Hitzige Diskussionen

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„Ich glaube Mr. Jenkins wirkt nur so ruhig und professionell", stellte Nike fest und sah ihre Freundin gedankenverloren an. „Wie meinst du das?", wollte diese nun neugierig wissen. Nike tippte nachdenklich mit dem Finger auf ihre Lippe: „Ich glaube der Schein trügt. In seinem Blick gestern war etwas." „Und was glaubst du da gesehen zu haben?", hakte April nach und nippte an ihrem Cappuccino. „Ich weiß es nicht", gab Nike ehrlich zu. Dieser kurze Blick in seine grauen Augen hatte sie fasziniert und sie war sich sicher, dass auch er kurz gezögert hatte. „Vielleicht zur Abwechslung ein verantwortungsbewusster, anständiger Mann, dem etwas an seiner Frau und seinem Kind liegt. Wäre doch mal was.", fuhr April fort. Nike lächelte: „Dann ist er zu anständig. Ein Flirt ist nun wirklich nicht verwerflich."

Nachdem sich Nike wieder an ihrem Arbeitsplatz niedergelassen hatte, vertiefte sie sich in ihre Unterlagen. Sie war froh eine Kollegin und gute Freundin, wie April zu haben, mit der sie sich unterhalten und manchmal auch herumalbern konnte. Ein leises Klopfen riss sie aus ihren Gedanken, woraufhin sie einen Blick zur Tür warf. Vor ihr stand der Junge mit den hellblonden Locken, dem sie am Freitag zuvor begegnet war, Finlay. „Hallo", grüßte Nike freundlich und betrachtete ihn ruhig. „Hallo, Sie sind Miss Davis, oder?", grüßte nun auch er höflich und kam ein paar Schritte auf sie zu. „Ja das ist richtig, aber du kannst mich ruhig Nike nennen." „Gerne. Ist mein Vater da?" Nike warf einen Blick auf seine Bürotür und überlegte. Sie hatte ihn seit sie aus der Mittagspause wiedergekommen war noch nicht gesehen. Sie sah ihren gegenüber an, lächelte und zuckte leicht mit den Schultern: „Ehrlich gesagt weiß ich es nicht". Finlay grinste: „Sollten sie so etwas als seine Assistentin nicht wissen?". Seine unerwartete Bemerkung brachte sie zum Lachen. Er hatte Recht, sie hätte es wissen müssen. „Finlay?" Nike drehte sich um und erblickte Mr. Jenkins im Türrahmen. „Hallo Dad". Dieser schien überrascht seinen Sohn zu sehen. „Deine Assistentin ist sehr nett", bemerkte Finlay und lächelte ihr zu. Nike konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln. Finlay war ein vorbildlicher Teenager, zumindest das was sie bisher von ihm gesehen hatte, allerdings war sie nicht sicher, ob Mr. Jenkins das in diesem Moment ebenso sah. „Komm mit", wies er seinen Sohn wie gewohnt sachlich an. Dieser schüttelte den Kopf: „Ich wollte dich nur kurz was fragen. Daniel hat mich für heute eingeladen. Er wohnt doch gleich bei dir um die Ecke. Mom möchte nicht, dass ich bei ihm übernachte, weil morgen Schule ist. Sie meinte ich soll dich fragen, ob ich bei dir übernachten kann. Dann wäre es in Ordnung". „Ich muss heute lange arbeiten." „Kein Problem, Dad. Ich bin um 22 Uhr zu Hause versprochen.", fiel Finlay seinem Vater fast schon ins Wort. „In Ordnung, sag deiner Mutter aber bitte Bescheid." Finlay lächelte und nickte eifrig, was nun auch Mr. Jenkins ein Lächeln auf die Lippen zauberte. „Das wars schon. Danke Dad." Er drückte sich an seinem Vater vorbei, sah noch einmal schmunzelnd zu Nike: „Auf Wiedersehen, Nike" und verschwand aus der Tür. „Sie haben einen tollen Sohn", bemerkte Nike, ohne wirklich über ihre Bemerkung nachgedacht zu haben, doch zu ihrer Verwunderung lächelte Mr. Jenkins knapp: „Danke. Ich würde später gerne noch das Konzept, den Personalplan und die Analysen von gestern durchgehen. Hätten Sie Zeit?". Mit einem Schlag war Mr. Jenkins wieder vollkommen professionell. Nicke nickte: „Ich möchte nur noch kurz den Abschnitt meiner Statistik fertigstellen. Dann würde es passen."

Seit geschlagenen drei Stunden saß Nike nun mit Mr. Jenkins zusammen. Sie hatten sich am Besprechungstisch niedergelassen, die Unterlagen auf dem Tisch verteilt. Ihre Anmerkungen zur Personalplanung hatte er tatsächlich übernommen und es waren zu ihrer Freude keine Kündigungen mehr angedacht. Nun hingen sie an den Analysen eines langjährigen Kunden fest: „Hier stimmt etwas nicht", stellte er sachlich fest und umrandete eine Reihe Zahlen in dem Dokument, welches vor ihnen lag. „Sie irren sich.", entgegnete sie direkt. „Sie können aufgrund der Abhängigkeiten der einzelnen Kosten- und Nutzenarten voneinander keine derartigen Beziehungszusammenhänge isolieren und schon gar nicht quantifizieren. Die Kosten- und die Nutzenstruktur ist hierfür viel zu fein gewählt.", bemerkte er sicher. „Wäre eine Quantifizierung nicht möglich gewesen, Mr. Jenkins, würden hier sicherlich keine Zahlen stehen. Hierzu gibt es eine Randnotiz auf Seite 52", konterte sie selbstsicher, zog die Papiere an sich und schlug die entsprechende Seite auf. Eingehend las er sich den Abschnitt durch, auf den Nike verwiesen hatte: „Das ist eine ungewöhnliche Verfahrensweise". „Aber sie funktioniert", erwiderte sie nun siegessicher. „Vielleicht sollten wir das so stehen lassen", stellte er nun ruhig fest und fuhr sich mit einer Hand durch sein lockiges Haar. Nike beobachtete ihn gebannt, seine Bewegung hatte etwas Reizvolles an sich. Um nicht aufzufallen, warf sie schnell einen Blick auf die Uhr hinter ihm: 18:54 Uhr. Wie es schien, hatte er den Blick auf die Uhr bemerkt und ergriff das Wort: „Das Konzept können wir gerne auch morgen durchgehen. Unsere Diskussionen nehmen mehr Zeit in Anspruch, als ich es erwartet hätte" Sie mochte die Diskussionen mit ihm. Er hatte eine ganz andere Herangehensweise, aber genau diese forderte sie heraus: „Wir können das Konzept gerne noch durchgehen, aber dann brauche ich etwas zu essen. Ich werde unerträglich, wenn ich hungrig bin.", plapperte sie los. „Schlimmer kann es nicht werden", erwiderte er trocken. Augenblicklich sah sie ihn an und wieder hatte sie das Gefühl einen Hauch Schalk in seinen Augen zu sehen. „Dann machen wir eine kurze Pause", fuhr er sachlich fort, drehte sich um und zog sein Jackett und seine Krawatte aus. Sein Hemd lag eng an und betonte seinen sportlichen Oberkörper, seine Hose, vermutlich eine Maßanfertigung saß perfekt und ließ einen ebenso sportlichen Hintern erahnen. Nike beobachtete, wie er seine Manschettenknöpfe öffnete, seine Hemdärmel nach oben schob und sie dann direkt ansah: „Ich habe den Eindruck, dass es hier ganz schön warm ist", stellte er nüchtern fest. Nike schluckte und riss sich aus ihren Gedanken: „Indisch ist in Ordnung?"

Nike war froh über die kurze Pause und die frische Luft, die sie auf dem Weg zum Inder einatmete. Trotz seiner sachlichen Art hatte sie immer wieder das Gefühl, dass er doch auf irgendeine Art und Weise mit ihr flirtete oder deutete sie seine Art falsch? Wie es schien, war er nicht mit der Mutter seines Sohnes zusammen, zumindest wohnten sie nicht zusammen. Aber die Art, wie Finley gesprochen erweckte bei Nike den Eindruck, dass sie kein Paar waren.

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Luis hatte sich für eine kurze Pause entschieden und hatte diese auch nötig. Seine Assistentin forderte ihn, was über den Abend immer wieder in anspruchsvollen Diskussionen endete. Sie war eine beeindruckende Frau. Er wandte sich von seiner Assistentin ab, zog Jackett und Krawatte aus, spürte jedoch, dass sie ihn wie schon wenige Minuten zuvor beobachtete. Langsam öffnete er seine Manschettenknöpfe, schob seine Ärmel nach oben und sah sie an. Es lag etwas in ihrem Blick. „Ich habe den Eindruck, dass es hier ganz schön warm ist", bemerkte er ruhig und möglichst sachlich. Statt ihren Blick abzuwenden, sah sie ihm für einen kurzen Moment unmittelbar in die Augen, bis sie sichtbar schluckte und sich abwandte: „Indisch ist in Ordnung?".


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