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Eironn/Khaos
"Du hast was!? Du weißt, dass das die Persönlichkeit verändern kann! Unfassbar, dass gerade du darauf eingegangen bist!" Kahlia lief in Kreisen vor ihm, warf dramatisch die Arme in die Luft und regte sich auf. Verständlicherweise. Für die Götter galt die Regel, Erinnerungen nicht zu verändern ganz besonders.
"Ich habe sie nicht gelöscht.", unterbrach er und legte den Kopf auf die Arme. "Nur ihre Mauer verstärkt. Aber ja, sie hat sich danach verändert."
"Dann mach es rückgängig!" Kahlia schlug mit beiden Händen vor ihm auf den Tisch. "Ich mochte sie so, wie sie vorher war. Du weißt genau, dass das verboten ist."
"Ja. Deswegen habe ich sie auch nur versteckt." Er war sofort zu seiner Freundin gegangen, nachdem Kara wieder eingeschlafen war. In ihrem Zimmer zogen Nebel von Magie durch die Luft. Ihren Teil des Gartens hatte sie auch hierher kopiert. "Ich weiß aber nicht, wie ich sie auf die Veränderung ansprechen soll."
"Gar nicht!" Kahlia knurrte und neue Nebelfetzen sammelten sich um sie herum. Nur hier wurde Magie wirklich sichtbar. "Du sagst ihr, was passiert ist und dass es andere Wege gibt mit einem Trauma fertig zu werden. Du hörst ihr zu und dann umarmst du sie. Ganz einfach."
Khaos seufzte. Das wäre wohl das Beste.
"Das ist das einzig Richtige." Sie warf die Hände in die Luft und stieß einen Fluch aus. Es war die Geheimsprache zwischen den beiden ersten Göttern. Khaos hatte mit seiner Zwillingsschwester einmal etwas ähnliches entwickelt.
"Danke fürs Zuhören." Der Gott erhob sich und drehte sich zum Ausgang.
"Bring das in Ordnung!", befahl sie noch, als er gerade die Nebeltür durchschritt und damit von allen anderen Geräuschen abgeschnitten wurde.

Langsam ging er an Vymis Zimmer vorbei und legte sich Worte zurecht, als ein dünner Arm aus dem Nebel gestreckt wurde und ihn am Arm berührte. Irritiert blieb er stehen und folgte dem geschuppten Zeichen der Wahrheitsgöttin.
Er war nur selten in anderen Räumen. Manchmal bei Kahlia und Dot, sonst hielten sich seine Besuche in Grenzen. Vymis Zimmer unterschied sich deutlich von allen anderen. Der Raum repräsentierte eine feuchte Höhle. In einer Nische hatte sie etwas Gras ausgelegt, ihr Schlafplatz. Momentan saß sie jedoch auf einem Vorsprung und sah ihn neugierig an. "Hallo Vymi. Was verschafft mir die Einladung?"
"Du hast dein Versprechen gebrochen." Sie war direkt. "Das ist verboten."
"Ich habe die Erinnerung nur versteckt. Sie war so verzweifelt. Aber ich rede mit ihr und öffne sie wieder."
"Sie braucht die Erinnerung." Vymi legte den Kopf schief. "Sie wird noch wichtig. Sie muss sich ihrer Vergangenheit stellen."
"Wie kann eine Erinnerung so wichtig werden?"
Die Göttin hob die Hand und deutete auf ihn. "Sie birgt Wissen. Wahrheit. Sie wird wichtig, auch für dich."
Khaos lies den Blick durch die Höhle schweifen. "Vymi, darf ich fragen, was passiert ist, bevor du hierher gekommen bist? Du hast nie darüber gesprochen."
"Du bekommst keine Antwort. Nicht jetzt. Geh jetzt. Sie wacht bald auf." Damit erklärte sie das Gespräch für beendet und Khaos fand sich vor seiner eigenen Höhle wieder. Vymi hatte ihn aus ihrem Zimmer geworfen. Es war immer eine Möglichkeit. Man konnte auch den Nebel verfestigen und niemanden einlassen, aber sie respektieren ihre Privatsphäre - meistens.

Also trat Khaos wieder in sein Zimmer. Der Himmel blieb dunkel, die Sterne der alten Welt funkelten noch in der Finsternis. Einen Mond hatte es nie gegeben, warum sollte er also einen erscheinen lassen.
Hinter den leicht vom Wind bewegten Vorhängen konnte er Kara ausmachen. Sie schlief friedlicher, als mit ihren Erinnerungen, aber Vymi und Kahlia hatten Recht. Es ist verboten, Erinnerungen zu verändern und sie musste sich ihnen selbst stellen.
"Kara..." Er setzte sich auf das Bett, gerade als sie flatternd die Augen aufschlug. Einen Moment schimmerten sie grün. Die Wirkung seiner Magie. Sofort lächelte sie ihn an. "Ich habe auf dich gewartet." Sie hatte geschlafen. "Wollen wir weitermachen?" Wollte er?
"Nein. Zuerst müssen wir reden."
Irritiert sah sie ihn an. "Mich stört es nicht, wenn sich andere..."
"Nicht darüber." Sie sollte gar nicht über so etwas nachdenken. Hatte diese Erfahrung ihr Verständnis von Zweisamkeit so sehr beeinflusst? Davon abgesehen war die Hälfte der Götter Geschwister - und Kahlia und Nimean wirken mehr wie Eltern auf ihn. Das wäre merkwürdig. "Du hast mich gebeten dir eine Erinnerung zu nehmen. Ich habe sie nur versteckt und jetzt bereue ich es, deinem Wunsch nachgekommen zu sein. Ich gebe sie dir zurück und dann sprechen wir darüber. Du kannst mit Magie leider nicht alles lösen."
"Welche Erinnerung?" Sie setzte sich auf. "Ich erinnere mich nicht daran."
"Ja, der Vorgang wird auch vergessen. Hier." Er legte die Hand an ihre Schläfe und zog die Magie zurück. Die Mauer, hinter der sie die Erinnerung versteckte, wurde wieder dünner. Brüchig war sie schon seit längerem. "Vymi meinte, dass sich darin Wissen verbirgt."
Einen Moment wurde Karas Blick glasig. Sie sah nicht ihn an, sondern einen Punkt kurz vorher. Dann schüttelte sie den Kopf. "Du wirst mich hassen. So wie alle."
"Ich verspreche, das werde ich nicht. Bitte sprich mit mir. Wenn du alles schlechte in dich hineinfrisst, dann verschlingt es irgendwann dich." Er zog sie zu sich. Wie schon am Teich drückte sie das Gesicht an ihn. Nur diesmal schluchzte sie leise.
"Für Gott, haben sie gesagt. Für die Menschen." Das Schluchzen unterbrach sie. "Ich war nicht die Einzige, weißt du? Wir waren sieben. Jeder Gott eine. Sie haben uns... herumreicht."
"Wann war das?" Er strich ihr über das Haar.
"Der Tag ohne Licht. Es sei ein... Ritual, haben sie erzählt. Aber eine haben sie nicht angerührt. Die für unseren Gott. Für sie war es eine Ehre. Sie wurde zu ihm geschickt."
"Jahra war eingesperrt. Das war sicher nicht sein Wille."
"Nein. Ich habe es nie geglaubt. Darum wurde ich ausgewählt." Sie löste sich von ihm und sah auf. Die Augen rot verquollen. "Ungläubige. Sie sagten, damit rauben sie den Monstern und ihren Göttern die Kraft." Das Schluchzen schüttelte sie und er hielt sie fester. Er bot ihr den Halt, der ihr unter den Menschen verwehrt blieb. "Überall Blut, Schreie. Sie waren überall. So viele ich konnte sie nicht zählen. Aber an einige erinnere ich mich. Sie haben mich gezeichnet. Hier." Kara löste sich ein Stück und schob ihr Haar beiseite. "Zwischen den Schultern."
Khaos zog sie an sich und sah auf die Stelle. Schwarz hob sich ein ausgefülltes Sechseck zwischen ihren Schulterblättern ab. In der Mitte lag ein freier Kreis. Jemand hatte grob mehrere Schichten Haut abgetragen und Aschenpulver in der Wunde verrieben. Es hatte sich eine Narbe, wie eine Tätowierung gebildet.
"Es war ein Schutz und ein Fluch zugleich. Niemand wollte mich mehr anrühren und gleichzeitig lebte ich jeden Tag mit der Angst, dass es einem egal sein würde. Die anderen fünf haben sich in den folgenden Wochen selbst getötet." Sie zitterte. "Eine betrat das Feuer, zwei wurden im Wald an Bäumen gefunden, zwei gingen in den Fluss. Sie haben sich die Arme aufgeschnitten. Und Jahras haben sie am Tag des Festes mit Pflanzen und Alkohol betäubt und fröhlich lachend ins Feuer geschickt. Sie hat sogar... gesungen dabei."
"Kara..." Er hielt sie fest. Mehr konnte er auch nicht tun. Und Vymi hatte Recht. Die Erinnerung barg Wissen. Um die Grausamkeit von Jahras Volk. Lange saßen sie so. Der Himmel wechselte in einen roten Sonnenaufgang. Er passte sich an die Gefühle seiner Besucher an. Heute blieb sogar das Licht hinter einer grauen Wolkendecke verborgen.

MidiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt