Bauchgefühl

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Nike sah April an, welche gespannt den Bildschirm über ihr beobachtete. Sie war ausgesprochen froh eine Freundin wie sie an ihrer Seite zu haben. Sie hatte sie zu jedem einzelnen Termin begleitet, hatte sie ermutigt, sie zum Lachen gebracht, sie bei dieser verzwickten Situation einfach bei Laune gehalten. „Möchten Sie wissen was es wird, Miss Davis?“, fragte Dr. Franklin mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. April sah sie erwartungsvoll an. Nike nickte und sah ebenfalls auf den Bildschirm. „Sie bekommen ein Töchterchen, Miss Davis. Glückwunsch.“. Aprils Mundwinkel zogen sich nach oben, auch Nike lächelte, bis ein Hauch Wehmut in ihr aufkeimte. Sicher hatte es mit den Hormonen zu tun, aber in diesen Momenten wünschte sie sich einen Mann an ihrer Seite, den Vater ihres Kindes. Wie gerne hätte sie dieses Erlebnis, diese Freude mit ihm geteilt.

„Nike, haben Sie den Arbeitsvertrag für Miss Lucas fertig?“, fragte Luis, als er zwischen zwei Meetings für einen Moment an ihrem Schreibtisch stoppte. „Sie wollen Miss Lucas einstellen?“, sprudelte es verwundert aus Nike hervor. Luis sah sie perplex: „Haben Sie etwas an meiner Entscheidung auszusetzen? „Ja“ antwortete sie direkt „Ich glaube das ist nicht die richtige Wahl, Mr. Jenkins“, fuhr sie selbstbewusst fort. „Sie hat ausgezeichnete Qualifikationen“, rechtfertigte sich Luis. „Und sie ist äußerst attraktiv“, bemerkte Nike trocken. „Wie bitte?“, entfuhr es Luis verwirrt. „Man darf sich nicht nur vom Äußeren täuschen lassen“, erklärte Nike ruhig. Luis Blick blieb fragend: „Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.“ „Man sollte sich nicht nur von guten Qualifikationen täuschen lassen. Sie bringen nichts, wenn gewisse Fähigkeiten nicht gegeben sind, es zwischenmenschlich nicht passt. Die inneren Werte sozusagen.“ Luis musterte sie, bis er das Wort ergriff: „Ich muss in einer Minute im nächsten Meeting sein. Sie erklären mir später wen Sie einstellen würden und weshalb.“ Nike schmunzelte und sah ihrem Chef nach, welcher zügigen Schrittes Richtung Konferenzraum ging. Prinzipiell hatten sie es bisher geschafft den professionellen Umgang miteinander aufrechtzuerhalten, dennoch spürte sie immer wieder diese intensive Spannung zwischen ihnen, welche von Mal zu Mal mehr zu werden schien. Sie atmete tief durch, sah zu ihrem Bauch, welcher allmählich deutlich erkennbar war und legte sanft ihre Hand darauf: „Er macht mich noch verrückt, Malia.“, flüsterte sie leise.

„Wie war die Untersuchung? Hast du schon erfahren, was es wird?“, las sie die Nachricht auf ihrem Display. Seit ihrem klärenden Gespräch hatte Paul sich verändert. Sie trafen sich gelegentlich zum Essen, er rief nur noch selten an, schrieb nur wenige Nachrichten und wartete geduldig auf ihre Rückmeldungen. Er war aufmerksam und interessiert, merkte sich jeden Termin, von dem sie erzählte, um danach zu fragen, wie es war. Er gab sich wirklich mühe. Mit Luis hingegen hatte sie seit ihrem Gespräch nicht mehr über die Schwangerschaft gesprochen. Zwischen ihnen schien sie nicht existent zu sein, was den professionellen Umgang miteinander jedoch merklich vereinfachte. Für ihre berufliche Situation war es wahrscheinlich besser, wenn Paul der Vater der Kleinen war. Doch irgendetwas in ihr wusste, dass dem nicht so war.

„So, klären Sie mich auf, Nike“, forderte Luis und lehnte sich neben sie an den Schreibtisch. „Bitte?“, sah Nike verwirrt von ihrer Arbeit auf. „Sie wollen mir erklären, weshalb ich Miss Lucas nicht einstellen sollte“, erinnerte er sie ruhig, verschränkte seine Arme locker vor der Brust und sah sie erwartungsvoll an. „Sicher, Miss Lucas hat ausgesprochen gute Qualifikationen, aber ich denke es fehlt ihr an Teamfähigkeit, Freundlichkeit, Kritikfähigkeit. Dinge, die in einer engen Teamstruktur unverzichtbar sind. Ein hochqualifizierter Einzelgänger ist nicht unbedingt effektiv, er bringt eher Unruhe in ein eigentlich harmonisches Team.“ „Und wo genau haben Sie das gelesen?“, wollte Luis interessiert wissen. Nike zuckte mit den Schultern: „Körpersprache, Blicke, einzelne Situationen“ Luis überlegte. „Ich tippe auf einen ausgeprägten Überlegenheitskomplex“, merkte Nike sachlich an. „Ich achte eher auf Fakten“, erklärte Luis. Nike schmunzelte: „Für alles andere haben Sie ja mich“, entgegnete sie keck. Luis Lippen verzogen sich zu einem Lächeln: „Und wen schlagen Sie vor?“. „Mrs. Miller, sie hat sehr gute Qualifikationen, sehr gute Referenzen, war sehr freundlich, interessiert und ich denke, dass sie gut in das Team der Grafikabteilung passt.“ „Meinetwegen“ bestätigte er und stieß sich von ihrem Schreibtisch ab. „Auch wenn sie nicht ganz so attraktiv ist, wie Miss Lucas“, scherzte er, zwinkerte ihr kaum merklich zu und ließ sie perplex zurück.  

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Luis hechtete an diesem Tag von Meeting zu Meeting. Langsam wusste er nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Er hatte die selbständige Unternehmensberatung aufgegeben, um nicht mehr unter ständigem Zeitdruck zu stehen und dennoch tat er es noch immer. Er musste unbedingt dafür sorgen, dass sich das änderte. „Nike, haben Sie den Arbeitsvertrag für Miss Lucas fertig?“, erkundigte er sich bei seiner Assistentin, blieb einen Moment stehen und atmete durch. Sein Blick blieb kurz an der Frau vor ihm hängen. Ihr Bauch wurde langsam immer sichtbarer, kaum zu glauben, dass sie in ein paar Monaten schon ein Kind, vielleicht sein Kind auf die Welt bringen würde. Schnell schob er den Gedanken wieder zur Seite. Das hatte hier nichts zu suchen „Sie wollen Miss Lucas einstellen?“, fragte Nike irritiert. Verwundert über ihre Frage sah er seine Gegenüber perplex an: „Haben Sie etwas an meiner Entscheidung auszusetzen? „Ja“ antwortete sie knapp. „Ich glaube das ist nicht die richtige Wahl, Mr. Jenkins“, fuhr sie selbstbewusst fort. Diese Frau beeindruckte ihn immer wieder. Sie hatte keinerlei Hemmungen seine Entscheidungen in Frage zu stellen und ihn auf eine sehr direkte Art und Weise damit zu konfrontieren. Er war neugierig auf ihre Anmerkungen, bisher waren sie immer berechtigt und hilfreich gewesen. „Sie hat ausgezeichnete Qualifikationen“, erklärte er seine Entscheidung. „Und sie ist äußerst attraktiv“, bemerkte Nike trocken. „Wie bitte?“, entfuhr es Luis. Worauf wollte sie hinaus? Dachte sie, dass das die Kriterien waren, die für ihn galten?

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