"Nicht gefährlicher als die Jäger.", hatte sie noch überzeugend gesagt, nun, vor der hohen Mauer, die die belebte Stadt umgab, verließ sie der Mut. Zu beiden Seiten strömten Händler und Reisende in die Stadt. Gleichzeitig schien es, als verließe sie die gleiche Menge auch wieder.
"Alles gut." Eironn zog sie weiter. Zwischen zwei Karren gelangten sie ohne große Kontrolle in die Stadt. Zwei Reisende - wobei der Magier seine fehlenden Kleidungsstücke mit einem Verwirrungszauber ausglich - schienen den Wächtern nicht besonders gefährlich.
"Ich bin nicht panisch.", sagte Kara mehr zu sich selbst, als ein Mann in Rüstung sie anrempelte und gegen Eironn stieß. "Ich bin nur... das erste Mal in einer Stadt. Glaube ich."
"Ich glaube, du warst es schon einmal in deiner Kindheit. Wie alt warst du denn, als deine Mutter dich zu den Jägern gebracht hat?"
"Das muss... mindestens zwanzig Winter her sein. Vielleicht mehr."
"Dann haben Erinnerungen schon eingesetzt." Der Magier zog sie hinter den Toren aus der Menge heraus und wählte einen Weg abseits der Hauptstraße. "Auch, wenn du sie nicht aktiv abrufen kannst."
"Kannst du meine Gedanken lesen?"
"Nein. Ich kann es dir nur ansehen." Er grinste und schnippte sanft gegen ihre Schläfe. "Gedanken lesen können nur Götter. Selbst Geistern ist es verwehrt."
"Das erklärt einiges..." Die Göttin hatte definitiv jeden ihrer Zweifel und jede Frage gekannt - im Gegensatz zu dem Katzengeist. "Und Schatten erkennen ob man lügt?"
Eironn nickte. "Als Untergebene der Todesgöttin ist es ihre Aufgabe Urteile zu sprechen. Daher erkennen sie Wahrheit und Lüge. Einer der Gründe, warum die Menschen sich in der Masse weigerten, unsere Götter zu akzeptieren. Ihr Gott ließ jede Seele in dieses Paradies."
"Wenn man die Wahl hat..." Kara sah ich in der Straße um, durch die der Magier sie führte. Zielsicher, als wäre er sie schon oft gegangen. Die Häuser waren ordentlich. Stein und Holz waren verbaut, die Dächer ebenfalls mit Stein bedeckt. Einige der Türen waren bemalt. Manchmal sogar mit dem Sechseck der alten Götter. Aber auch bei den Jägern hatte es diese Symbolik vereinzelt gegeben. Es schien, dass die Menschen sie ohne groß nachzudenken als Kunst verwendeten.
"Sind die Midia nicht böse, dass die Menschen ihre Symbole verwenden?", fragte sie leise sich selbst, sah jedoch auf, als der Magier antwortete: "Warum sollten sie? Es ist eine Form der Natur, niemand hat ein Anrecht darauf. Selbst die Midia haben es nie als Symbol für ihre Götter gesehen. Das Sechseck ist nur ein Zeichen für Stabilität. Oder findest du etwas symmetrischeres und stabileres?"
"Hm. Gibt es außer den Figuren überhaupt Symbole? Immerhin muss jemand die Schreine erbaut haben."
"Wandler." Eironn lächelte verträumt. "Die ersten Menschen, die sich auf die für sie fremden Götter eingelassen haben. Vor dem Verrat. Sie wollten sie ehren und haben überall die Schreine errichtet. Selbst die Gestalt der Götter war ihnen nicht bekannt, weshalb sie jedem Einflüsse aus verschiedensten Gruppen der Midia gegeben haben."
"Nach dem gleichen Prinzip wie der Gott der Menschen. Eine Kopie von sich selbst."
"Scheint so." Plötzlich stoppte Eironn und legte seine Hände auf die Schultern eines Kindes, das gegen ihn gelaufen war. Aus der Straße dahinter waren laute Rufe zu hören. Sofort hob er das Mädchen im schmutzigen Kleid auf die Arme und drückte ihren Kopf an seine Schulter. "Leise.", zischte er. "Tu so, als würdest du schlafen."
Nur Sekunden später polterten zwei Soldaten den gleichen Weg, sahen sich hektisch um und rannten weiter. Für sie bildeten die drei dank der Magie eine kleine Familie, in der der Vater seine müde Tochter nach Hause trug. Sogar das weiße Haar und das dreckige Kleid waren darunter verschwunden.
Einen Moment liefen sie noch unbeirrt weiter, dann setzte der Magier das Mädchen wieder ab und kniete sich vor sie. "Ein Dämon, nicht wahr? Darum jagen sie dich."
Das Mädchen nickte. Unsicher sahen die schwarzen Augen hinter den Mann. "Danke für Eure Hilfe. Ich sollte jetzt weiter.", antwortete sie gefasst und lächelte. "Es war ein Fehler diesen Ort zu wählen."
"Du bist noch jung, nicht?" Eironn strich ihr automatisch durchs Haar. "Wir reisen mit zwei Rudeln. Wer- und Wanderwölfe. Du kannst uns begleiten." Er sah zu Kara, die das Mädchen noch immer musterte. Schatten, die um sie peitschten konnte sie nicht erkennen. Bis auf die Augen schien sie ein Menschenmädchen. "Alles gut?"
"Ähm ja." Kara kniete sich nun auch hin. "Solange wir in der Stadt sind, können wir deine Eltern spielen. Wir können nämlich leider noch nicht sofort zurück."
Die Dämonin riss überrascht die Augen auf, dann nickte sie. "Ja, das ist in Ordnung. Momentan sehe ich zwar leider noch so klein aus, aber das wird sich bald legen. Im besten Fall, wenn ich länger unter ausgewachsenen lebe."
"Ausgewachsene? Heißt das, du warst bisher unter Kindern?"
"Ja." Ihr Blick legte sich zurück auf Eironn, wobei sie etwas mehr strahlte. "Es war ein nettes Haus. Überall waren kleine Wesen. Sie waren freundlich und ich habe viel gelernt." Ihr Blick trübte sich wieder. "Aber dann waren da diese anderen. Große Wesen, die mich mitgenommen haben. Die anderen Schatten hatten mich zwar gewarnt, aber ganz glauben wollte ich es nicht."
"Und da bist du weggelaufen und wurdest verfolgt."
"Drei Mal Nimean...", murmelte sie und griff nach den Händen des Magiers. "Darum bin ich langsamer geworden, als sie wieder mein Versteck gefunden haben."
"Dann ist es verständlich, dass wir dir helfen." Diesmal streichelte Kara das Mädchen. "Aber erst gegen wir fertig einkaufen und dann verschwinden wir auf dem schnellsten Weg aus der Stadt."
Grinsend nickte das Mädchen und schüttelte ihre Hand. Wie ein Kind verhielt sich die Dämonin nicht, aber das störte Kara noch nicht.

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Midia
FantasyNach der Zerstörung ihrer eigenen Welt musste die Menschheit in eine andere fliehen. Zurückgeworfen in die Anfänge der Zivilisation erinnern nicht einmal mehr Legenden an eine andere Zeit. Kara wurde in diese Welt geboren, die die Menschen den urspr...