Nach der Weiterreise in den letzten Tagen hatte das Rudel in einer Höhle in einer kleinen Bergkette, die das Land teilweise trennte seinen Unterschlupf gefunden. In der Nähe gab es einen bereits zerstörten Götterschrein, umgeben von einer kleinen, weichen Grasfläche.
Hier lag Kara neben Eironn auf dem Rücken und beobachtete den sternenbesetzten Himmel. Der Magier hob eine Hand und ließ eine kleine Illusion aus Rauch vor ihren Augen entstehen.
"Unsere Welt hat sich verändert, seit die Menschen aufgetaucht sind." Die Illusion zeigte Tiere, hoch wie Bäume, die friedlich miteinander lebten. Ein Beben folgte auf die Ruhe und Menschen erwachten zwischen ihnen. "Wir haben sie aufgenommen, ihnen geholfen, zu überleben. Zu Beginn waren sie uns Dankbar, immerhin haben sie ihre eigene Heimat verloren. Aber bald vermehrten sie sich. Sie fürchteten sich nicht mehr vor den Gefahren, die unsere Welt beherbergte. Sie fingen an jene, die ihnen eins halfen, zu jagen. Die Friedlichen fielen zu erst. Dryaden, Feen und Nymphen. Wer sich verteidigen konnte, hielt länger durch." Die Szene zeigte einen Kampf. Die Tiere gegen die Menschen. "Es war unsere eigene Schuld, ihnen vertraut zu haben, nur um verraten zu werden. Gejagt, getötet, versklavt. Nur war das nicht das Ende." Bilder erschienen von Menschen, die selbst die Gestalt von Tieren annahmen.
"Werwölfe?"
"Auch. Das ist die Art, die sich durchgesetzt hat. Es war eigentlich ein Geschenk der Götter an jene, die unsere Art zu leben akzeptierten und darin aufgingen. Als die anderen uns verrieten, standen sie auf unserer Seite. Von den Menschen, wurden sie jedoch nicht mehr als Menschen betrachtet. Die Ablehnung der Gesellschaft, von der sie einst Teil waren veränderte sie. Sie verschlossen sich, zogen sich zurück. Dennoch versuchten sie immer wieder, mit den Menschen ins Gespräch zukommen, genau wie einige der anderen Arten. Doch der Verrat stoppte nicht und so fügten die Götter eine Strafe zu den Segen der Menschen hinzu. Sie verbanden die Seelen der Menschen, mit unseren. Die Menschen wurden zu unserer zweiten Seele." Er legte eine Hand auf sein Herz. "Sie banden unsere Leben aneinander. Wenn der Mensch oder einer von uns stirbt, dann tut es auch der andere."
"Aber... es gibt doch viel mehr Menschen. Wie kann das dann gehen?"
"Die Menschen sind anders als wir. Sie können weder hören noch sprechen. Sie wissen nichts von der Verbindung und jagen uns weiter. Sie sehen auch die Verbindung nicht. Den Zusammenhang der Tode. Gleichzeitig vermehren sie sich immer weiter und schneller als wir. Die Strafe - für uns ein Schutz - der Götter ist also auch auf sie übergesprungen. Wenn der letzte von uns gefallen ist, dann gibt es nur noch die Menschen. Wesen, die weder hören, noch sprechen, noch sehen, noch fühlen können." Erschöpft schloss Eironn die Augen. "Wir wissen bereits, dass unser Ende unvermeidlich ist. Dennoch geben wir die Hoffnung nicht auf, dass die Götter uns noch einmal beschenken. Unser Wunsch ist nicht die Auslöschung der Menschen, Kara. Die Götter würden das nie zulassen. Wir wünschen uns eine Heimat, in der wir in Frieden und Freiheit sterben können."
"Sterben..." Die Illusion verblasste, das letzte Bild zeigte einen Wald, einen See. Die Tiere und menschenähnlichen saßen an seinem Ufer. Sie lachten, waren glücklich und wurden immer weniger. "Darum reist ihr umher, nicht wahr? Um so einen Ort zu finden, der noch nicht den Menschen gehört. Wo sie euch nicht finden."
"Fenr ist der letzte der Alten. Er erlebte noch die Ankunft der Menschen. Den Verrat und den Tod seiner Familie. Er floh und sammelte jene um sich, die auch flohen."
"Hm. Es ist traurig." Kara rückte naher an den Magier und legte den Kopf auf seine Schulter. "Die Menschen sind die bösen in der Geschichte. Und ich verstehe nicht einmal warum. Ihr wart ihnen gegenüber doch nie aggressiv. Warum sollte sie dann jene verraten, die ihnen geholfen haben. Die Götter verraten, die ihnen Geschenke gemacht haben..."
"Es sind Menschen. Vielleicht liegt die Gewalt und Grausamkeit in ihrer Natur."Kara nickte. So hatte sie die Jäger erlebt. Nicht einmal ihre eigenen Kinder wurden geliebt. Wer nutzlos war, wurde verjagt. "Eine Frage noch: Magier sind eigentlich auch Menschen, oder? Heißt das, jeder kann Magie lernen?"
"Das waren zwei." Eironn verzog das Gesicht zu einem Grinsen. "Aber ja. Magier waren Menschen. Jedoch werden sie aus ihren Familien gerissen, sobald sich der Segen zeigt. Sie werden ausgebildet und anschließen versklavt. Sie führen die Kriege der Menschen, sind ihre Diener. Für die Menschen sind ihre Gaben praktisch, aber die Magier selbst wertlos. Objekte, keine Lebewesen." Traurig sah er in die Ferne. "Wenn du möchtest, kann ich meinen Segen mit dir teilen. Doch, solltest du den Menschen in die Hände fallen wirst du sie nie wieder verlassen können."
Kara nickte. Soviel der Geschichte war bei ihr angekommen. Aber auch hier, im Rudel der Wanderwölfe, wollte sie einen Nutzen haben. Eironn beherrschte alles besser als sie. Einfachste Tätigkeiten, die ihn als Nicht-Wolf in der Gemeinschaft überleben ließen. "Mit Magie könnte ich sicher besser helfen. Bisher hilft das Rudel mehr mir, als ich ihm. Ich fühle mich einfach nutzlos."
"Schon gut." Eironn hob seine Hand und legte sie auf ihren Kopf. Wärme ging von der Berührung aus, die sie wohlig die Augen schließen ließ. "Hiermit teile ich den Segen des Chaos mit dir, Menschenkind. Mögest du ihn zum Schutz des Rudels nutzen. Mögest du lernen, was dieser Segen Kraft birgt."
Kara nickte. Die Magie kribbelte durch ihren Körper, bis der Magier die Hand wieder wegnahm. Da sammelte sich die Magie des Segens in ihrer Brust und hinterließ nur die Wärme. "Das war..." Ihr fehlten die Worte, um ihre Gefühle zu beschreiben. "...warm?"
"Interessante Wortwahl." Eironn sah auf zu den Sternen. Fünf von ihnen überstrahlen deutlich den Rest. "Die Götter scheinen einverstanden." Er seufzte. Wieder legte er die Hand auf die Brust und schwieg einen Moment. "Du solltest schlafen, Kara. Wir beginnen mit dem Unterricht, sobald du dich daran gewöhnt hast."
"Schlafen klingt gut." Müde gähnte sie und ließ sich ins Gras fallen. Die Müdigkeit kam so plötzlich mit der Magie. Zurück in den Kreis schaffte sie es wohl nicht mehr. "Gute Nacht, Eironn. Und danke..." Damit schloss sie die Augen, spürte noch, wie er über ihr Haar strich, dann war sie eingeschlafen.
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Midia
FantasyNach der Zerstörung ihrer eigenen Welt musste die Menschheit in eine andere fliehen. Zurückgeworfen in die Anfänge der Zivilisation erinnern nicht einmal mehr Legenden an eine andere Zeit. Kara wurde in diese Welt geboren, die die Menschen den urspr...