8. Kapitel 6.1 - Der Gerichtsprozess

1.1K 186 622
                                    

Exakt eine Minute nach zehn Uhr öffnete sich die Tür.

„Wir sind bereit für dich!" Rebekka klang betont gelassen.

Caroline öffnete schwerfällig die Augen und stand auf. Sie versuchte mit einer ungelenken Bewegung den Overall etwas zu glätten. Es hatte immerhin einen Vorteil, dass ihre Hände gefesselt waren: sie musste nicht überlegen, was sie mit ihnen anstellen sollte.

Da ist er ja, dachte sie bei sich. Ihr Sinn für Sarkasmus rührte sich wieder. Na, dann los, lasst die Show beginnen.

Damien erhob sich ebenfalls und trat zu ihrer Linken. Mit Rebekka auf der anderen Seite durchschritt sie die Halle. Es war niemand zu sehen und die beeindruckend filigran mit Schnitzereien verzierte Doppelflügeltür zum Thronsaal war geschlossen. Damien pochte einmal dagegen und beide Seiten öffneten sich synchron nach innen.

Da hat jemand einen Sinn für große Effekte. Sie verkniff sich ein bitteres Grinsen.

Ein Sturm von Eindrücken prasselte auf Caroline nieder und sie versuchte alles zu verarbeiten und kategorisieren, was ihr womöglich helfen könnte, die nächsten Stunden zu überstehen. Das Gemenge aus Personen, die sich aneinanderdrängten, um einen Blick auf sie zu erhaschen, versuchte sie auszublenden. Niemandem in die Augen sehen! Ruhe bewahren!

Der Thronsaal war riesig. Bestimmt fünfzig Meter lang, mindestens zwanzig breit und in sich ein reiner Kontrast. Die steinernen Grundmauern des Schlosses schienen Jahrhunderte alt zu sein und hatten einigem standhalten müssen. Ob durch Witterung oder Gewalteinwirkung, stellenweise waren die Mauern zerfallen oder gebrochen. Der halbe Thronsaal war offenbar vor geraumer Zeit zerstört worden, denn nur die linke Hälfte bestand noch aus den massiven grauen Steinbrocken. Die schmalen Fenster darin ließen kaum Licht herein und eine angenehme Kühle ging davon aus.

Die vernichtete Seite war wiederaufgebaut worden, doch alles andere als originalgetreu. Im Industriestil verliefen Stahlträger senkrecht nach oben und schließlich an der hohen hellgrauen Decke entlang. Sie verschwanden im Putz und blitzten an anderer Stelle wieder hervor. Wie Nähte, die eine todbringende Wunde zwingen wollten, sich zu schließen.

Über die gesamte Länge der rechten Wand jedoch erstreckten sich zwischen den Trägern bodentiefe Fenster. Es musste ein unermesslicher Aufwand gewesen sein diese meterhohen Scheiben zu transportieren und einzubauen. Der Lohn war ein umwerfender Blick auf die Stadt, den Hafen und die schillernde Weite des Ozeans.

Der unverschämt große Kristallkronleuchter in der Mitte und die zwölf eleganten Säulen, die die Decke auf beiden Seiten stützten, fügten dem Bild eine dritte scheinbar unvereinbare Komponente hinzu.

Betrachtete man jeden Stil dieser Kombination einzeln, herrschte hier unfassbares Chaos. In der Gesamtheit allerdings fügten sie sich ineinander und bildeten ein schrecklich schönes Gleichgewicht von hell und dunkel, rau und glatt, brachial und elegant.

Den Höhepunkt bot das Ende des Saals. Die zerstörte Mauer war dort ebenfalls gerichtet worden. Der Bruch zog sich von der Mitte der Decke bis kurz vor Bodenhöhe auf der rechten Seite entlang. Statt ihn zu begradigen und dann Fenster einzusetzen war das Glas direkt in den Fels gegossen worden. Die rauen Kanten fassten die filigranen Metallranken und die dünnen Glasschichten dazwischen nahtlos. Es war Buntglas und zusammen mit der Sonne und dem Wolkenzug für das herrliche Farbspiel verantwortlich, das zu ihren Füßen tanzte.

Der Raum beinhaltete keine Möbel, außer exakt einunddreißig Stühle, die am Ende des Raums zu einem Oval angeordnet waren. Caroline zählte sie nicht, doch sie wusste, aus wie vielen Vampiren das Parlament bestand. Das eine Ende des Ovals war offen und zeigte zur Tür. Am anderen Ende, direkt vor den Buntglasfenstern stand der Stuhl, der dem Saal seinen Namen beschert hatte. Sie hätte in anderer Umgebung niemals vermutet, dass es sich um einen Thron handelte. Dafür war er zu schmucklos und den anderen Holzstühlen zu ähnlich. Er hob sich nur durch seinen goldenen Schimmer ab.

Kristallinsel - Gefangene der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt