Nichts passiert

523 21 0
                                    

Nach einer ausgiebigen Pause im Schatten und einer kleinen Stärkung ging es Nike deutlich besser. Ihre Freundin und sie hatten sich auf dem Rücken liegend im Gras niedergelassen, die Beine auf einem umgefallenen Baumstamm hochgelegt. Die Mountainbike Tour hatte mehr Energie gekostet, als sie vermutet hatte. Die Vorstellung, jetzt noch mehrere Kilometer zu paddeln und noch zu laufen war gar nicht so berauschend. Sie hätte auch einfach im Gras liegen bleiben können. „Wir werden morgen jeden einzelnen Knochen spüren", stellte April fest und richtete sich langsam auf.

Bei der Kanu-Tour hatten sich zu Nikes Überraschung mehr Kollegen angemeldet als bei der Mountainbike Tour. Es kamen alle möglichen Konstellationen zustande. Kanadier mit 2 Personen, mit 3 Personen, mit 4 Personen, mit 5 Personen und eines mit 10 Personen. April und sie hatten sich mit zwei Kollegen zusammengetan und gehörten somit zu den 4ern. Ihre Wertsachen in einer wasserfesten Packtasche verstaut, ging es los und das erstaunlich souverän. Ob es bei allen so gut funktionierte? Diese Frage beantwortete sich schnell, als sie eine laute Diskussion, ein Schreien und Lachen vor sich vernahmen. Eines der Boote war gekentert und schwamm verkehrt herum im Wasser, das andere taumelte noch wenige Meter davon entfernt. Keine zwei Meter neben ihnen schwamm ein Paddel, welches von einem ihrer Kollegen verfolgt wurde. „Kann man euch helfen?", rief Nike und musste sich ein Lachen verkneifen. Zwei der Damen, die im Wasser gelandet waren, fanden dies wohl nicht so witzig. „Eins, zwei, drei, vier", zählte April die Kollegen im Wasser und überlegte „Da fehlt doch einer. Das ist doch ein 5er" „Fünf", ertönte eine Stimme aus dem Wasser. „Wir sollten kurz anlegen", bemerkte Alex, einer der Kollegen in ihrem Boot und steuerte auf das Ufer zu. „Wir sollten ihnen helfen." Auf festem Boden angekommen halfen Nike und April ihren Kolleginnen aus dem Wasser: „Das war doch sicher Absicht", stellte eine der Beiden fest. Nike lächelte beschwichtigend: „Das war es sicher nicht. Das geht schnell". Sie schaute sich um und sah, wie drei Männer das gekenterte Boot aus dem Wasser zogen und es auf der Wiese ablegten. „Entschuldigen Sie, Mr. Jenkins, das war natürlich keine Absicht.", bemerkte ein Kollege, der aus einem weiteren Boot ausstieg, welches grade am Ufer angelegt hatte. „Schon in Ordnung", bemerkte dieser knapp, wischte sich mit der Hand das Wasser aus dem Gesicht, trat einen Schritt zur Seite und zog sich sein nasses Shirt über den Kopf. Nike konnte nicht anders, ihr Blick blieb an seinem definierten Oberkörper hängen. Sie schluckte fest, als sein Blick ihren für einen kurzen Moment traf. Er rollte das Shirt zusammen und drückte das Wasser sorgfältig aus dem Stoff, bevor er es aufschüttelte und wieder überzog. „Wollen Sie sich nicht lieber etwas Trockenes anziehen, Mr. Jenkins?". Alex war neben ihn getreten und sah ihn fragend an. „Das trocknet wieder", bemerkte er knapp und warf einen Blick auf die zwei nass gewordenen Damen aus seinem Boot: „Ist bei Ihnen alles in Ordnung?", fragte er höflich.

Geduscht, umgezogen und vollkommen geschafft saßen Nike, April und ihre Kollegen an einem Tisch in Feuernähe und ließen sich das Essen schmecken. Sie war froh, dass das Organisationsteam eine Dusche mitbedacht hatte. Das gekenterte Boot hatte ebenfalls die Tour regulär beendet, aber das vermutlich auch nur, weil Mr. Jenkins es nicht für notwendig gehalten hatte diese abzubrechen und niemand dem CEO widersprechen wollte. Möglichst unauffällig beobachtete Nike Mr. Jenkins, der nun in Jeans und einem eher lockeren Hemd am Nachbartisch saß und sich angeregt unterhielt. „Ich weiß, wen du beobachtest", flüstere April neben ihr. Sofort wandte Nike ihren Blick ab. „Es lässt dir keine Ruhe, was?", fügte sie mit einem Schmunzeln hinzu. Nike zuckte lediglich mit den Schultern und schob sich ihre gefüllte Gabel in den Mund. Er ließ ihr tatsächlich keine Ruhe.

Nike und April hatten es sich einer Gruppe Kolleginnen und Kollegen am Feuer gemütlich gemacht. Sie unterhielten sich angeregt und scherzten über Situationen und Gewohnheiten in der Firma. Es war eine ausgelassene und heitere Stimmung, der ein oder andere Kollege versuchte sich sogar an einem kleinen Flirt mit ihr, was sie ein wenig amüsierte. Mit der Dunkelheit war es deutlich kühler geworden. „Ich hole mir mal eine Jacke", bemerkte Nike und machte sich auf den Weg zu dem ihr zugewiesenen Zelt, welches sie sich mit April und zwei weiteren Kolleginnen teilen würde. Als sie grade ihr Zelt verließ und sich ihre Jacke überzog, bemerkte sie eine Gestalt im Dunkeln, das Gesicht erleuchtet durch das Licht seines Handybildschirms: Sie lächelte als sie die Gestalt erkannte und trat auf sie zu: „Mr. Jenkins, Sie sind nicht zum Arbeiten hier". Ihr Gegenüber sah auf, lächelte knapp und ließ sein Handy in seine Hosentasche gleiten. „Ich hatte noch ein Gespräch mit Mr. Jones der ARCO-Bank. Er möchte sich gerne noch einmal mit uns zusammensetzen", erklärte er ruhig und sah sie an. „Wie haben Sie das gemacht?", erwiderte Nike erstaunt. Mr. Jenkins zuckte lediglich mit den Schultern: „Strategisches Vorgehen" „Man nennt es auch Manipulation", bemerkte Nike herausfordernd, worauf Mr. Jenkins einen weiteren Schritt auf sie zutrat und nun nur noch wenige Zentimeter vor ihr stand. „Da spricht die Psychologin.", stellte er ruhig, jedoch nicht wie gewohnt sachlich fest. Er wirkte anders, nahbarer. Vermutlich hätte sie Abstand zwischen sich und Mr. Jenkins bringen müssen, doch irgendetwas hielt sie davon ab. Sie sah ihn einfach nur an, beobachtete seine Gesichtszüge, seinen Blick, bis sie eine Hand an ihrer Jacke registrierte, die sie sanft an ihn heranzog. Seine Lippen berührten ihre kaum, zaghaft zog er sie weiter an sich heran und intensivierte so den Kuss zwischen ihnen. Ohne weiter darüber nachzudenken, genoss sie die leichten Berührungen des Mannes vor sich, bis er sich behutsam von ihr löste und sie ansah. „Entschuldigen Sie, das hätte nicht passieren dürfen", bemerkte er ruhig, ohne auch nur einen Zentimeter zurückzuweichen. „Das ist keine gute Idee, Luis", bestätigte Nike ebenfalls erstaunlich ruhig, während sie ihn weiter ansah. Auch sie trat nicht zurück. „Dann sind wir uns einig, dass das nie passiert ist?", fragte er noch immer mit seiner Hand an ihrer Jacke, sein Gesicht unmittelbar vor ihrem. Nike überlegte, fuhr sanft mit einem Finger über seine Wange, machte einen Schritt zurück und nickte bestätigend.

„Ist alles in Ordnung, Nike?", hörte sie Aprils Stimme neben sich. Sie hatte gedankenverloren ins Feuer geschaut, verwirrt von dem was sich zwischen Mr. Jenkins und ihr abgespielt hatte: „Ich bin nur müde", erklärte sie ruhig, nachdem sie sich gefasst hatte und beteiligte sich wieder an den Gesprächen um sie herum. „Dürfen wir?" Eine Gruppe Kollegen und Kolleginnen war neben ihnen aufgetaucht und deutete auf eine freie Bank am Feuer, auf der sie sich nach und nach gemütlich niederließen, unter ihnen auch Mr. Jenkins. Während ihre Kollegen alkoholische Getränke zu sich nahmen, hatte Mr. Jenkins lediglich eine kleine Flasche Wasser in der Hand. Aufmerksam lauschte er den Gesprächen um sich herum, beteiligte sich jedoch erstaunlich wenig daran. „Mr. Jenkins", sprach Alex ihn nun direkt an: „Wie gefällt es Ihnen denn bei uns". Er lächelte höflich: „Mein erster Eindruck ist recht positiv.", antworte er unverfänglich. „Sie sind tatsächlich kein großer Redner", stellte Nathalie, welche direkt neben Nike saß, mit einem charmanten Lächeln fest. Mr. Jenkins sah Natalie fragend an. „Also ich persönlich würde gerne mehr über unseren neuen CEO erfahren. Mr. Smith war da etwas zugänglicher. Er war ein Familienmensch, ein angenehmer älterer Herr.", hakte sie weiter nach. Mr. Jenkins lächelte knapp, vermutlich überlegte er, wie er aus dieser Situation herauskam: „Nun ja", begann er sachlich „Ich bin nicht Mr. Smith, daran werden Sie sich wohl gewöhnen müssen. Ich bin 38, meine Vita dürfte inzwischen auf der Firmenhomepage veröffentlicht sein und mein Familienleben ist seit fast 14 Jahren beständig und unspektakulär." Nike schmunzelte und fragte sich, ob Nathalie diese höfliche Abfuhr wohl verstanden hatte.

Nike kehrte grade vom Zähneputzen zurück, als sie Mr. Jenkins allein am Feuer entdeckte, in seiner Hand ein Bier und sein Blick auf das Feuer gerichtet. Sie schmunzelte. Wie es schien, genoss er die Ruhe, welche im Camp inzwischen herrschte. „Darf ich?", fragte sie freundlich und deutete auf den Platz neben ihm. „Selbstverständlich" bemerkte er höflich und lächelte. „Sie sind tatsächlich kein großer Redner", wiederholte sie Nathalies Worte und schmunzelte. Ein Blick zur Seite verriet ihr, dass auch er leicht grinste. Schweigend saßen sie einfach einige Minuten da und blickten ins Feuer „Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Luis", bemerkte Nike leise und machte sich auf den Weg in ihr Zelt.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Luis warf einen Blick auf sein klingelndes Handy und zog sich in eine ruhige Ecke des Camps zurück. Nach einem Gespräch mit Mr. Jones hatte er es tatsächlich geschafft, ihn zu einem weiteren Gespräch zu bewegen. Manchmal musste man nur die richtigen Knöpfe drücken, um zu bekommen was man wollte. „Mr. Jenkins, Sie sind nicht zum Arbeiten hier", hörte er die Stimme seiner Assistentin vor sich. In Trekkingschuhen, einer lockeren Jeans und einer dicken olivfarbenen Fleecejacke stand sie vor ihm, ihre blonden Locken wirr zusammengebunden. Den ganzen Abend hatte er den Blick kaum von ihr abwenden können, wie sie lachte, wie sie mit ihren Kollegen scherzte, wie sie flirtete. Was faszinierte ihn an dieser Frau so? Er lächelte knapp und ließ sein Handy in seiner Hosentasche verschwinden: „Ich hatte noch ein Gespräch mit Mr. Jones der ARCO-Bank. Er möchte sich gerne noch einmal mit uns zusammensetzen", bemerkte er, um sich selbst von seinen Gedanken abzulenken. Erstaunt betrachtete sie ihn: „Wie haben Sie das gemacht?". Er zuckte mit den Schultern: „Strategisches Vorgehen", bemerkte er knapp, woraufhin seine Assistentin ihn herausfordernd ansah: „Man nennt es auch Manipulation". Er trat unbewusst einen weiteren Schritt auf sie zu, bis sie nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt standen. „Da spricht die Psychologin", stellte er ruhig fest, war aber vollkommen auf die Frau direkt vor sich fixiert, wie sie ihn ansah, ihn musterte, ohne seinem Blick auszuweichen. Unüberlegt griff er nach dem Stoff ihrer Jacke, zog sie sanft an sich heran. Wieso konnte sie nicht protestieren? Er wusste, dass es falsch war und dennoch spürte er nur einen Augenblick später ihre Lippen an seinen.


ChallengeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt