19. Kapitel 10.2 - Die Strafe

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„Soll ich zählen oder übernehmt Ihr das?" Sie war sich sicher, dass ihre Augen Funken sprühten.

„Du!" Der König sah mittlerweile weniger wütend als überrascht aus. „Solange du kannst."

Joël hatte die Arme fest verschränkt und seine weichen Lippen zu Strichen gepresst. Damien lehnte scheinbar gelassen an der Wand links von Thomas, doch seine verkrampfte Kiefernmuskulatur verriet die Anspannung, unter der er stand.

Sie drehte sich um, griff die Holzbalken und schloss die Augen, um sich gegen den Schmerz zu wappnen. In der festen Absicht nicht zu schreien, biss sie die Zähne zusammen. Sollte sie nicht eigentlich ein Stück Holz dazwischen ...? Ahhhhh! Fuck!

Der zweite Hieb traf sie härter als der erste. Er zog sich über den gesamten Rücken und das halbe Gesäß, aber sie war vorbereitet und schwanke dieses Mal nicht.

Durch die zusammengepressten Lippen entwich nur ein unterdrücktes Stöhnen. Ihre Knöchel traten weiß hervor und es dauerte ein paar Sekunden bis der Schmerz nicht mehr so gleißend war, dass sie sprechen konnte, ohne dass ihre Stimme zitterte.

„Eins!"

Wieder eine ausnehmend dumme Idee! Er hätte es bestimmt gelten lassen, wenn sie bei zwei weitergemacht hätte. Aber wichtiger als die Vermeidung von Schmerzen war ihr, bei diesem Kräftemessen nicht zu versagen. Sie würde keine Schwäche zeigen.

„Zwei!"

Dieses Mal hatte sie länger gebraucht zu sprechen.

Erste stumme Tränen liefen ihr die Wangen hinunter und Schweiß perlte über die Stirn und verfing sich in ihren Wimpern. Der Schmerz verlor jetzt schon weniger schnell an Intensität und war an der Grenze des Erträglichen. Sie wusste, er würde sich Stück für Stück aufsummieren, bis es in ihrer Welt nichts anderes mehr gab.

„Drei!"

Sie hatte es nicht mehr geschafft einen langgezogenen Schrei zu unterdrücken. Es fühlte sich an, als würde ihr Fleisch von den Knochen gerissen und sie krallte sich mit aller Kraft an die Bretter vor ihr.

„Vier!"

Sie würde es nicht schaffen. Wollte sich wegducken, zusammenrollen, einfach fallen lassen und in die Bewusstlosigkeit abgleiten. Sterne tanzten vor ihren Augen und das Sichtfeld verengte sich.

Auf einmal sah sie einen Bildschirm mit wabernden grauen Flächen vor sich, die immer schneller umher wirbelten. Es tut mir leid, kein Herzschlag, hörte sie eine grausam sanfte Stimme.

Sie riss die Augen auf, konzentrierte sich auf den Schmerz, der von ihrem Rücken aus ihren gesamten Körper durchzuckte und das Sichtfeld klärte sich wieder.

Körperliche Qual war nicht ausschließlich grausam. Sie konnte auch heilsam sein. Sie konnte dafür sorgen Schlimmeres zu verdrängen und sich selbst zu spüren.

„Fünf!"

Sie hatte nicht mehr versucht den Schrei zu unterdrücken, sondern begrüßte ihn als Ventil zur Katharsis und es war, als würde ein Teil des Schmerzes damit hinauskatapultiert.

Nicht gegen sondern mit dem Pulsieren auf ihrer Rückseite zwang sie sich zu atmen, gleichmäßig.

Schluchzen schüttelte sie, ihre Schultern bebten und doch war sie mit sich im Einklang. Es war verdient was mit ihr geschah. Zwar nicht aus dem Grund, aus dem sie bestraft wurde, aber das spielte keine Rolle. Sie würde es durchstehen.

„Sechs!"

Sie war abgerutscht und ein Stück am Kreuz heruntergesackt. Der Schmerz war ein Sog, der sie in die Tiefe riss und es kostete sie alle Kraft sich festzuhalten und Stück für Stück wieder aufzurichten.

Kristallinsel - Gefangene der VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt