35. Kapitel 17.1 - Fragile Egos

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Seit ihrer Aussprache trafen Caroline und Thomas sich täglich. Sei es, um gemeinsam zu frühstücken oder spazieren zu gehen. Manchmal saßen sie einfach auf ihrem großen, über die Klippen ragenden, Balkon zusammen und hielten Ausschau nach Delfinen oder anderen Meeressäugern.

Besonders nachdrücklich war ihr in Erinnerung geblieben, wie Thomas die Gemeinschaft ins Leben gerufen hatte. In der Broschüre hatte es nur geheißen, dass es Krieg zwischen Vampiren gegeben hatte und Thomas die Clans vereint und zum Sieg geführt hätte. Wenn er selbst darüber berichtete klang es weniger heroisch, eher grausam und blutig.

Der letzte große Pestausbruch in Europa hatte dafür gesorgt, dass viele Vampire nicht mehr genug Nahrung und Blut zur Verfügung hatten. In ihrer Not beschlossen die am schlimmsten betroffenen Clans, vor allem aus Estland und Preußen, sich zusammenzuschließen, England zu überfallen und das Gebiet für sich zu beanspruchen.

Wie Thomas die Überfälle beschrieb, musste es grauenvoll gewesen sei. Nicht nur für die Unsterblichen, auch für die damals eh schon gebeutelten Menschen. Er erzählte, wie sich Vampire gegenseitig verstümmelten, die Köpfe abschlugen, im Freien anketteten, damit sie bei Sonnenaufgang einen grauenvollen Tod sterben mussten. Es war ihm schließlich gelungen die meisten Clananführer an einen Tisch zu bringen und zu einer Übermacht zu verbünden. Sie hatten die Eindringlinge nicht zurückgeschlagen, sondern nahezu restlos vernichtet.

So schrecklich diese Geschichten waren, Caroline war dankbar für alles, was er ihr erzählte. Jedes Detail, das sie über ihn und die Ältesten erfuhr, trug dazu bei das System besser zu verstehen. Besser einschätzen zu können, wer er war und wie er tickte.

Zu einem gemeinsamen Frühstück hatte er seine Schwester mitgebracht. Auch wenn die elegante Vampirdame weiterhin froh war, dass Caroline noch lebte, schien sie sich nicht sonderlich für das Mündel ihres Bruders zu interessieren. Mit Konversation hatte sie sich zurückgehalten und nach einer Tasse Tee auch schon wieder verabschiedet. Sie sei wenig an Gesellschaft interessiert, hatte Thomas entschuldigend erwähnt.

Nach einer gemeinsamen Woche hatte Caroline den Eindruck, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, ihn als ihren Vormund akzeptiert zu haben.

Neben dieser, sich stetig verbessernden, Beziehung füllte sich ihr Leben weiter mit erfreulichen Dingen. Die Tätigkeit im Labor machte ihr Spaß und stillte ihren Wissensdurst, auch wenn sie noch nicht an spannende Projekte ran durfte. Selbst wenn sie Reagenzgläser ausspülte und dabei ihren Kollegen zuhörte, eignete sie sich Wissen an. Die Teilnahme am höfischen Miteinander begann, vor allem durch Joël, Isy und Jean, Fahrt aufzunehmen und sie lernte immer mehr Menschen und Vampire kennen.

Die einzige Beziehung, die etwas abkühlte, war die zu Damien. Er hatte sie am Tag nach der Aussprache mit Thomas in ihren Räumen aufgesucht, um darüber zu reden, wie sie nach den zwei Wochen Distanz weitermachen wollten.

Caroline hatte sich nicht auf eine Aussage festnageln lassen. Mit der frisch geglätteten Beziehung zu ihrem Vormund im Hinterkopf und dem Gedanken an das unangebrachte Kribbeln im Bauch, das dieser mittlerweile auslöste, wollte sie nichts überstürzen.

„Ich kann dir nicht sagen, wie ich in zwei Wochen darüber denke. Ich weiß nur, dass es eine Menge Wirbel machen würde." Sie hatte ihn nach einigem hin und her hilflos angesehen und mit den Schultern gezuckt.

„Ist das alles?" Er hatte sie wütend angeblitzt. „Nachdem du vorgestern noch bereit warst dich von mir in aller Öffentlichkeit ..."

„DAS war eine Situation, die sich hochgeschaukelt hat!", hatte sie ihn scharf unterbrochen. „Ich sage nicht, dass es ein Fehler gewesen wäre, aber jetzt liegen die Dinge anders! JETZT ist es kein hormongepeitschtes Übereinanderherfallen, sondern eine kalkulierte Beziehung, die einen definierten Startpunkt, bestimmte Erwartungen und ein noch nicht definiertes Ablaufdatum hat."

Kristallinsel - Gefangene der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt