9. Kapitel 6.2 - Der Gerichtsprozess

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Er setzte sich nicht, sondern blieb etwa zwei Meter vor ihr stehen. „Du hast eben behauptet nicht für den Tod eines unserer Ältesten verantwortlich sein zu können." Er deutete in Richtung des leeren Stuhls. „Erkläre mir bitte warum."

Warum? Ja, warum hatte sie das nochmal behauptet? Die letzten Minuten hatten sie aus der Bahn geworfen. Ok, lass dir Zeit, nicht einfach losplappern, konzentrier dich!

„Aus zwei Gründen." Das wusste sie noch. Zwei Gründe, zwei Stichwörter, ein roter Faden!

„Der erste ist, dass ich in dieser Situation dazu weder körperlich noch intellektuell in der Lage gewesen wäre."

Kurz innehalten und auf Rückfragen warten, das war ihre Eingangsstrategie.

„Was genau meinst du damit?", wollte der König wissen.

„Die U-Boot Luke."

Okay, sie war wieder da. Das hatte sie geübt. Er sah sie fragend an und das Murmeln im Raum war verstummt. Sie hatte ihre Aufmerksamkeit.

„Als Rebekka die Luke aufgeschoben hat, hat sie dafür eine einzige Hand benutzt. Der Anfangswiderstand einer solchen Luke ist so hoch, dass es ein bis zwei starke menschliche Männer braucht, die mit voller Kraft schieben müssen, um sie die ersten Millimeter zu bewegen. Aufgrund dieser und einiger anderer Beobachtungen gehe ich davon aus, dass eure Muskelleistung beim drei bis vierfachen der menschlichen liegt. Auch was Geschwindigkeit und Sinneswahrnehmung angeht, seid ihr uns um ein Vielfaches überlegen. Reaktion auf eigentlich unhörbare Geräusche und hervorragende Nachtsicht, sind zumindest die Dinge, die ich mitbekommen habe."

Caroline hatte sich diese Daten selbst erschlossen. Weder die Broschüre noch die drei Vampire hatten so viel über ihre Fähigkeiten preis gegeben.

„Also stellt sich die Frage", fuhr sie fort. „wie es möglich sein soll, dass ich als achtundfünfzig Kilogramm schwere menschliche und von der Entführung geschwächte Frau, jemanden von euch nachts im Zweikampf überwältigen, geschweige denn töten könnte."

„Ja, das ist in der Tat die Frage. Erklär uns bitte was genau passiert ist", forderte Thomas.

„Wir wissen bereits was passiert ist!", drang eine schneidende Stimme von links in ihr Ohr. „Sie hat ihn angegriffen, versucht zu entkommen und ihm einen Pfeil durchs Herz gejagt, als er sie verfolgt hat. Ist es wirklich relevant, was im Detail passiert ist?"

Der Mann, der gesprochen hatte war einer der Vampire, die sie beim Hereinlaufen besonders hasserfüllt angestarrt hatten. Er trug sein kastanienbraunes glänzendes Haar schulterlang und sein Bart war kunstvoll zurechtgeschnittenen. Er war in einen unzweifelhaft maßgeschneiderten schwarz-dunkelgrünen Anzug gekleidet. In jeder anderen Situation wäre Caroline äußerst beeindruckt von seiner Erscheinung gewesen.

„Ich stimme Dominic zu", mischte sich ein Mann zwei Plätze weiter ein. „Wenn sie nicht wäre, wäre Johannes heute noch unter uns und wir wissen alle welche Strafe darauf steht."

„Ach, wie schrecklich. Ich bin absolut gegen solch grausame Hinrichtungen."

Eine sanfte weibliche Stimme ertönte. Die Quelle war eine zierliche Frau, kaum größer als Caroline, in ein dunkelblaues Gewand gehüllt. Ihr schmales Gesicht wirkte auf den ersten Blick freundlich und Caroline wusste nicht, warum ihr bei dem Anblick ein Schauer den Rücken hinunter lief und sich ihre Nackenhaare aufstellten.

„Nur bitte, stellt euch einen Augenblick vor, was passiert, wenn wir auf solche Handlungen nicht angemessen reagieren. Wenn wir uns erlauben Gnade zu zeigen und ihr einen schmerzlosen Tod gewähren." Die Vampirin sah sich in der Runde um. „Es wird viel Leid verhindern, wenn wir entschlossen agieren und ein deutliches Zeichen setzen."

Kristallinsel - Gefangene der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt