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Das Kleid fiel locker über ihren Körper. Es hatte keine großen Verzierungen, bis auf die Blumen, die sich am Saum nach oben reckten. Und sie könnte schwören, dass sie sich bewegten. Zwei breite Träger hielten es in Position, der tiefe Ausschnitt machte ihr jedoch Sorgen. Erst kurz vorher hatte sie ihre Brüste noch etwas vergrößert. Nun sah man definitiv zu tief hinein. Dazu schien es sehr dünn, wenn auch nicht so durchsichtig, wie die Bänder, die die Mondgöttin bei ihrer ersten Begegnung bedeckten.
Kara schüttelte den Kopf. Die Götter, beziehungsweise der einzig andere männliche Gott hatte sicher kein Interesse an ihr. Es hätte doch auch solche Geschichten gegeben.
"Fertig." Sie trat wieder in den Schlafraum. Eironn saß auf der Bettkante, die Hose ging ihm bis zu den Knien, die Brust war unbedeckt. "Es steht dir."
"Danke. Aber warum besitzt du so etwas?"
"Ich glaube, ich war mal eine Weile die Chaosgöttin. Aber das ist schon eine Weile her." Grinsend stand er auf und reichte ihr die Hand. "Die anderen erwarten uns. Sie möchten dich kennenlernen und etwas besprechen."
"Also... wissen Götter nicht alles."
"Nein. Außer Dot vielleicht." Er führte sie aus dem Pavillon, schon standen sie wieder vor der Nebeltür. "Das ist ihr Zimmer. Auf meiner Seite liegen noch Vymi und Kahlias Räume, gegenüber jeweils Turas und Nimeans."
"Ist jedes Zimmer so... groß?"
"Wer weiß. Ich habe sie nicht oft besucht. Dafür gibt es Besprechungsräume."
Kara sah irritiert zu der Tür, an der sie gerade vorbeigingen. Kahlias Raum. "Aber sie besuchen dich?"
"Manchmal stehen sie im Raum. Aber es gibt andere Möglichkeiten zur Kommunikation und Gemeinschaftsräume für Besprechungen." Er führte sie auf einen weiteren Höhlengang zu, der von blauen Vorhängen abgetrennt wurde und schob eine der Seite zur Seite. "Nach dir."

Unsicher trat Kara in den Raum dahinter. Mehrere Stühle und Hängematten warteten dort, alles ausgelegt mit großen Blättern, die sich sogar die Wände hinauf rankten.
Auf fünf Plätzen verteilt warteten bereits die anderen Götter, nur neben der dunklen Dot war zusätzlich noch ein unförmiger Schatten zu sehen. Wenn auch versetzt, war die kreisförmige Anordnung der Anwesenden nicht zu übersehen. Gegenüber der Todesgöttin war eine größere Lücke, zu der Eironn sie vorsichtig führte.
Der Chaosgott wählte eine breite Bank als Sitzplatz, Kara bat er neben sich.
"Schon eine Weile her.", grüßte er die anderen und sah in die Runde.
Kara folgte seinem Blick. Tura, Kahlia und Dot erkannte sie leicht. Nach Ausschluss konnte sie auch die Göttin der Wahrheit und den Sonnengott identifizieren, deren beider Aussehen sie überraschte. Das bodenlange, dunkelgrüne Haar Vymis war zu dicken Schläuchen verfilzt, ihre Augen trugen Schlitze als Pupillen und die Haut war teilweise von bunten Schuppen bedeckt.
Nimean hingegen wirkte menschlicher. Er war muskulös gebaut, mit dunklen Augen, die sich auf ein Buch richteten und runden Mauseohren über den spitzen Götterohren. Haare suchte man vergebens, obwohl auch er nur mit einer Hose bekleidet war.
Kara meinte sich zu erinnern, dass die Mondgöttin einmal etwas zur Kleidung der anderen Götter gesagt hatte, konnte sich aber nicht mehr genau daran erinnern.

"Wir haben dich auch vermisst, Bruderherz." Tura leuchtete kurz und trug plötzlich knapp über ihren Augen nach vorne gerichtete Stierhörner, ausgehend von der Schläfe. Hinter ihrem Rücken regten sich vier durchsichtige Libellenflügel. Sie grinste. "Wir dachten schon, die Menschen hätten dich in die Finger bekommen."
"Haben sie." Vymis Stimme war leise. Sie schien in ihrem Stuhl zu schrumpfen. "Er will nicht darüber reden."
"Richtig. Können wir das Thema aus Rücksicht auf unseren Gast meiden?"
Die Kriegsgöttin hob beschwichtigend die Hände und schwieg. Das Grinsen verblasste jedoch nicht.
"Reden wir lieber über die wichtigen Dinge." Auch wenn sich Nimeans Blick auf Eironn richtete spürte Kara ihn ebenfalls. Wie Vymi zog sie unmerklich den Kopf ein. Im Moment fühlte sie sich wie ein Eindringling.
"Richtig." Kahlia sprang ein. "Wie werden wir die Menschen los? Vorschläge?"
"Das war deine Aufgabe.", erinnerte die Todesgöttin ohne von ihrer Scheibe aufzusehen. "Ich bin für radikale Auslöschung. Meine Schatten stehen bereit."
"Es gibt auch einige, die der Meinung der Mehrheit und Jäger nicht folgen. Ich möchte sie gerne beschützen und zu Midia machen." Kahlia lehnte den Kopf an ihre Rückenlehne. Leise raschelten die Blätter. "Khaos im Übrigen auch."
Der Betroffene nickte und schlug vor: "Wir können sie auch vertreiben, auch wenn sie dann das Problem von anderen sind. Jahra soll in einer anderen Welt, um Zuflucht bitten."
"Dafür ist es zu spät." Der Sonnengott sah wieder in sein Buch. "Sie können nicht einmal in ihre alte Welt zurück. Jahras Frau, ihr erinnert euch, hat die Welt wieder mit Leben gefüllt. Er hat sie und seinen Sohn zurückgelassen und sie haben die Chance genutzt."
"Gibt es keine tote Welt, in die wir sie bannen können?" Tura kreuzte die Arme vor der Brust. "Und den Zugang zu uns müssen wir auch beschränken." Sie schnaubte. "Schlimm, wie eine schlechte Erfahrung Vertrauen nachhaltig zerstören kann."
"Also doch umbringen? Du könntest mir eine Krankheit basteln, Bruderherz."
"Kann ich nicht." Eironn senkte den Kopf und seufzte. "Unter den Jägern gibt es Halbblüter, die auf Seiten der Menschen sind. Es müsste etwas sein, das nur Menschen befällt, würde diese aber aussparen. Wir kämen also nicht wirklich weiter."
"Und wenn wir ihre Zahl reduzieren? Es dauert zwar länger, wenn wir ihre Reproduktion eingrenzen, aber wer als Sympathisant in der Zuflucht ist, wird nicht betroffen. Letzten Endes sterben sie aus - oder Tura und Dot helfen nach." Nimean sah von seinen Buch auf und streckte die Hand aus. Aus goldenem Licht formte sich ein Tisch zwischen den Göttern, der die Welt abbildete. Rote Punkte zeigten Ansammlungen von Menschen, blaue Midia und unter einer goldenen Kuppel am Rand der Welt lag versteckt die Zuflucht. "Eine Generation und sie verschwinden von selbst."
"Das ließe sich machen. Ich lasse es reine und Halbmenschen angreifen. Wer Magie trägt oder ein Midia ist wird nicht betroffen. Außerdem auch keine Tiere und Pflanzen. Nein... Magie geht nicht. Jahra hat vermutlich mehr als einen Menschen damit ausgestattet."
"Dann verschonen wir nur die Magie von Lia und dir." Tura stand auf und klopfte auf den Tisch. "Das dürfte gehen, oder?"
Eironn sah zu Kahlia, die darauf nickte. "Das lässt sich eingrenzen. Schreiben wir einen Fluch."
"Gut." Um die Todesgöttin sammelten sich Schatten. "Ich muss zurück an die Arbeit. Ruft mich, wenn ihr fertig seid." Damit verschwand sie wieder.
Der Sonnengott folgte, in seinem Schatten Wahrheit, die sich nicht verabschiedeten.
"Klar, der mit der Idee macht sich aus dem Staub.", grummelte Tura und sah in die Runde. Kahlia erhob sich ebenfalls. "Komm später in den Schreibraum, Khaos. Ich fange schon an." Sie verschwand in einem Wimpernschlag und ließ Kara mit den Geschwistern allein.

MidiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt