"Das ist Sonne." Er streichelte der einzigen grauen Wölfin über die Nase. "Meine beste Freundin hier. Eigentlich mehr meine große Schwester."
Die Wölfin fiepte, senkte den Kopf zu Kara und sah sie einen Moment an. Die Frau versteifte sich unter ihrem Blick. Er machte sie nervös. Als Sonne plötzlich das Maul aufriss kniff sie panisch die Augen zusammen - nur um von einer großen, nassen Zunge abgeschleckt zu werden.
Eironn kicherte neben ihr und war vorsorglich einen Schritt zur Seite getreten. "Tja. Damit bist du offiziell Teil des Rudels."
Kara wollte etwas sagen, als sie schon von zwei Welpen belagert wurde. Aufgeregt schnupperten die an ihr und hielten sie fest in ihrer Mitte. Einer zerrte sogar an ihrem Mantel. "Lasst das bitte. Ihr macht meine Sachen kaputt." Sie klammerte sich immer noch an ihr Reisebündel. "Könntest du..."
"Ein Schritt zurück bitte." Eironn machte dazu eine scheuchende Geste und die Welpen zogen sich brav zu ihrer Mutter zurück. Nicht, ohne noch fast sehnsüchtig die Neue im Rudel zu beobachten.
"Danke. Wie heißen die Kleinen?"
"Sie haben noch keine Namen. Dafür entscheiden sie sich erst später." Sonne brummte zustimmend und legte den Kopf auf die Pfoten. Selbst so überragte sie die meisten großen Tiere, die Kara in ihrem Leben gesehen hatte. Nicht, dass das mehr als Pferde und Schafe waren. Und tote Silberhirsche, die den Namen ihrem silbernen Fell verdanken. Inzwischen gelten aber diese als fast ausgerottet.
"Sie entscheiden sich? Wie ruft sie ihre Mutter?"
"Welpen." Eironn grinste. "Man gewöhnt sich daran, an die Regeln der Welt. Die Jungen müssen immer erst ein gewisses Alter erreichen, um Teil ihrer Gruppe zu werden. Dann wählen sie auch ihre Namen. Fenrs Name bedeutet zum Beispiel Schützer. Suir bedeutet Sonne. Aber nur wenige nutzen die Worte in Altmidia. Nur die Ältesten noch."
"Alt...midia?" Neugierig sah sie ihn an. "Was ist das?"
"Die Sprache der Midia. Der Name unseres Volkes. Vor den Menschen... Was hast du bei den Jägern gelernt?"
"Wie man Hasen ausnimmt, kochen, nähen, lesen und sogar schreiben, darauf hat noch meine Mutter bestanden.", zählte sie auf und merkte sofort, dass dies nicht die Antwort war, die der Magier sich erhofft hatte. Sie sah in eine ratlose Miene.
"Das ist... wenig." Er sah zu ihrem Bündel. "Und damit wolltest du in eine Stadt? Wolltest du dir Arbeit suchen?"
"Wie soll man sonst an Geld kommen? Ich..." Sie schwieg. Ja, ihre Talente hielten dich in Grenzen und ihre Zeichnungen konnte sie auch nicht verkaufen - vor allem da sie sie zurückgelassen hat. "Mal angenommen ich nehme das Angebot an und begleite das Rudel, bringst du mir dann bei, was ich wissen muss?"
"Wenn du möchtest." Eironn zupfte an der Sehne ihres Bogens, der noch über ihre Schulter hing. "Wir können auch gemeinsam jagen gehen. Beziehungsweise du jagst, wenn du willst. Ich ernähre mich hauptsächlich pflanzlich, außer Sonne teilt mit mir. Der Bogen ist doch dein Werkzeug?"
"Ja, ich kann auch jagen." Sie überblickte die Wölfe. Es waren keine dreißig Tiere, die sich inzwischen zwischen den Hügeln gesammelt hatten. "Ich kann auch für das Rudel jagen."
"Von Hasen werden nicht mal die Welpen satt. Bleib also besser bei deiner Versorgung."
"Und Hirsche? Die silbernen?"
Der Magier verzog das Gesicht. "Durch die Haut kommt deine Äste nicht. Die Jagd wird normalerweise mit Pfeilspitzen aus ihren Geweihen gemacht. Einige Arten können nur Jäger der Midia verletzen und töten. Es ist ihre Hauptbeutequelle. Aber Maarhirsche sind sowieso fast ausgerottet. Du müsstest großes Glück haben, so einem zu begegnen. Und falls das passiert bist zu im besten Fall zu beeindruckt, um ihn anzugreifen."
Sonne brummte, als würde sie zustimmen und legte sich auf den Boden. Eironn ging um sie herum, wahrend er ihren Kopf tätschelte und zog sich in ihrem Nacken hinauf. "Davor sollten wir jedoch von hier verschwinden." Er reichte ihr grinsend die Hand. "Komm rauf, oder willst du laufen?"
Unsicher sah Kara zu seiner Hand, zu der Wölfin, dann zu den anderen Tieren. Einige beobachteten die Szene gespannt, während der Anführer leise knurrte. Nun, leise für ihre Verhältnisse, nahm sie an. Für einen einfachen Menschen klang es bedrohlich. Warnend.
Kara atmete tief durch, bevor sie dem Magier folgte, seine Hand griff und sich vor ihm auf den Rücken der Wölfin ziehen ließ.
"Hier festhalten. Kein Fell ausreißen. Und ruhig bleiben. Sonne spürt, wie du dich fühlst.", erklärte er und deutete auf die längeren Fellbüschel.
Wieder brummte die Wölfin und erhob sich.Sofort schwankte alles und Kara krallte sich in das Fell ein. Eironns Arme legten sich wie eine zusätzliche Sicherung links und rechts von ihr und auch seine Hände gruben sich in das weiche Fell.
"Ich... will wirklich nicht runter fallen...", flüsterte Kara leise und hoffte, dass die Wölfin die verstand. Die brummte, Eironn kicherte leise, dann erhob sich Fenrs hallendes Heulen uber die Hügel und die Tiere setzten sich in Bewegung. Sie folgten dem Anführer und schnell erhöhten sie ihr Tempo.
Der Wind peitschte in Karas Gesicht, weshalb sie sich enger an den warmen Wolfskörper drückte. Den Magier hinter ihr schien es weniger zu stören. Er veränderte seine Position nicht, während sich das Rudel stetig weiter von dem Jägerlager entfernte, in dem Kara viel zu viel Zeit ihres Lebens verbracht hatte.
Und mit jedem weiten Schritt wurde ihr Herz erstaunlicherweise leichter und sie konnte die Freiheit, die die Reise mit den Wölfen versprach, spüren.
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Midia
FantasyNach der Zerstörung ihrer eigenen Welt musste die Menschheit in eine andere fliehen. Zurückgeworfen in die Anfänge der Zivilisation erinnern nicht einmal mehr Legenden an eine andere Zeit. Kara wurde in diese Welt geboren, die die Menschen den urspr...