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"Knurr. Der Anführer.", flüsterte Eironn leise, während der fremde Werwolf sich mit Fenr austauschte. Das wusste sie auch nur, weil der Magier es ihr gesagt hatte. Die animalischen Laute des Knurrens drangen nämlich genau als solche zu ihr.
"Der Anführer heißt Knurr?" Der Mann schien auf den ersten Blick ein Mensch. Sogar die Kleidung erinnerte mehr an Mensch als die Felle und groben Stoffe der Jäger. Einen wirklichen Unterschied stellte lediglich seine Größe dar. Wenn der Anführer ihrer Jäger für einen Menschen groß gewachsen war, dann überragte der Werwolf ihn noch um weitere zwei Köpfe.
"Ein Witz seiner Eltern. Dafür ist es ihm wichtig, nicht mit Halbblütern verwechselt zu werden."
"Halbblut... Also Werwolf und Mensch?"
Eironn nickte. "Das animalische bleibt teilweise vorhanden, dafür ähnelt ihre Größe wieder der von Menschen. Auch..."
"...wenn sie trotzdem größer scheinen?"
Wieder ein Nicken und Karas fast leerer Magen drehte sich um. Mindestens der Anführer musste also ein solches Halbblut gewesen sein - und machte Art auf seine eigenen Leute. Eilig legte sie die Hand vor den Mund und unterdrückte den Reiz. Die Hand des Magiers auf ihrer Schulter und eine leichte Magieübertragung beruhigten sie zum Glück. Da war das Gespräch der Anführer schon beendet und Fenr wandte sich an das Rudel. Wortlos verteilten sich die Wölfe um das mit Holzbarrikaden umzäunte Dorf. Knurr hingegen steuerte die beiden Magier an.

"Eironn, also. Und Kara, laut Fenr." Der Mann grinste und reichte beiden die Hände. Dabei bemerkte Kara zwei weitere Unterschiede zu Menschen: er war an den sichtbaren Körperpartien stark behaart und wesentlich kräftiger.
"Knurr. Wir danken für die Gastfreundschaft." Eironn neigte leicht den Kopf. "Doch wir sind uns bereits begegnet."
"Sind wir?" Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Magier und er kratzte sich nachdenklich am Kopf.
Eironn sprang ein: "Damals bin ich noch unter dem Namen Ira gereist."
"Ira? Sicher doch. Als könnte ich Ira vergessen." Sein Lachen hallte von den Bäumen wieder. "Du bist weit gekommen, Reisender. Für einen Magier, versteht sich."
"Das kann ich nur zurückgeben. Trotzdem bin ich neugierig: haben Jäger euch vertrieben?"
"Unglücklicherweise." Ernst wandte der Anführer den Blick zur Seite. Er wollte den Schmerz und die Trauer wohl vor seinem Gesprächspartner verbergen. "Sie überfielen uns nachts. Ich konnte gerade ein Drittel des Rudels retten. Mein Vorgänger fiel im Kampf, so kam ich an die Position."
"Verzeih. Ich kann dir nur mein Beileid aussprechen."
"Ich weiß und ich nehme es entgegen." Damit nickte er dankbar und deutete auf das Dorf in seinem Rücken. "Ihr könnt gerne in unseren Notquartieren bleiben, wenn ihr mal wieder ein festes Dach über dem Kopf bevorzugt. Wir finden sicher auch eines, in dem ihr ungestört seid." Dabei lag Knurrs Blick besonders auf Kara, die nervös zu Boden starrte.
"Ein Dach, ein Bett. Was braucht man mehr?" Eironn nahm ihre Hand. "Was denkst du?"
"Klingt... gut?" Karas spürte ihr Herz viel zu schnell schlagen. Wenn die Berichte der Jäger über die Werwölfe zumindest im Ansatz stimmten, dann dürfte das dem Anführer nicht verborgen bleiben.
"Also ein Quartier." Eironn lachte, der Bericht über den Verlust des Rudels verdrängt, und ging vor. Dabei zog er sie vorsichtig am Arm, damit sie nicht zurückfiel und das Dorf gemeinsam mit ihm bestaunen konnte.

Die Palisade versperrte den Blick auf das Gebiet, dahinter war tatsächlich Staunen angebracht. Mehrere kleine Hütten aus Holz und Lehm waren in Ringen um einen zentralen Platz angeordnet. In regelmäßigen Abständen hatte man die alten Bäume stehen lassen, was das Dorf zu einem Teil des Waldes machte. Mit den blattreichen Ästen als Dach waren die Werwölfe sicher auch aus der Luft nur schwer zu erkennen. Trotzdem fiel genug Sonne ein um verteilte kleine Felder mit Feldfrüchten gedeihen zu lassen.
"Ein schönes Dorf.", bemerkte Kara leise, als eine junge Werwölfin an ihr vorbeiging. Sie war schöner, als jeder Mensch, der ihr bereits begegnet war und bewegte sich so selbstsicher, dass es ihr auch bewusst war. Obwohl ihr das auch schon bei der Rückverwandlung Eironns aufgefallen war. Die menschenähnlichen Einwohner dieser Welt waren alle mit einer natürlichen Perfektion gesegnet.
"Danke. Auch wenn es praktischer geplant wurde und an der Ästhetik gespart." Knurr deutete auf einige unscheinbare Blumen am Rand ihres Pfades und grobe Dellen in den Lehmwänden.
"Da muss ich aber Kara zustimmen. Ich war schon in einigen Städten und Dörfern der Menschen. Bisher war keines davon weder Praktisch noch schön."
"Nun, dann bedanke ich mich ohne Widerworte." Knurr lachte und führte sie schließlich zu einer der kleineren Hütte. "Hier ist eure Unterkunft. Also... ein Schlafraum. Morgens und Abends gibt es ein gemeines Essen. Für die Wäsche ist der Fluss hinter der letzten Reihe vorgesehen. Wenn ihr es blickdichter wollt, haben wir eine Höhle entdeckt, in der sich ein kleiner Teich sammelt. Fragt einfach durch. Abendessen..."
"...bei Sonnenuntergang.", unterbrach der Magier. "Die Regeln sind auch noch die gleichen?"
"Sind sie." Knurr schüttelte grinsend den Kopf. "Oh, aber ich möchte beim Essen noch etwas mit dir besprechen. Wichtig. Vier Augen. Und Ohren."
"Ich bin ganz für dich da, Knurr." Unterbrochen wurde Eironn von einem langen Heulen, das der Anführer mit einem seufzen beantwortete.
"Ich werde gebraucht. Kinder. Wir sprechen uns später." Damit drehte er sich weg und jagte zielsicher durch das Dorf.

MidiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt