Kara
"Es geht wieder." Kara nickte an seiner Brust und er ließ sie zögerlich los. Wie lange hatte sie sich niemandem anvertraut? Wie lange hatte sie die Grausamkeit der Menschen stillschweigend hingenommen? Sie war selbst einer und fühlte sich noch immer so. Als Eindringling in einer friedlichen Welt.
"Bist du dir sicher?" Eironn sah sie unsicher an. "Das war... viel."
"Schrecklich.", korrigierte sie. Ihr Rücken schmerzte. Sie hoffte, dass es an der Position lag, in der sie verharrt hatten. "Fünf sehe ich immer wieder. Diese grinsenden Gesichter, während sie mich quälen."
"Das Symbol..." Eironn strich vorsichtig über die Stelle. Ihre Erinnerung zwang das Gefühl der Messer zurück in ihre Haut. Vier hatten sie mit aller Kraft festgehalten, einer geschnitten und das heiße, schwarze Pulver in die Wunde gedrückt. Sie zuckte zusammen. "Tragen es noch mehr?"
"Wer ausgewählt wurde. Jede hat..." Hat es durchmachen müssen. Die Worte konnte sie nicht mehr aussprechen. "Sicher sind die meisten bereits tot."
"Aber die Verursacher nicht." Der Gott lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf ihn. "Ich könnte dir Rache ermöglichen. Es macht die Vergangenheit nicht ungeschehen, aber vielleicht hilft es deinen Gefühlen. Das Wissen, dass sie dich und andere nie mehr verletzen können."
"Rache?" Er blieb kühl. "Du scheinst nicht, wie ein Rachegott."
"Chaos ist grausam. Tod ist Erlösung.", erinnerte er an eine frühere Unterhaltung und verzog das Gesicht zu einem unheimlichen Grinsen. "Und wer sagt, dass wir sie ermorden?"
Kara musterte ihn einen Moment schweigend. Rache wünschte sie sich schon lange, aber nie konnte sie sie wiederfinden. "Tod ist zu wenig.", bestätigte sie und ließ sich von Eironn vor den Pavillon führen.Auf der einen Seite war ein Kreis in den Boden gezogen. Leuchtende Steine bildeten den Ring, in den er sie führte. Aus dem Nichts ließ er einen Bogen und Pfeile erscheinen und reichte ihr die Waffe und den ersten Pfeil. Grüne Federn bildeten den Abschluss von weißem Holz, deren Anfang eine schwarze Spitze zeigte. "Du kannst ihn behalten, immerhin bin ich dir noch einen schuldig. Außerdem weiß ich, dass du schießen kannst." Dann stellte er sich hinter sie und wies an: "Denk an deine Peiniger. Auch wenn es schwerfällt, musst du sie vor dir sehen. Dann spannst du und schickst den Pfeil auf Reisen."
"Wohin soll ich zielen?" Sie würde nur zu gern zwischen ihre Beine treffen. Schnell blinzelte sie. Was dachte sie denn da?
"Egal. Du musst nur treffen. Bist du bereit?"
Kara atmete tief durch und nickte. Der Ring fing an zu leuchten und sie spürte Eironns Hände an ihrer Hüfte. "Zeigt euch.", flüsterte der Gott und die Luft flimmerte. Der erste Mann erschien. Seine Züge hatten sich seit damals nicht verändert. Es dauerte einen Moment, dann war er vollständig zu sehen. Und Kara ließ los. Der Pfeil traf ihn in der Brust. Der Mann zuckte kurz, dann verschwand der Pfeil und er wurde von grünem Licht umhüllt. Im nächsten Moment saß eine Ratte an seiner Stelle - und wurde gleich von einem anderen Menschen aus dem Weg getreten.
"Ratte. Sehr passend, im menschlichen Sinn."
Sie meinte das Grinsen mit herauszuhören, als die Luft wieder flimmerte und sich der nächste Mann bildete. Kara zog wie automatisch den nächsten Pfeil und legte an. Sie atmete durch und ließ los. Diesmal traf er seinen Kopf und verwandelte ihn in eine weitere Ratte.
Nun grinste auch sie und ihr Herz wurde ein klein wenig leichter. Die Menschen wurden sie für ihre Verbrechen nicht bestrafen. Es war schon lange her, aber sicher, war sie nicht ihr letztes oder einziges Opfer.
Auch die letzten drei nahmen nacheinander die Gestalt von struppigen Ratten an. Magie war ein wunderbares Werkzeug, bemerkte sie zu sich und drehte sich zu Eironn um sie musterte. Stolz glitzerte in seinen Augen. "Vielleicht sollten wir dich zur Rachegöttin machen. Du machst das gut."
"Haben sie sich wirklich verwandelt oder war das ein Zauber?", ignorierte sie seinen Vorschlag.
Der Gott schüttelte den Kopf und deutete auf die Steine. "Von diesen Orten können wir direkt Einfluss auf die Welt nehmen. Rache, Nachrichten, neue Lebewesen. Es wirkt sich alles direkt aus. Ja, deine Peiniger sind vor aller Augen zu Ratten geworden. Die Menschen, die es gesehen haben fürchten jetzt göttliche Strafen."
"Als Rachegöttin wäre ich aber schnell arbeitslos. So, ohne Menschen. Wenn euer Fluch fertig ist."
"Was wärst du dann gerne? Tura meinte, du bezeichnest dich immer noch als nutzlos."
Was sie gerne wäre? Kara sah hoch und verlor sich fast in den goldenen Augen. "Jemand, der keine Angst vor Nähe hat. Also... deiner Nähe?"
Lächelnd nahm er ihre Hände und beugte sich zu ihr. "Ich bin vorsichtig.", versprach er leise und stahl ihr einen weiteren Kuss.

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Midia
FantasyNach der Zerstörung ihrer eigenen Welt musste die Menschheit in eine andere fliehen. Zurückgeworfen in die Anfänge der Zivilisation erinnern nicht einmal mehr Legenden an eine andere Zeit. Kara wurde in diese Welt geboren, die die Menschen den urspr...