Kristallinsel - Gefangene der Vampire

24. Kapitel 13.1 - Viren und Herzblut

Als Carolines Besuch im Labor anstand wartete sie nicht draußen im Freien, sondern in der Eingangshalle des Westflügels auf Thomas. Die Sorge Maria wieder zu begegnen hatte zwar etwas abgenommen, doch sie blieb wachsam und mied den Hof, solange sie alleine war. 

Sie hatte von Joël erfahren, dass Maria und Dominic, wie die meisten Ältesten, in direkter Nähe des Schlosses wohnten. Die Villen im innersten Stadtring waren ihr bei der Stadtbesichtigung sofort aufgefallen. Prächtige verschwenderische Bauten mit atemberaubender Aussicht. Die meisten waren in südländischem Stil gehalten, es gab jedoch auch einige die an englische Landhäuser erinnerten. Ein paar schienen erst vor kurzem errichtet oder renoviert worden zu sein, die klaren Linien und riesigen Fenster deuteten auf Einflüsse moderner amerikanischer Architektur hin. 

Die Parlamentsmitglieder, hochrangige Vampire und ihr Gefolge hatten auch zu den meisten Bereichen des Schlosses und dessen Anlagen Zugang. Der Westflügel war eine der wenigen Ausnahmen. Da hier die privaten Räumlichkeiten des Königs, seiner Vertrauten und gegebenenfalls Gäste befanden. 

Es gab zwar keine Wachen oder Pförtner und doch fühlte Caroline sich sicher. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Maria für weitere Einschüchterungsversuche riskieren würde hier uneingeladen erwischt zu werden. 

Sie lehnte an den Türrahmen zu dem kleinen Ableger der Schlossbibliothek. Normalerweise hätte sie die Zeit genutzt um zu stöbern, doch ihre Gedanken waren heute zu konfus, um sie sich auf einen Klapptext zu konzentrieren.

„Guten Morgen, Caroline." Thomas Stimme rief sie ins Hier und Jetzt zurück. „Ich bin gleich bei dir."

Ihr Vormund war in Damiens Begleitung, als er die Treppe herunter kam. Es wunderte sie nicht, denn der Kommandant der Wache, wie auch Joël und Eva, lebten ebenfalls hier im Westflügel. Sie waren täglich in enger Abstimmung mit dem König.

„Guten Morgen", erwiderte Caroline die Begrüßung. „Soll ich draußen warten?", setzte sie hinzu, als die Männer am Fuß der Treppe stehen blieben und Anstalten machten ihr Gespräch fortzusetzen.

„Nein. Es wird nicht lange dauern", antwortete Thomas.

Mit verschränkten Armen versuchte sie der leisen Unterhaltung zu folgen, doch es drangen nur Wortfetzen herüber. Damien hatte ihr zur Begrüßung nur zugenickt, doch seine Augen strahlten immer wieder in ihre Richtung. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit dem Abend im Kerker, als er sie aufgefangen und die Treppe hinaufgetragen hatte. Erst bei seinem Anblick merkte sie, dass er ihr gefehlt hatte. 

Wahrscheinlich doch Stockholm Syndrom, dachte sie bei sich und konnte gerade noch ein Grinsen unterdrücken. Eigentlich war es nicht zum Lachen, denn noch vor wenigen Tagen hatte er sie gemeinsam mit den anderen Vampiren brutal aus ihrem Leben gerissen! 

Es war jedoch fast zu leicht Johannes für alles Grauenvolle die Schuld zu geben und Damien als den positiven Gegenspieler zu betrachten. Aber er, wie auch Rebekka, waren Teil dieser Gesellschaft, die Menschen in die Sklaverei zwang. Nur weil es Vampire gab, die noch schlimmer waren, bedeutete das nicht, dass dieses System akzeptabel wäre. Sie durfte nie vergessen, dass er einer von ihnen war! 

Andererseits, wenn sie zurückdachte hatte er ihr nie Anlass gegeben Angst vor ihm zu haben. Er war derjenige, der sie vor dem Prozess am meisten unterstützt und sie begleitet hatte. Der sie wortwörtlich mehrfach durch Situationen getragen hatte, die zu viel für sie gewesen waren. Wieder wurde ihr bewusst wie seltsam oder zumindest ungewöhnlich das war. Der Kommandant der Wache hatte mit Sicherheit besseres zu tun als sich um einen Menschen zu kümmern. 

Nun, sie seufzte innerlich, ein weiterer Sachverhalt auf meiner Liste, den es zu klären gilt.

Jenseits seiner Motive ihr gegenüber, sollte sie sich jedoch dringend zuerst um ihre eigenen kümmern! Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, kamen die verklärten Gefühle ihm gegenüber nicht allein durch die Unterstützung, die er ihr hatte zuteilwerden lassen.