Sie erwachte auf dem weichen Grasbett. Fell kitzelte ihre Nase und ließ sie erst niesen, bevor sie die Augen aufschlug. Über ihr lag die Höhlendecke, daneben einer der Wölfe, dessen Schwanz unruhig durch die Gegend peitschte. Als sie sich aufsetzte sah sie sich zuerst um. Sie war zurück beim Rudel, obwohl sie unter freiem Himmel eingeschlafen war. Eironn musste sie zurück gebracht haben, jetzt war er jedoch nicht mehr zu entdecken.
Kara beschloss ihn zu suchen, strich sich den zur Decke umfunktionierten Umhang von den Schultern und stand wackelig auf. Sie wollte mit jemandem über ihren Traum sprechen. Das Gespräch mit der Göttin fühlte sich zu echt an, um es zu ignorieren.Vor der Höhle betrachtete sie kurz den noch dunklen Himmel, bevor sie sich neben dem Eingang an die Seite des Magiers setzte.
"Du schläfst zu wenig.", bemerkte er, hielt den Blick jedoch weiter auf den Wald gerichtet. "Das ist auf Dauer nicht gesund."
"Ich fühle mich gut." Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. "Ich bin eben aufgewacht und hatte einen seltsamen Traum."
"Es ist nicht ungewöhnlich zu träumen."
"Aber mit einer Göttin zu sprechen. Hoffe ich?"
"Eine Göttin?" Überrascht wandte er den Blick nun zu ihr. "Welche war es denn?"
"Die Mondgöttin. Kah...ra?" Nein, das war ihr Name. Hatte sie wirklich den Namen vergessen? Innerlich fluchte sie. Gab es etwas schlechteres, nachdem man mit einer Person gesprochen hatte?
"Kahlia.", korrigierte der Magier.
"Richtig." Hoffte sie. "Sie hat mich gebeten, dich zu deinem Ziel zu führen. Und... du sollst mir die Fähigkeiten dieser Welt beibringen. Sie möchte, dass ich diese Welt verstehe."
Eironn nickte. "Du musst lernen, mit der Magie umzugehen. Die entsprechenden Fähigkeiten sind ein Teil davon." Er hob die Hand und deutete in den Wald. "Es wird jedoch nicht leicht. Sprechen und Sehen sind die schwierigsten Gaben. Gerade für jene, die es nicht seit ihrer Geburt lernen. Außerdem werden wir nicht sofort anfangen. Dafür ist unser nächster Zwischenstopp zu heikel. Gerade für dich."
"Der nächste Stopp? Nähern wir uns einer Stadt der Menschen?" Denen wollte sie bestimmt nicht begegnen. Die Jäger mögen nur eine extreme Form der Gemeinschaft sein, aber wie sicher ist es, dass sie sich in einer Stadt unbehelligt bewegen können.
"Keine Menschen. Werwölfe." Er sah zu ihr. "Sie werden spüren, dass du bei Jägern gelebt hast. Außerdem ist es ihnen als Halbmenschen möglich, ihre zweite Seele, das Gegenstück von Schutz und Strafe zu spüren. Es besteht daher zusätzlich die Gefahr, dass einer von ihnen das von dir behauptet - und du kannst ihm nicht das Gegenteil beweisen. Darüber mache ich mir mehr Gedanken."
"Ich könnte mich als deine zweite Seele ausgeben.", schlug Kara vor und griff nach seiner Hand. "Würde daran jemand zweifeln?"
"Niemand außer denen die wissen, dass es kein Gegenstück für mich gibt." Er wandte den Blick wieder ab, schloss sogar für einen Moment die Augen. "Du kannst es versuchen, aber es kann sein, dass ich dich nicht vor ihnen beschützen kann."
"Ich passe auf mich auf.", versprach sie leise. Kurz darauf stürmten die Welpen aus der Höhle. Dicht gefolgt von ihrer Mutter.Die Jungtiere sahen sich verschlafen um, bis sie die beiden erkannten und laut jaulend zu ihnen gesprungen kamen. Der größte der drei stupste Kara sofort mit der Schnauze an, was die ihr Gleichgewicht verlieren und zur Seite stürzen ließ.
Sie wuschelte lachend durch sein Fell, was den Wolf animierte ihr mit der nassen Zunge über das Gesicht zu schlecken.
"Vielleicht solltest du dich als seine zweite Seele ausgeben.", lachte Eironn und streichelte seinerseits einen der Welpen. Der Dritte versteckte sich vorsichtig zwischen den Beinen der Wölfin. Unsicher fiepte er.
Daraufhin ließ der Große von Kara ab, tapste zu seinem wesentlich kleineren Geschwisterchen und zog ihn am Nacken fell in Karas Richtung. Auch nach mehreren Tagen, war der kleinste noch nicht ganz aufgetaut. Er wagte sich nicht in die Nähe der Frau.
"Zieh' dein Brüderchen doch nicht so." Kara stand auf und klopfte sich den Staub von der Hose. Dann trat sie zu den Welpen und strich dem Ersten über die Nase. Brummend ließ er den anderen los und legte sich vor ihr auf den Boden. "Er kommt spielen, wenn er bereit ist. Und das ist er eben noch nicht." Dann sah sie zu Eironn. "Die Welpen... wie alt sind sie eigentlich?"
"Hm... Drei Monde?" Der Magier stand auf und ging gefolgt von seinem Welpen zu ihr. "In der ersten Zeit wachsen sie langsam, dann sind sie eines Tages ausgewachsen. Etwa nach einem Jahr." Er streckte sich zur Mutter, die ihm den Kopf entgegen hielt und kraulte ihr Ohr. "Diese Dame ist zum Beispiel erst gute fünfzig Jahre jung." Zustimmend fiepte die Wölfin und sah aus dunklen Augen zu Kara. "Das ist immer noch jung, aber nicht mehr im Kindesalter."
"Alt genug, um Welpen zu haben." Die jüngsten Menschen waren dafür mit vierzehn alt genug. Gerade Mädchen. Sue blinzelte eine unschöne Erinnerung weg.
"Diese Reife erreichen sie mit zehn Jahren.", erklärte der Magier. "Aber obwohl das Rudel fast nur aus Wölfinnen besteht ist die Fortpflanzungsrate nicht so hoch wie sie sollte."
"Wer hat auf einer Reise schon Zeit für Kindererziehung."
"Nein, so ist das nicht." Eironn ließ die Hand sinken. "Wanderwölfe und auch einige andere Völker der Midia suchen sich nur einen Partner für ihr Leben. Wenn einer stirbt, dann bleibt der andere den Rest seines Lebens allein. Das heißt, diese Welpen, sind die letzten die sie bekommt. Und glaub mir: Midia leben lang. Wir leben lang."
Hinter ihr brummte es und Fenrs Schatten verdeckte hinter ihr die Sonne. Der Anführer senkte den Kopf und stupste sie an. Der Magier schmunzelte. "Er hofft, du bleibst uns noch lange erhalten. Und wir wollen aufbrechen." Eironn nahm ihre Hand. "Zum Mittag sollten wir die Werwölfe erreichen. Du wirst sicher positiv von ihrem Leben überrascht."
"Hoffentlich." Er drückte leicht seine Hand, was ihr Herz einen Moment schneller schlagen ließ. Ihre Gedanken richteten sich auf seine letzte Erklärung. Sie war jetzt auch eine Magierin. Eine Midia. Wenn sie sich in ihn verliebte...
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Midia
FantasíaNach der Zerstörung ihrer eigenen Welt musste die Menschheit in eine andere fliehen. Zurückgeworfen in die Anfänge der Zivilisation erinnern nicht einmal mehr Legenden an eine andere Zeit. Kara wurde in diese Welt geboren, die die Menschen den urspr...