47. Kapitel 22.1 - Verlogener Zirkus

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Der Tag an dem die Gäste ankamen war wolkenlos und windstill. Die Hitze hätte die meisten Bewohner normalerweise an ihre Häuser gefesselt, doch dem Anlass entsprechend waren viele Menschen wie auch Vampire geschäftig unterwegs.

Die Hochseeyacht mit der die Besucher anreisten, war am frühen Morgen zunächst als winziger Punkt am Horizont erschienen und Stück für Stück zu einem gewaltigen Schiff herangewachsen. Abgedunkelte Fenster und Bullaugen waren ein deutliches Zeichen, wer da auf dem Weg zu ihnen war. 

Vor der Lichtbarriere verharrte es einige Minuten, bis es langsam wieder Fahrt aufnahm und sich dem Hafen näherte. 

„Warum sind sie nicht einfach durchgefahren?", fragte Caroline Rebekka neugierig. „Es handelt sich doch nur um Licht, oder?"

„Ja schon, aber die Sensoren erkennen, wenn etwas ohne Erlaubnis die Barriere durchquert. Alles größer als eine Möwe wird gegrillt."

„Was?" Caroline sah sie mit großen Augen an. „Du meinst, wenn irgendjemand rein will, wird er mit Lasern beschossen?"

„Nicht beschossen. Die vorhandenen ändern ihre Intensität sowie Frequenz und rösten ihn dann." Sie grinste. „Und nicht nur, wenn jemand rein will."

Stimmt. Caroline erinnerte sich, dass diese Insel nicht nur Zufluchtsort, sondern für die meisten Bewohner vor allem ein Gefängnis darstellte. Die kristalline Struktur war ebenso dafür konstruiert worden Menschen drin, wie Feinde draußen zu halten.

Seit langem hatte sie nicht mehr an Flucht gedacht. Die Strafe, die auf einen Versuch stand, war nicht ansatzweise die minimale Aussicht auf Erfolg wert.

Als das Schiff vertäut wurde, straffte Caroline sich innerlich. Sie war einer der sehr wenigen Menschen des Empfangskomitees. Neben Thomas, Joël, Damien und einigen seiner Offiziere waren auch viele Lords, Ladys und Nobles anwesend. Manche standen auf den Zehenspitzen und reckten die Hälse um alles sehen zu können.

Auch unter den Gästen herrschte Aufregung. Eine sehr jung aussehende Vampirin hielt die Reling umklammert, ließ die Augen über die Anwesenden schweifen, bis sich ihre Augen in schierer Freude weiteten. Sie wartete nicht bis der Steg ausgefahren war und sprang mit einem gewaltigen Satz über die Absperrung in die wartende Menge.

„Onkel Philipp!"

Sie flog einem schwarz-orange gekleideten Vampir in die Arme, der sie wild im Kreis drehte. Die umstehenden Leute wichen grinsend zurück, einige johlten und klatschten, angesteckt von der hemmungslosen Wiedersehensfreude. Es gab noch zwei solche Szenen, bis letztendlich der Kopf des Clans mit Gefolge das Schiff verließ. Es waren nur wenige Menschen darunter. Zumindest war die demütige Haltung einiger Passagiere für Caroline ein deutliches Signal, dass es sie bei ihnen nicht um Unsterbliche handelte.

Die Anführerin war eine elegante, silbern gewandete hochgewachsene Frau unbestimmbaren Alters. Der harte Zug um den Mund lies ahnen, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen wäre und die kalten Augen glitten abschätzend über die Menge. Caroline schluckte, als die dunkelhaarige Vampirin sich zielgerichtet auf Thomas zubewegte.

„Anna, es ist mir eine Freude dich wiederzusehen." Ihr Vormund deutete eine Verbeugung an und alle in seinem Gefolge taten es ihm nach. Das mit dem Knicks funktionierte mittlerweile ganz automatisch, wie Caroline erleichtert feststellte. Sie durfte sich nur nicht zu sehr darauf konzentrieren.

„Es ist eine Wohltat hier zu sein, Thomas, danke für die Einladung. Es freut mich aufrichtig dich wiederzusehen." Auch sie und ihre Leute wiederholten die Geste der Höflichkeit und Begrüßung.

Es kam Caroline nicht direkt vor, als wären die Worte eine Lüge, doch deutete eine gewisse Spannung darauf hin, dass es eine Vorgeschichte dieser beiden Anführer gab.

Kristallinsel - Gefangene der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt