien mir wortwörtlich in den Adern zu gefrieren. Woher wusste sie das alles? Immer, wenn sie dabei war, hatte ich mich von Aurora ferngehalten. Hatte sie es jemanden erzählt?
„Bitte erzähle niemandem davon. Ich weiß, dass es verbo...-"
„Ich habe niemandem davon erzählt. Saskia hat es mir zugeflüstert", lachte sie, „Sie hat mir gesagt, ich soll meine Klappe halten, bis sie weiß, was da zwischen euch läuft. Aber ich musste dich einfach darauf ansprechen."
Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
„Saskia?"
„Ja, klar oder hast du mit noch jemandem in deinem Auto rumgemacht?"
Ich überlegte kurz, wie ich mich da raus reden konnte, aber leider fand ich keine Ausrede.
„Nein, hab ich nicht. Ich weiß auch nicht, es ist einfach passiert."
Ich hoffte, dass sie jetzt damit aufhören und es dabei belassen würde. Ich hasste es, daran zu denken. Das war der Fehler, nicht das mit Aurora. Ihre Lippen auf meinen gaben mir nicht annähernd das Gefühl, dass mir Aurora geben konnte.
„Na dann Loverboy, wir sehen uns zum Mittagessen." Damit verschwand Sophie und ich atmete durch. Ich war froh darüber, dass sie nichts von Aurora ahnte, aber was mich störte, ist ihre neue Theorie. Nie würde ich mit Saskia etwas anfangen. Saskia war hübsch und hatte einen tollen Charakter, aber an Aurora kam sie nicht heran.
Das kam keine Frau.
Verdammt, ich liebte sie wirklich.
Obwohl ich das nicht durfte und mit diesem Gedanken schlug ich auf den Boxsack ein.
Ich brachte sie wahrscheinlich damit in Gefahr, aber sie war in noch größerer Gefahr, wenn ich nicht bei ihr war.***
Ich nahm meinen Teller und lenkte von der Theke in Richtung unseres bekannten Tisches. Von Weitem konnte ich schon Mio und Ming erkennen, Saskia und Sophie konnte ich noch nicht entdecken. Aber insgeheim hoffte ich, dass sie eventuell das Mittagessen ausfallen lassen würden. Ich wollte auf keinen Fall in irgendwelche unangenehmen Gespräche hineingezogen werden, denn darin war ich nicht gut.
Doch meine Hoffnung wurde in dem Moment zerstört, als Saskia und Sophie links und rechts neben mir auftauchten und wir uns zu dritt zu den beiden anderen gesellten.
„Sag' bloß nicht, du hast heute geschwänzt, Winchester", flüsterte Mio nicht gerade leise über den Tisch. Ich grinste nur, da ich nicht jedem erklären wollte, warum ich nicht da war. Ja, das passierte selten.
Na gut, eigentlich war es noch nie passiert.
„Wollen wir heute Abend wieder in die Bar vom letzten Mal gehen?", fragte Saskia in die Runde und sah mich dabei merkwürdig von der Seite an. Als würde sie nur auf meine Reaktion hoffen.
„Also ich bin dabei", nuschelte Mio und schob sich eine weitere Gabel in den Mund. Es sah so aus, als hätte er seit Wochen nichts mehr gegessen.
Wo sollte ich eigentlich mit Aurora heute Abend hingehen? Mist, darüber hatte ich mir gar keine Gedanken gemacht. Was aß sie denn gern? Ich wusste, dass sie nicht die reichen Restaurants mochte. Sie mochte eher Kleinere, wie das, in dem sie letztens mit Alec war.
Doch ich brauchte etwas in einer anderen Stadt. Wenn meine Freunde diese Nacht draußen herumstreunten, so wie sie es gerade andeuteten, brauchten wir alle nur zum falschen Ort und zur falschen Zeit aufeinandertreffen.
Und dann würden sie Fragen stellen. Sehr viele Fragen. Und natürlich Vorwürfe und dann würde es Elijah erfahren und Aurora würde mir entzogen werden.
„Finn, bist du noch bei uns?", Sophie stupste mich in die Seite und ich wurde schlagartig aus meinen Gedanken gerissen.
„Ja, worum geht es?", fragte ich, obwohl mir klar war, dass mich das nur verdächtig machte.
„Wo bist du denn mit deinen Gedanken?", lachte Ming und kniff die Augen spielerisch zusammen, als versuchte sie gerade meine Gedanken zu lesen.
„Nirgends." Ich machte es nur noch schlimmer.
„Kommst du heute Abend mit oder nicht?", hakte Mio nach.
Jetzt brauchte ich eine gute Ausrede, aber leider viel mir keine ein, die gut genug klang.
„Nein, heute nicht. Ich werde mich dann einfach hinlegen."
Das klang ganz schön armselig, aber mein Abend wird sicherlich alles andere als das.
Daraufhin kehrte eine gefährliche Ruhe am Tisch ein, in der sich jeder seine Gedanken machte. Vor allem Saskia saß schweigend da und sah unbeholfen auf ihren Teller. Dachte sie wirklich, zwischen uns könnte etwas laufen?
Wahrscheinlich, denn in ihrem Blick konnte ich deuten, dass sie sich eine andere Antwort erhofft hatte.
Aber ich konnte nur noch an Aurora und heute Abend denken.

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SCHUTZENGEL
Romance~Dann drehte er sich um und ich sah direkt in seine Augen, deren Bernsteinfarben mich in ihren Bann zogen. Sein schwarzes Haar lag ihm ein bisschen in der Stirn. Er beugte sich zu mir und ich konnte seinen wunderbaren Duft riechen, sodass meine Knie...