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"Ira?" Ihre Erinnerungen waren verschwommen, als sie erwachte und versuchte sich aufzurichten. Weit kam sie nicht. Unbequem waren ihre Hände hinter dem Rücken gefesselt. Das schlagen einer Kette auf Stein bestätigte ihre Verankerung in Wand oder Boden. Ihre Umgebung war kalt, ihr Untergrund feuchter Stein. Nur das schwache Licht einer Fackel fiel durch einen Spalt und genügte, damit sie sich umsehen konnte. Die Zelle, in der sie lag war klein. Gerade weit genug, um sich auszustrecken, gerade hoch genug, um gerade zu stehen. Sie rückte nach vorn. Die Kette war sehr lang, aber schwer. Es roch modrig, als Quelle konnte sie das wenige Stroh ausmachen, das den Boden bedeckte. Nicht genug, um die Kälte des Bodens abzuhalten.
Es quietschte, als jemand ein Sichtfenster in ihrer Tür aufschob, mehr Licht drang jedoch nicht herein. Stattdessen wurde es von dunklen Augen blockiert, die in die Zelle starrten. "Prinzesschen ist wach? Willst du Besuch?", grunzte der Mann und schob das Fenster wieder zu. Ließ sie wieder allein ohne auf eine Antwort zu warten. Nicht, dass sie ihm eine geben wollte. Dass sie überhaupt mit jemandem sprechen wollte, der nicht Eironn war. 
"Hört ihr mich? Auch, wenn ich nicht als Teil Eures Volks geboren wurde?" Kara legte soweit möglich die Handflächen aneinander, wie sie zu dem Gott der Menschen beten sollte. Doch ihre Gedanken richteten sich auf die Götter der Midia. "Selbst wenn ihr mich nicht hört, gibt es mir vielleicht genug Kraft. Bitte schützt Ira und die Wölfe. Vergesst mich, denn ich bin es nicht mehr wert gerettet zu werden, aber helft ihnen." Sie löste ihre Haltung schweren Herzens und lauschte in die Stille. Die Tür schien alle Laute zu schlucken. Wie lange man sie hier wohl vergessen würde?

Es dauerte erstaunlicherweise nicht so lang wie erwartet, als jemand die Tür aufzog. Ein Mann trat in die Öffnung. Der, der die Jäger an der Klippe angeführt hatte. Der, der gesprochen hatte. "Du bist wach, Kara.", er lächelte, so gut man es im schlechten Licht erahnen konnte. Es sollte wohl liebevoll aussehen, doch es schürte ihre Angst nur noch mehr. Jäger waren grausam, selbst wenn es nicht alle Menschen waren. "Ich hatte schon Sorge, der Zauber war zu stark. Ich hätte es mir nicht verziehen, hätte ich dich auch noch verloren." Der Mann trat einen Schritt weiter in die kleine Zelle, musste den Kopf einziehen, um nicht an die Decke zu stoßen. Also war es eine Zelle, in der Magie wirkte, fasste sie auf. Sie hatte von ihnen von den Jägern gehört. Sie ließen dem Gefangenen gerade genug Platz - und ihre hatte man noch großzügig eingestellt.
"Wo ist Ira?" Ihre Stimme zitterte, aber sie zwang sich dem Mann in die Augen zu sehen. Er hatte niemanden verloren, weil ihm niemand wichtig war. Sie sah ihm nicht einmal entfernt ähnlich. Er war wohl auch der Grund für ihre Sonderbehandlung...
"Der Magier lebt. Willst du zu ihm?" Ein viel zu blutrünstiges Grinsen huschte kurz über seine Lippen. Ihre voreilige Zustimmung sprach Kara nicht aus. "Natürlich kann ich dich ihn nur sehen lassen. Immerhin hat er dich entführt und wer weiß was angestellt."
"Entführt?" Sie senkte den Blick wieder, wollte nicht länger sein Gesicht sehen, als notwendig. "Ich habe die Gruppe verlassen. Frag den Anführer."
"Tja, das ist leider nicht mehr möglich." Er holte etwas hervor und warf es ihr hin. Hell klimperte das silberne Abzeichen über den Stein. "Die Wächter wurden alle ausgelöscht. Ein unschöner Anblick. All die zerfetzten und aufgerissenen Leichen. Und dann der unverkennbare Schimmer von Magie, der den Pflanzen das Lager überlassen hat."
"Eine andere Gruppe." Es war eine einfache Erklärung. Eine, die ihr weitere Details ersparte. Immerhin war das eine gängige Praxis, um Konkurrenten aus dem Jagdgebiet zu vertreiben. Die Kopfgelder, für die eigenen Gruppe zu sichern. "Das ist normal." Menschen bedeuteten einander nichts. "Woher denkst du, dass die Midia das waren?"
"Nun, das kann es auch gewesen sein, Kara. Kopfgelder sind schwerer zu erlagen. Die Monster, die diese Welt bevölkern werden weniger." Der Mann klopfte auf die ihm nächste Wand. Dumpf hallte der Ton durch die Zelle. Sie wusste wie Magie sich anfühlte, als der Raum auf den Befehl reagierte und dem Anführer erlaubte den Blick nun zur Decke zu heben. Geradezu enttäuscht wirkte sein Blick auf sie herab, als ein winziges Licht die Zelle erhellte. Wollte er sich etwa bei ihr beliebt machen? "Trotzdem hat er dich entführt. Von deine Leuten fortgerissen." Der Mann rümpfte die Nase, als er den Blick über sie schweifen ließ. Erwartete er wirklich, dass sie sich frisch gewaschen gab, wenn man sie schon in eine dunkle, nasse und verrottende magische Zelle sperrte. "Als meine Tochter solltest du dankbar sein, dass wir dich gefunden und gerettet haben."
"Bin ich nicht." Sie rückte näher an die Wand, weiter weg von der Tür und dem Mann, der ihr einst als Vater vertraut war. "Ich hätte springen sollen."
Er verzog das Gesicht, jedoch nicht aus Wut. Es wirkte hingegen eher enttäuscht. "Du wirst dich schon wieder besinnen. Du wirst nach mir rufen, wenn der Wahnsinn beginnt an dir zu nagen - oder Ratten." Ohne weitere Worte drehte er sich um die Tür fiel ins Schloss. Und Kara spürte im gleichen Moment, wie sich die Wände nun näher zu ihr bewegten...

MidiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt