Herausforderung

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Nike war die halbe Nacht das Gespräch mit April noch einmal durchgegangen. Fieberhaft überlegte sie, ob Jenkins vielleicht tatsächlich auf Männer stand oder ob sie seine Blicke vielleicht einfach nicht bemerkt hatte. Aber sie war sicher, dass er sie nicht angesehen hatte wie andere Männer in der Firma. An diesem Tag würde sie genau auf ihn achten. Sie fühlte sich herausgefordert. Ihre Haare hatte sie wie auch am Vortag zu einer lockeren Frisur hochgesteckt. Ihr Make-Up war dezent gewählt und betonte eher die natürlichen feinen Züge ihres Gesichtes. Sie trug eine figurbetonte Bluse in einem alt roséfarbenen Ton, welche durch die ersten geöffneten zwei Knöpfe einen dezenten Blick in ihr Dekolleté zuließen. Der heutige Rock fiel lockerer, war jedoch wenige Zentimeter kürzer. Ihre Beine durch die Kombination des Rockes und der schwarzen Pumps, unterstrichen durch blickdichte Strumpfhosen in Szene gesetzt.
Schon als sie das Bürogebäude betrat, zeichneten sich die ersten Erfolge ihres Outfits ab. Die Männer drehten sich reihenweise nach ihr um. „Wow", hörte sie nun April vom Empfang. „Du willst es wirklich wissen, oder?", hakte sie weiter nach, nach dem sie ihre Freundin ausgiebig gemustert hatte. „Ich möchte ihn nur aus der Reserve locken. Ist er schon da?" April nickte, sah ihr nach und schüttelte grinsend den Kopf.

Mit einem Kaffee bewaffnet betrat Nike das Büro ihres Chefs. Mr. Jenkins war in ein Telefonat vertieft und sah kurz zu ihr auf. Für einen kurzen Moment glaubte sie etwas in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Was es war konnte sie jedoch nicht deuten. Sie lächelte freundlich und stellte den Kaffee neben ihm auf dem Schreibtisch ab, bevor sie das Büro wortlos wieder verließ.
Für den Morgen hatte sie sich vorgenommen, sich die Statistiken noch einmal anzusehen, vor denen sie sich die letzten Wochen schon gedrückt hatte. Sicherlich gehörten Zahlen und Fakten zu ihrem Arbeitsbereich, ihr Interesse galt jedoch eher dem Marketing und dem Personalmanagement. Mr. Smith hatte sie in die meisten Entscheidungsprozesse mit eingebunden, sodass sie vermutlich in allen Bereichen einen guten Überblick hatte. Sie war gespannt, wie sich Mr. Jenkins die Zusammenarbeit vorstellte.

„Guten Morgen". Nike sah auf und sah Mr. Jenkins mit seiner Kaffeetasse in der Hand im Türrahmen stehen: „Vielen Dank für den Kaffee. Würden Sie mich kurz begleiten? Ich hätte ein paar Fragen.", bemerkte er sachlich. Nike legte ihren Stift zur Seite, zog ihren Rock zurecht und folgte ihm. Im Büro angekommen wies er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Die Kalkulationen sind ausgezeichnet. Eine sehr gute Grundlage. Allerdings irritiert mich ein Teil der variablen Kosten. Diese würde ich mir gerne noch einmal genauer ansehen." Nike folgte den Ausführungen aufmerksam und nickte: „Natürlich, das ist kein Problem". „Ich würde mir außerdem gerne noch die ein oder andere Personalakte ansehen." Nike horchte auf: „Beabsichtigen Sie Personal zu entlassen?", sprudelte es aus ihr heraus, bevor sie die Frage noch einmal überdacht hatte. „Muss ich Sie etwa um Erlaubnis bitten?", erwiderte Mr. Jenkins ruhig. Verwundert über seine sachliche Art schüttelte sie den Kopf: „Nein natürlich nicht. Bisher wurde ich in solche Entscheidungsprozesse aufgrund meiner Qualifikation einbezogen." „Und was sind ihre Qualifikationen?", fragte er trocken und sah auf. Stutzig über die direkte Frage stockte sie. Mr. Jenkins nutzte ihre kurze Pause und ergriff das Wort: „Sehen Sie, deswegen möchte ich mir die Personalakten ansehen. Außer Sie möchten mir Ihren Lebenslauf gerne persönlich vortragen." Erwartungsvoll sah er Nike an, wobei sein ernster Blick einem Lächeln wich. Nike musste feststellen, dass ihr neuer Chef schlagfertiger war, als sein Vorgänger. „Das würde zu lange dauern", konterte sie locker. Was er konnte, konnte sie ebenso. „Brauchen Sie noch etwas?", wollte sie nun herausfordernd wissen. Trotz ihres Schlagabtauschs war das Verhalten von Mr. Jenkins weiterhin ungebrochen professionell. Er richtete seinen Blick auf seine vor ihm liegenden Unterlagen: „Das war es von meiner Seite, vielen Dank", beantwortete er ihre Frage beiläufig und gab ihr damit zu verstehen, dass sie wieder ihre Arbeit aufnehmen konnte.
„Ach eins noch", ergänzte er als Nike grade nach der Türklinke griff und das Büro verlassen wollte. „Es wäre mir recht, wenn Sie pünktlich um 13 Uhr aus Ihrer Pause zurück sein könnten." Nike nickte bestätigend und verließ ohne weiteres Wort das Büro. Innerlich kochte sie. Mit Mr. Smith hatte sie sich ausgezeichnet eingespielt, mit ihm hatte es keine Probleme gegeben, auch keine Vorgaben bezüglich ihrer Pausenzeiten. Wie es schien, erwarteten sie einige Veränderungen in ihrem täglichen Workflow.

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