45. Kapitel 21.1 - Das Hive

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Ein intensiver Regenschauer war am Nachmittag über die Insel gezogen und es hatte stark abgekühlt.

Caroline fühlte sich wohl, trotz des anstrengenden Ausflugs in die Hauptbibliothek. Sie entschied sich Thomas am späten Abend ins Hive zu begleiten. Etwas Leichtigkeit würde ihnen nach dem gehaltvollen Gespräch gut tun!

Sie hatte ein lockeres hellbraunes Partykleid gewählt und trug einen dunkelgrauen leichten Kurzmantel darüber, als sie ihn in der Eingangshalle des Westflügels traf. Joël, Isy und Laura warteten bei den Gondeln vor dem Schloss.

Die Dämmerung verwandelte sich gerade in Nacht und Carolines Blick glitt über den sandigen Boden, in den das Blut der beiden Wachen gesickert war. Keine dunklen Flecke waren mehr zu sehen, doch ihr Herz zog sich krampfhaft schmerzend zusammen.

"Alles in Ordnung?"

Schnell nickte sie Thomas zu und beschleunigte ihren Schritt um aufzuschließen. Es gelang ihr mit einem Blick auf Isys lächelndes Gesicht, die Gedankenspirale zu unterbrechen, die sie in die Nacht des Angriffs zurück reißen wollte.

Wie meisterhaft sie es doch mittlerweile beherrschte! Ihre Gefühle in Schablonen zu pressen und wilde Gedanken in feste Formen zu zwingen. Obwohl alles in ihr danach schrie, sich weinend auf dem Boden zusammenzukauern, lächelte sie breit und stieg fröhlich plaudernd in die Magnetschwebebahn. Sie musste die Maske nur lange genug aufrecht erhalten. Ein paar Minuten noch, und es würde Realität werden. Die grauenvollen Bilder würden verschwinden und sie könnte aufrichtig mit den anderen lachen.

Verarbeitet wären sie zwar nicht, doch so weit zurückgedrängt, dass einem schönen Abend nichts im Wege stünde! Um Erinnerungen dauerhaft den Schrecken zu nehmen, müsste sie sich ihnen stellen. Aber das würde sie ein andermal tun. Nicht heute, beschloss sie mit einem langen Blick auf ihre kleine Freundin, die nervös die Hände knetete.

Isy war immer noch aufgeregt in der Gesellschaft des Königs zu sein und schwieg die meiste Zeit. Laura hingegen lieferte ein gutes Bild, was es bedeutete, in New Blackburn aufgewachsen und mit den höfischen Sitten vertraut zu sein. Sie scherzte locker mit Joël und wechselte sogar hin und wieder ein respektvolles Wort mit Thomas.

„Ich bin schon gespannt, was Maurice diesmal auf die Beine gestellt hat", fragte sich Joël. „Wenn es wieder um die Zwanziger geht, muss ich mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden!"

„Na ja, ich hoffe nur, sie bieten wieder Snacks an! Ich hab das Abendessen verpasst, weil mein Lockenstab versagt hat und ich mir was Neues einfallen lassen musste!"

„Du siehst zauberhaft aus, Liebes!", kommentierte Joël ihre Hochsteckfrisur. „Es bringt deinen langen Hals zur Geltung!"

„Danke sehr! Ich wünschte nur, ich hätte wenigstens ein paar Bonbons dabei."

„Wie wär's mit einem Müsliriegel?" fragte Caroline unschuldig. Eigentlich hatte sie die Enthüllung erst im Hive an der Garderobe geplant, aber diese Gelegenheit war zu köstlich!

„Hast du etwa einen hier?" fragte Laura überrascht.

Auch Thomas blickte sie aufmerksam an. Vermutlich läutete bei ihm ein Glöckchen.

„Immer!"

Ein aufrichtiges Grinsen unterdrückend öffnete Caroline mit Schwung den Mantel und darunter kam das beige Ding zum Vorschein. Sie hatte es wie eine Kordel verdreht und als Gürtel um die Taille gebunden. Zwei Müsliriegel waren seitlich darin eingespannt.

Sie zog beide mit einer fließenden Bewegung, die an die Cowboys in den alten Western erinnerte, heraus. Den ersten hielt sie Laura unter die Nase, den zweiten in die Höhe.

Kristallinsel - Gefangene der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt