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Eironn

Stumm folgte er seiner Spur und grub immer wieder Wurzeln aus. Mit einem Menschen in der Gruppe musste er wieder mehr darauf achten, was er sammelte. Kara vertrug sicher nur die Hälfte der giftigen Stoffe, die er zu medizinischen Zwecken mit sich herumtrug. Dazu musste sie auch regelmäßiger Nahrung aufnehmen als es bei ihm der Fall war.
Eironn seufzte und trennte einen roten Pilz ab. Ja, für Menschen waren die meisten Pflanzen giftig. Manche ignorierten sie, weil sie Gift vermuteten. Andere, weil ihnen die Fähigkeit fehlte, die essbaren Doppelgänger zu erkennen.

"Allein?", fragte die tiefe Stimme in seinem Kopf und ließ ihn aufsehen. Ein Maarhirsch stand vor ihm, das Geweih abgeworfen neben sich. Er überflog die Zahl der ebenso silbernen Spitze.
"Mit Wölfen.", antwortete der Magier. "Und einem Menschen."
Der Hirsch senkte den Kopf. "Wölfe habe ich schon lang nicht mehr gesehen. Menschen dafür zu oft." Aus schwarzen Augen sah der Hirsch ihn an. "Was macht ein Mensch bei uns?"
"Sie hilft mir. Die Wölfe faszinieren sie. Aber sie lebte lange bei Jägern." Eironn setzte sich auf einen umgestürzten Baum. "Ich weiß nicht warum ich sie angesprochen habe, aber etwas an ihr ist... besonders."
"Mehr, als ihr Interesse?" Der Hirsch drehte die Ohren. Plötzlich hob er überrascht den Kopf. "Mein Weg scheint hier zu enden, Freund. Sie haben mich gefunden." Der Hirsch nickte. "Lebewohl, Freund. Schenke Vertrauen jenen, die es nicht verdienen."
Damit stolzierte der Hirsch davon. Zurück blieben nur in der Ferne brechende Zweige und das abgelegte Geweih. Wieder seufzte der Magier. Er wünschte sich, etwas gegen das Sterben unternehmen zu können. Etwas tun zu können, das Leben rettete.
Mit einer Hand berührte er das Geweih. Magie floss hinein und ließ es mit dem Erdreich verschmelzen. Ein hüfthoher, junger Baum ersetzte es, bevor der Magier den Weg zurück antrat.

Der Himmel wurde bereits dunkel, als Eironn zurück zu den Wölfen kam. Der Geruch von bratendem Fleisch erfüllte die Luft. Auf Bäumen waren die dunklen Augen der Raben zu erahnen.
"Du hast Gäste." Der Magier ließ sich Kara gegenüber sinken und deutete unauffällig in die Bäume. "Sie hoffen auf Reste."
"Ich habe ihnen schon was gegeben." Sie sah zu einem blutigen, flachen Stein. "Der Rest gehört mir."
"Deine Entscheidung." Nicht für sie zu hören gab er es an die Vögel weiter.
"Der Duft ist toll. Wir passen schon auf.", gaben sie zurück und leise Flügelschläge waren zu hören, als ihre Beobachter die Plätze tauschten.
"Es sind Jäger im Wald. Sie haben einen Maarhirsch verfolgt. Sie sollen uns nicht finden.", erinnerte der Magier an ihre Aufgabe und wandte sich wieder an die Frau, die das fertige Fleisch von den Knochen pellte. "Kara, ich möchte dir später etwas über deine Aufgaben hier erzählen. Du kannst zwar für dich sorgen, aber du bist nicht mehr als ein Mensch. Sollten wir Jägern begegnen, bist du es, die besonders geschützt werden muss."
"Würden sie mir etwas tun?", gab sie mit vollem Mund zurück und reichte ihm den Stock, an dem sie ihre Beute gebraten hatte. "Nimm auch was, sonst bekommen die Raben doch noch mehr."
"Danke. Und wer weiß? Sie könnten dich fur eine Magierin halten." Das Fleisch war noch heiß zwischen seinen Fingern, doch die Wärme erreichte ihn nicht. Seine Temperaturempfinden war nicht ganz so natürlich, wie es sein sollte.
Einiges würde er ihr sicher nicht sofort erklären. Vielleicht behielt er anderes für alle Zeit für sich. "Ich weiß auch nicht, was sie mit den Sympathisanten machen, wie es heißt. Hoffentlich töten sie sie nur."
"Feuer..." Kara zögerte einen Moment und starrte ins Feuer. Er hatte sie wohl gerade an etwas erinnert. Offensichtlich etwas, über das sie nicht gern spricht und zu dem er sie nicht zwingen will. Also wechselte Eironn das Thema: "Was machst du mit dem Fell?"
Neben dem Feuer lag ein behelfsmäßiger Rahmen, in dem sie mit Fäden das Fell aufgespannt hatte.
Kara blinzelte kurz, schien den Wechsel erst langsam zu bemerken und antwortete dann: "Vielleicht kann ich es verkaufen. Wenn ich in einer Stadt bin. Also... falls ihr mich rauswerft. Falls nicht, finde ich bestimmt noch eine Verwendung."
"Dann ist es so." Natürlich konnte auch er nicht über jedes verlorene Leben weinen, dafür kannte er das Konzept von Leben und Tod zu gut. Er konnte auch nicht alle tierischen Überreste in Bäume verwandeln. Aber er erkannte den Versuch der Frau an, das Tier so weit es ging zu verwerten. Immerhin ließen auch die Wölfe nur die Knochen ihrer Beute übrig. Und daran hatte er sich in den Jahren der gemeinsamen Reise gewöhnt. Jetzt musste er nur noch den Menschen akzeptieren - oder akzeptierbar machen. Und er konnte sie noch als Informationsquelle nutzen. Sein Wissen über die Menschen war womöglich bereits veraltet.

MidiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt