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"Silber." Grinsend reichte sie Eironn ihr Übungsblatt. "Ich kann Sachen verwandeln." Schnell zupfte sie ein zweites und ließ es zu Gold werden. "Und für mich sorgen. Ich bin nützlich."
"Sehr gut. Du lernst schneller als erwartet." Der Magier hatte sich in den letzten Tagen eine neue Tasche wachsen lassen. Dafür hatte er Grashalme höher wachsen und sich direkt zu Stoff verflechten lassen. Darin lagerten ihre misslungenen Versuche. Eines der Blätter hatte sie aus Frust in eine Silberkugel verwandelt. Es kam naher an ihr Ziel stellte den Magier jedoch nicht zufrieden.
"Du hast mich Silber machen lassen.", fiel ihr auf. "Ist das nicht für Midia gefährlich?"
"Wieder eine Geschichte der Jäger? Nein, ist es nicht. Sterben können wir durch die gleichen Dinge wie Menschen. Köpfen, verbrennen, ein zerstörtes Herz. Nur Blutverlust ist leichter zu überleben." Er strich sich über den Arm. Seine Wunden sind inzwischen fast alle verschwunden. Nur die Brandnarben hoben sich noch deutlich ab. Aber er war tatsächlich nach ihrer ersten Nacht wieder mit zwei Augen aufgewacht.
"Das heißt, ich kann das jetzt auch überleben?"
"Versuchen wir dieses Experiment zu vermeiden." Eironn strich sich durch die Haare. Unter der Berührung veränderte sich die Farbe zu einem dunklen Rot. "Aber du kannst versuchen dich zu verkleiden."
Staunend wiederholte Kara seine Bewegung, stellte sich vor, wie ihr Haar zu einem hellen violett wurde und zog die Spitzen vor ihre Augen. "Wow." Das hellbraun war vollständig verschwunden. Sie sah zu ihrem Lehrer. "Hast du das oft gemacht?"
"Gezwungenermaßen." Er lachte und wechselte schnell zwischen Farben und Frisuren. Kurz darauf legte er die Hand auf sein Gesicht und ließ einen Bart sprießen. "Frau, Mann, jung, alt. Mit genug Übung kann man alles an sich ändern. Außer den Augen." Wieder bedeckte er sein Gesicht und sah Kara aus ihren eigenen Gesichtszügen an. "Aber man kann nur sich selbst verändern. Niemand anderen."
"Das glaube ich. Wäre auch seltsam. Und... wie sahst du ursprünglich aus?"
"Hm, ob ich das noch weiß?" Eironns Blick wurde dunkel. "Oder besser nicht. Du würdest mich hassen."
"Wieso denn das?"
"Weil ich lüge?" Er schüttelte den Kopf, flüsterte nur noch: "Weil alle Menschen mich hassen. Leben bringt ihnen nur Kummer und Schmerz und jemand muss die Schuld tragen... Aber ich kann dir meine erste Verwandlung zeigen." Damit lächelte er wieder, sein Haar wurde weiß, er schrumpfte vor ihr ein Stück, sein Gesicht wurde schmaler, die Augen näherten sich. "Ich erinnere mich leider nicht mehr an alles."
"Das sieht menschlich aus." Kara senkte den Blick. Um sich genauso anzupassen würde sie einen guten Spiegel brauchen. Zum Glück stand ihr dabei nichts mehr im Weg, weshalb sie ein weiteres Blatt pflückte, ihre Magie hinein leitete und beobachten konnte, wie das Blatt größer und auf Größe eines gewöhnlichen Handspiegels anwuchs, bevor es sich in spiegelndes Silber verwandelte. Ein klares Abbild sah ihr entgegen.
"Gut erkannt." Der Magier schnappte sich die Scheibe und legte sie neben einen abgebrochenen Ast, der unter seiner Einwirkung zu einem verschnörkelten Rahmen samt Griff wurde. Er lächelte, was schiefe Zähne offenbarte und nutzte den Spiegel zuerst. Das Gesicht verzog er dabei. "Ich habe dieses Bild schon immer gehasst." Er schüttelte den Kopf und sah wieder wie zuvor aus. Nur das Haar war weiß. Dann gab er den Spiegel zurück.
"Bist du trotz der Wölfe eitel?" Kara senkte den Handspiegel ab. "Unter ihnen sollte dir dein Aussehen doch egal sein."
"Nein, das hat nichts mit Eitelkeit zu tun. Dieses Aussehen... es erinnert mich an unschöne Zeiten. Du findest mich doch so auch schöner, oder?"
Sie schwieg kurz, dann folgte ein Nicken. "Eitelkeit eben. Wer mag nicht einen schönen Charakter in einem schönen Körper. Also, einen schöneren..." Vor dem Spiegel berührte sie ihr Gesicht. Sie schmälerte es etwas, verkleinerte die Nase, dafür wählte sie vollere Lippen.
"Warum sollten wir uns mit dieser Macht mit unserem Aussehen zufrieden geben?" Eironns Hand legte sich über den Spiegel und drückte ihn zurück zu Boden. "Aber bei dir ist keine Veränderung nötig, Kara."
"Ich muss mir gefallen, oder?" Sie gab den Spiegel frei und legte beide Hände an ihre Brust. Nur ein wenig mehr... "Außerdem muss ich mich nur vor Menschen fürchten. Ich..." Sie sah ihn an. "Was würde dir gefallen?"
"Du?" Eironn rückte ein Stück näher. Karas Herz raste, worauf er wieder lächelte. "Doch. Du gefällst mir. Auch ohne große Veränderungen. Das hätte ich dir gerne früher gesagt."
"Dich finde ich so schöner. Nur..." Sie hob die Hand und strich durch seine Haare. "Warum weiß?"
"Weil es möglich ist."
"Ähm, verstehe." Eilig sah sie weg. Ihr wurde auch ohne Magie warm.
"Kara." Er legte eine Hand an ihre Wange und lenkte ihren Blick zurück. Es kribbelte unter ihrer Haut. "Ich habe es dir schon in der Grotte gesagt: ich mag dich. Du hast mich vom ersten Moment fasziniert, als ich dich zeichnend in diesem Baum gesehen habe. Ich wollte dich eigentlich direkt ansprechen, aber da bist du schon wieder gegangen. Du hast etwas an dir, dass ich beschützen will. Und immer ist da die leise Angst, dass du mich meidest, wenn ich wirklich ehrlich bin. Mich... hasst."
"Noch ehrlicher? Ich habe dir doch schon verziehen."
"Noch ehrlicher. Kara..." Eironn ließ die Hand sinken und atmete tief aus. "Schon wieder habe ich gelogen." Er legte die Hand an seine Schläfe. Ein helles Licht strahlte aus ihm heraus, veränderte seine Silhouette. Bis es verblasste - und Kara sprachlos zurückließ.

~ ~ ~

"Khaos..." Bodenlanges, hellgrünes Haar verschmolz scheinbar mit dem Boden, während ein riesiges Hirschgeweih, mehr einer Baumkrone ähnelnd aus seinem Kopf in die Höhe wuchs. Die vier Ohren der Götter und Geister waren auch bei ihm unverkennbar. Kara rührte sich nicht, auch Eironn sah sie nur entschuldigend an.
"Die Erklärung wird eine Weile dauern.", begann der Gott, doch die Magierin unterbrach ihn mit einem schnellen Kopfschütteln.
"Du warst in der Zelle. Bevor Kahlia gesagt hat, dass wir flüchten müssen. Du..."
"Nein. Ich war nur dort, als ich dich raus geholt habe. Kahlia hat sich dir gezeigt? Außerhalb der Traumwelt?"
Kara nickte. "Und... Wer war der Hirschgott dann? Er hat gefragt, ob ich sie verraten habe."
"Hirschgott..." Er ballte seine Hand zur Faust. "Jahra. Aber wenn Jahra..." Er schien etwas zu realisieren, denn panisch riss er die Augen auf und seine Göttergestalt verschwand. Eironn sprang auf. "Wir müssen weiter. Sofort!" Vor ihrem Augen nahm er die Gestalt des Wolfes an. "Ich weiß, ich habe kein Recht mehr dich um Vertrauen zu bitten." Der Wolf legte sich auf den Boden. Seine Stimme hörte sie in Gedanken. "Daher, lass mich dich wenigstens beschützen."
"Was ist los?" Die Pferde wieherten nervös, doch es lag nicht an der Anwesenheit des Wolfes, als sie alle gleichzeitig flohen. Dafür bebte der Boden.
"Kara! Bitte!" Eironn hob den Kopf, sah nervös in die Richtung, aus der sie gekommen sind. "Kara!"
Sie zog sich auf seinen Rücken. "Darüber reden wir noch. Wie soll ich dich eigentlich nennen?"
"Ira. Momentan bleib dabei." Eironn sprang auf und raste sofort in vollem Tempo los. Hinter ihnen bildete sich eine Staubwolke. "Dein Vater hat es wohl überlebt - und Jahra verlangt diese Welt für sich. Daher haben die anderen ihn eingesperrt. Aber er hat es anscheinend doch geschafft, irgendwie mit den Menschen zu kommunizieren." Sie flogen über die Ebene, die Pferde knapp vor ihnen, aber sie holten auf. "Ich fürchte, für ihn bist du jetzt eine Gefahr. Zumindest, wenn du dich für uns ausgesprochen hast."
"Ich habe gesagt, dass ich niemanden verraten habe. Das war die Wahrheit."
"Das weiß er. Und er will diese Welt trotzdem. Kara, dies ist jetzt mehr geworden, als ein Kampf zwischen Menschen und Midia." Er beschleunigte nochmal, überholte die Pferde, denen er etwas zu knurrte und setzte dann in einem großen Sprung über den nächsten breiten Fluss. "Ich wollte den Krieg mit Jahra immer vermeiden - aber das hat sich wohl erledigt."

MidiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt