27. Kapitel 14.1 - Blut und Gutenachtgeschichten

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Etwas mehr als eine Woche nach dem Ausflug ins Labor saß Caroline, wie so oft, in der kleinen Bibliothek des Westflügels. Sie versuchte sich auf den Wälzer in ihren Händen zu konzentrieren, doch der Fokus entglitt immer wieder ihrer Kontrolle. Die erste Blutentnahme war morgen und es gab kaum noch etwas, das sie ablenken konnte.

Die letzten Tage hatte sie damit verbracht Musik zu hören, zu lesen, mit Isy spazieren zu gehen und die Informationen zu verarbeiten, die sie im Labor bekommen hatte.

Kurz nach dem Ausflug mit Thomas war ihr ein Smartphone zugeteilt worden, das einen wichtigen und unabhängigen Zugang zu allgemeinen Informationen, diversen Apps und Medien der Insel bot. Selbstverständlich ohne Internetzugang.

Sie hatte Stunden damit verbracht sich über die Einrichtungen, die kommenden Veranstaltungen und das soziale Miteinander in diversen Foren zu informieren, bis sie auf die Datenbank mit jeglicher Art von Musik gestoßen war. Von klassischen Stücken über Livekonzerten bis hin zu Popcharts war alles vertreten und innerhalb von wenigen Stunden hatte sie ihre alte Playlist fast rekreiert. Es fehlten einige wenige Künstler, aber sie war zuversichtlich, dass es kein Problem darstellen würde diese im Lauf der Zeit zu ergänzen.

Mit ihren neuen Kopfhörern hatte sie dagelegen und als die ersten Klänge ihrer Lieblingslieder ertönten, liefen ihr ein paar Tränen die Wange hinunter. Es war, als würde all der Schmutz, all die Sorgen, die sich auf ihrer Seele gesammelt hatten, wegspült. Erst in dem Moment wurde ihr klar, wie sehr sie ihre Musik vermisst hatte.

Sie hatte viel Zeit für sich gehabt, denn es war Thomas wichtig, dass sie sich noch nicht allzu sehr in das höfische Leben einbrachte. Der Wirbel, mit dem sie auf der Insel angekommen war, hatte sich noch lange nicht gelegt.

Zehn Tage nach seinem Tod, hatte die pompöse Beerdigung für Johannes stattgefunden. Natürlich wäre es in jeder Hinsicht skandalös gewesen, hätte sie sich dort blicken lassen! Sie war währenddessen und auch an den Folgetagen im Westflügel des Schlosses geblieben. Solange von dem Begräbnis erregte Gemüter unterwegs waren, wollte sie keinen weiteren Anlass zur Aufregung bieten.

Zu ihrer eigenen Überraschung plagte sie kein schlechtes Gewissen. Sollte es sie nicht verfolgen jemanden getötet zu haben? Gleich wie monströs dieser jemand gewesen sein mag? So sehr sie auch versuchte sich einen Funken Bedauern abzuringen, es war vergeblich. In jener Nacht war es um Leben und Tod gegangen, sie hatte keine Wahl gehabt! Auch wenn dies nicht die ganze Wahrheit war, beschloss sie mit dieser Feststellung die Selbstkasteiung für das Fehlen von Schuldgefühlen hinter sich zu lassen.

Der vor ihr liegende Termin mit Thomas beanspruchte bereits genug Aufmerksamkeit! Der Gedanke an die Blutentnahme löste eine Vielzahl von Gefühlen aus, von denen Ängstlichkeit und Neugierde nur die Spitze des Eisbergs waren.

In Filmen und literarischen Fantasien wurde der Biss eines Vampirs oft als intim und erotisch dargestellt. Die Vorstellung eines Skalpells, dass durch ihre Haut, ihr Fleisch, in eine Hauptschlagader stieß, der Schmerz, der Blutverlust, Kälte und eventuell erneute Bewusstlosigkeit ... Nein, das wog den Part, den man eventuell mit Erotik in Verbindung bringen könnte, nicht auf. Sie war in ihrem Leben, insbesondere in den letzten Wochen, oft genug besinnungslos gewesen und hatte die Nase voll!

Auf der anderen Seite schoss ihr das Blut in den Kopf, wenn sie daran dachte, wie Damien sie behutsam gehalten und getragen hatte. Wie er sie anlächelte, wenn sie sich auf den Fluren begegneten. Vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, wäre er derjenige, der sich an sie presste. Wären es seine Lippen die ...

„Das Buch scheint nicht sonderlich spannend zu sein."

Eine wohlbekannte Stimme riss sie aus ihren Tagträumen. Verdattert blickte sie von dem Roman in ihren Händen auf und in Damiens, vor Belustigung glitzernde, Augen.

Kristallinsel - Gefangene der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt