6. Kapitel 4.3 - Fragen

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Sie saß im Schneidersitz aufrecht in der Mitte des Bettes, als Rebekka mit ihren beiden Begleitern am folgenden Tag hereinkam. Die an vielen Stellen dicht beschriebene Broschüre lag auf ihrem Schoß.

„Da war jemand fleißig", stellte die Vampirin mit einem kurzen Blick auf die erste Seite fest. „Du hast nun die Chance Fragen zu stellen, falls du etwas nicht verstanden hast oder ausführlichere Erläuterungen benötigst."

Caroline fragte sich, ob ihre Ausdrucksweise immer so gestelzt war.

„Hallo." Ein höflicher Start konnte nicht schaden. Sie räusperte sich. „Gibt es eine Begrenzung der Fragen? In Anzahl oder Bereich?"

Rebekka seufzte tief, setzte sich wieder auf den Stuhl und verschränkte die Arme. „Das wird länger dauern, oder?"

Caroline lächelte schief. „Bevor ich anfange, ist Ihr Name wirklich Rebekka und wie soll ich Sie ansprechen?"

Das Regelwerk erläuterte, dass alle hochrangigen Vampire, erkennbar an den immer sichtbar getragenen Emblemen ihres Clans, mit My Lord oder My Lady und dem Pluralis Majestatis angesprochen werden mussten. Alle anderen Vampire, unabhängig davon ob sie einen Rang hatten, wurden gesiezt. Familiennamen gab es nicht oder waren abgeschafft worden, um alte Bindungen zu kappen. Normalerweise wurde eine persönliche Vereinbarung zur Ansprache zwischen Individuen getroffen. Genau das hatte Caroline vor.

Rebekka hob überrascht eine Augenbraue und zögerte einen Moment. „Ja, mein Name ist Rebekka. Du kannst mich duzen. Es macht keinen Sinn für die kurze Zeit auf Formalitäten zu bestehen."

Caroline ignorierte den Seitenhieb. Bevor sie weitermachen konnte, kam Mr Amerika auf sie zu und streckte ihr die Hand hin. „Mein Name ist Damien."

Sie ergriff sie und im Kontrast zu seiner Hitze wurde ihr bewusst wie eisig ihre war. Statt Caroline nach dem Handschlag loszulassen, ergriff er auch ihre zweiten Hand. „Du bist kalt", sagte er mit zusammen gezogenen Augenbrauen. "Hast du seit gestern etwas gegessen?" Sein Blick fiel auf das unangetastete Brot, das neben ihrem Bett auf dem Boden stand.

„Ja, heute früh", antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie verschwieg, dass sie nur einen Bissen hinunterbekommen hatte. Er ließ sie los und sie hätte schwören können, dass er etwas besorgt aussah.

„Ich bin Daniel." Die Stimme des dritten Vampirs drang hinter Damien hervor.

„Nachdem wir die Vorstellungsrunde beendet haben, wollen wir anfangen? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit." Rebekka klang genervt, doch Caroline nahm ihr die Attitüde nicht ab.

„Okay", begann sie „nur noch eine Frage zu euch dreien." Sie blickte sie der Reihe nach an. „Auf welcher Hierarchiestufe steht ihr?"

Den Uniformen nach, gehörten alle drei zur Wache. Diese Institution war einer Mischung aus Militär, Polizei und Sittenwache. Eine Besonderheit war, dass es keine Abzeichen gab. Jeder wusste wem er unterstellt war und welchen Verantwortungsbereich es zu managen galt. Es wurden keine Egos gestreichelt, indem man sich bunte Orden und Fähnchen an die Brust steckte.

Rebekka und Damien sahen sich kurz an, bevor Rebekka sich ihr wieder zuwandte. „Weshalb ist das relevant?"

„Ich möchte einschätzen, wie wichtig, oder besser kritisch, mein Fall eingestuft wird. Dafür würde ich gerne wissen welche Ressourcen bereit gestellt werden, um mich vorzubereiten."

Sie nickte knapp. „Mein Rang ist Offizier und mein Verantwortungsbereich umfasst alles, was Zugeführte betrifft."

Laut Broschüre wurden Menschen und Vampire, die weniger als fünf Jahre auf der Insel lebten, als Zugeführte bezeichnet. Es überraschte Caroline, dass sie einen Offizier vor sich sitzen hatte. Es gab nur drei Ränge bei der Wache: Den Kommandanten, etwa ein Dutzend Offiziere und die Mannschaft.

Kristallinsel - Gefangene der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt