"Wie wäre es, wenn ich deine Freundin mal durch die Welt führe?" Die Kriegsgöttin lächelte Kara an, nachdem eine Weile eine drückende Stille geherrscht hatte. "Dann kannst du dich auf den Fluch konzentrieren."
"Das ist ihre Entscheidung." Eironn behielt seine Schwester im Auge und griff nach Karas Hand. Beruhigend strich er über ihren Handrücken.
Die Magierin schüttelte den Kopf. "Schon gut. Ich würde gerne mehr sehen. Außerdem ist das wichtig. Es geht um euer Volk."
Eironn nickte, richtete seinen Blick jedoch auf die Göttin. "Heute Abend ist sie wieder in meinem Zimmer. Ohne Kratzer und Trauma."
"Klar doch." Grinsend hob sie Hände und stand auf. "Komm. Fangen wir mit den Gemeinschaftsräumen an."
Kara nickte, folgte ihrer Bewegung und dann ihren Schritten aus dem Raum heraus. Eironn blieb darin zurück, würde sich aber bald auf den Weg zu Kahlia machen."Ich finde Menschen ja spannend." Die Göttin klopfte dumpf auf ihren Brustpanzer. "Sie haben dieses schöne Ding entwickelt. Und Waffen. Die sind auch beeindruckend. Aber das weißt du sicher. Nimean interessiert sich mehr für Bücher und Maschinen, die das Leben vereinfachen. Und Vymi hat Angst. Panische Angst. Sie hat keine längere Unterhaltung mehr geführt, seit die Menschen da sind. Hier ist eine Küche. Khaos ist der beste Koch und es wird Zeit, dass er sein Reich wieder hier her verlegt." Sie zog einen Vorhang zur Seite und offenbarte eine große Feuerstelle in der Mitte des Raumes, an den Seiten gesellten sich noch weitere in regelmäßigen Abständen dazu. "Was ist mit dir? Wie kannst du dich nützlich machen?"
"Kochen helfen?" Unsicher sah Kara zur wesentlich größeren Frau auf. "Ich weiß nicht. Selbst die Jäger wollten mich nicht behalten, weil ich nutzlos war."
"Menschen betrachten jemanden als nutzlos?" Irritiert legte sie den Kopf schief, musterte die Magierin intensiv. "Konntest du nicht mal zu ihrem Vergnügen bleiben?"
Kara öffnete den Mund, wollte erwidern was ihr einfalle, so etwas vorzuschlagen, da die Worte eindeutig gewesen waren. Also schüttelte sie den Kopf. "Das... wollte ich nicht..."
"Hm. Und hier? Wärst du hier bereit?"
Wieder ein schnelles Kopfschütteln. Sie bekam Angst vor der Göttin, die nur mit den Schultern zuckte und sie weiterführte.In der nächsten Höhle befand sich eine menschenähnliche Frau. Hellblaues Haar wie Wasser verteilte sich über dem Boden, während zwei hellblaue Schmetterlingsflügel und die dazu passenden Fühler und vier Arme zu zwei Beinen ihrer Schönheit keinen Abbruch taten. Auch nicht die blinden, weißen Augen, die sie anzustarren schienen.
"Unsere Schneiderin. Die Nymphe Ruhefluss. Bei Wünschen, einfach über Khaos hier melden. Du kannst ja nicht ewig in seinen alten Kleidern herumlaufen."
"Ich habe gerade Zeit." Selbst die Stimme der Nymphe klang nach Wasser. "Das ist ein Gewand der Chaosgöttin, nicht? Meine Meisterin hat es für Khaos gefertigt." Ruhefluss sah sie weiter nur an. "Möchtet Ihr Euch etwas aus meinen Arbeiten aussuchen, Magierin?"
"Danke für das Angebot, aber im Moment..." Tura schob sie schon grinsend in die Höhle.
"Natürlich möchte sie. Vor allem will sie meinem Bruderherz gefallen. Oder doch Nimean?"
"Nein, das ist nicht..."
"Doch ist es." Wie Krallen gruben sich die Finger der Göttin schmerzhaft in ihre Schultern. Kara zuckte und widersprach nicht mehr. Aber sie wurde sich immer sicherer, dass die Göttin sie hasste. Genügte dafür wirklich nur ihr Kontakt mit deren Bruder? "Das da ist hübsch." Die Göttin deutete an Kara vorbei auf das kurze, freizügige Kleid an einem Ast, der aus der Wand wuchs.
Die Nymphe nickte, und das Kleid leuchtete - genau wie das, das Kara gerade trug. Dieses löste sich an ihrem Körper auf und ließ nur die Form des neuen Kleides - mehr ein Stoffrest - zurück. Am Ast hing die dagegen ihre Blumenwiese.
"Nein." Ihre Entscheidung war schnell getroffen und sie bedeckte notdürftig die freien Stellen. "Geschlossener. Bitte."
"Langweilerin." Die Göttin klopfte ihr auf den Kopf, während die Nymphe nur kühl lächelte und die Kleider zurück tauschte.
"Man merkt, Ihr seid noch jung." Die Nymphe hob eine Hand und wieder veränderte sich ihr Kleid. Es drückte sich enger an den Oberkörper, der Rock blieb weiterhin lang und locker, dafür lösten sich die Träger vollständig auf und vom Mittelteil blieben nur noch zwei schmale Streifen Stoff, die beides verbanden. Zuletzt fügte sich noch ein breiter durchsichtiger Streifen unter der Brust an, der die Illusion einer Bedecktheit schuf. "Besser? Es ist eine neue Komposition, nur für Euch."
"Besser." Sie wollte die Kriegsgöttin nicht noch wütender machen und gleichzeitig weg von der unheimlichen Nymphe. "Danke."
Ruhefluss neigte leicht den Kopf und widmete sich wieder ihrem aktuellen Nähstück. Tura zog sie wieder auf den Gang und musterte sie misstrauisch. "Ob das was wird?", murmelte sie leise und ging weiter. Kara dicht auf den Fersen, bevor sie sich verlaufen konnte."Letzter und für dich zweitwichtigster Raum." Tura zog einen weiteren Vorhang zur Seite und ließ Kara zuerst eintreten.
Erst war erst nur hell hinter dem Eingang, dann bildeten sich Farben heraus und sie erkannte den Ort wieder. "Das ist die Wiese, auf der mir Kahlia begegnet ist." Sogar der kleine Schrein stand noch an der selben Stelle.
"Eigentlich sind das die Gärten." Die Kriegsgöttin trat neben sie und deutete weiter hinein. Wo bei ihren Besuchen Nebel die weitere Umgebung verschluckt hatte, war nun wesentlich weiter zu sehen. In der Ferne konnte sie dunkle Wälder erkennen, die Wiesen waren dazwischen mit farbenfrohen Blumen geschmückt. "Khaos Lieblingsplatz. Sie bilden alles ab, was man will. Oder kennt. Jeder von uns hat hier auch einen eigenen Bereich den er pflegt. Diesen Ort solltest du dir merken."
"Wie könnte man den vergessen." Kühler Wind kam auf und warf ihren Rock zur Seite. Fern war das leise Plätschern von Wasser zu hören. "Danke für die Führung, Lady Tura."
"Tura."
Kara sah fragend zur Göttin, die knapp meinte: "Nur Tura. Keine Lady. Du gehörst doch zur Familie."
"Tue ich das?" Kara musterte die Blumen zu ihren Füßen. Es war ungewohnt, ganz ohne Schuhe herumzulaufen, trotzdem hatte sie es noch nicht gestört.
"Tust du. Nur weil wir dir nicht freudestrahlend um den Hals gefallen sind, heißt das nicht, dass wir dich nicht mögen. Wir haben nur... andere Probleme als eine Willkommensfeier zu organisieren. Und bei machen ist diese kühle Art einfach Teil der Persönlichkeit." Die Göttin legte ihr die Hand auf die Schulter. "Wir freuen uns, wenn Khaos glücklich ist. Mehr noch, als über seine Rückkehr. Und du bist der Grund dafür. Auch wenn unsere Sorgen sich gerade auf Jahra richten."
Kara nickte verstehend, sie wollte den Göttern aber auch nicht zur Last fallen. Und sie war immer noch nutzlos. Sollte ihr weiteres Leben unter den Göttern wirklich darin bestehen, nur an Khaos Seite zu bleiben?
"Er würde dich gehen lassen, wenn du willst. Aber erst, wenn es sicher ist." Die Göttin las ihre Gedanken - und es störte sie überraschend wenig. Vielleicht begann sie doch, menschliche Verhaltensweisen langsam abzulegen. Immerhin hatten ihr die wenigsten Midia bisher etwas getan. Der fehlgeleitete Werwolf erschien ihr im Nachhinein betrachtet als Ausnahme. Die Menschen hingegen...
"Kara-Kind. Hier kommt niemand her, wenn er nicht von einem Bewohner persönlich geleitet wird. Und sobald das Menschenproblem gelöst ist, ist hier hoffentlich auch wieder mehr los. Dann kannst du auch deine Freundinnen mitbringen."
"Es würde ihnen sicher gefallen. Aber... dafür braucht es noch Zeit."
"Na, die zwei sind schnell, wenn sie wollen." Tura grinste und sah zum Himmel, dessen Licht sich veränderte. "Oh, es wird spät. Husch husch, zurück zu Khaos' Zimmer. Wir können morgen weiter reden, wenn du willst." Damit brachte sie Kara schnellen Schrittes zurück zu den Privaträumen. Wenn alle so sind, dachte die Magierin zu sich, dann könnte es ihr zwischen den Göttern gefallen.

DU LIEST GERADE
Midia
FantasyNach der Zerstörung ihrer eigenen Welt musste die Menschheit in eine andere fliehen. Zurückgeworfen in die Anfänge der Zivilisation erinnern nicht einmal mehr Legenden an eine andere Zeit. Kara wurde in diese Welt geboren, die die Menschen den urspr...