"Aufbruch!" Knurrs Ruf schallte durch die Schlucht, gefolgt von Fenrs heulen. Kara klammerte sich wieder in Sonnes Fell. Kinder und Geflüchtete, die sich noch nicht oder garnicht verwandeln konnten - es gab auch menschliche Sympathisanten der Midia unter den Werwölfen - saßen ebenso auf den Rücken der Wanderwölfe. Einige der Kinder noch begleitet von Müttern und anderen Wölfinnen.
Die restlichen Werwölfe, durch die deutlich kleinere Statur klar zu unterscheiden, hatten sich in Wolfsform verwandelt und trugen kleine Taschen in denen sie ihre neu gefertigten Sachen transportierten.
Die Dämonin Sena durfte mit der Wolfsmutter reisen, deren Welpen die Werwölfe noch ein kleines Stück überragten. Es faszinierte Kara, wie selbstständig und ausdauernd die Jungtiere bereits sind. Man erkannte in ihnen nur mehr kleinere Wölfe. Dabei war noch kein Jahr vergangen."Sie wachsen schnell." Eironn war neben Sonne getreten und sah zu Kara auf. Noch lag die Wölfin und wartete auf ihren zweiten Passagier. Wie unabsichtlich legte er seine Hand auf ihre, doch sie konnte sich nicht darauf konzentrieren. "Eigentlich müssten wir uns noch an ihr Tempo anpassen. Aber sie haben Tempo und Ausdauer der Älteren bereits erreicht."
Stumm nickte Kara. Ihr fehlte nur noch die Erklärung, warum das so war. Waren die Welpen vielleicht eine neue Art Wölfe? Welche, die zwar schneller, aber nicht mehr zur gleichen Größe wuchsen? Oder hatten sie erkannt, dass sie die Gruppe aufhalten würden, wenn sie sich nicht schnell anpassten? Selbst der Kleinste hatte seine Schüchternheit angelegt und gehörte zu den vordersten Läufern.
"Soll ich mir... einen anderen Begleiter suchen?" Ihr Blick konzentrierte sich auf die Dämonin. Das silberne Haar erschien wie ein Wasserfall.
"Warum das?" Sie spürte wie der Magier hinter ihr aufsaß und die Arme wieder zu ihren Seiten legte. "Möchtest du lieber mit ihr allein bleiben?"
"Hm.", brummte die Magierin, schwieg dazu weiter. Sie würde ihn sicher nicht von Sonne fernhalten können.
Ihr Begleiter ließ jedoch nicht locker. Vorsichtig legte er seine Hände auf ihre Fäuste. Warme Magie fand ihren Weg unter ihre Haut. "Du kannst über alles mit mir sprechen."
"Nicht jetzt. Nicht..." Sena lachte weiter vorne und wuschelte durch das Fell ihrer Wölfin. Aufgeregt hüpften die Welpen, doch wieder ganz Jungtier, um die beiden herum. Sie presste den Kiefer zusammen. Gleich würden ihre Zähne brechen.Abgelenkt wurde sie von Fenrs langem Heulen, der den Aufbruch markierte und die Rudel folgten dem alten Anführer hinaus aus der Schlucht und über das Grasland.
Selbst hier erschien das Silberhaar der Dämonin wie eine Geistererscheinung. Die Weiterreise am Abend erschien von Vorteil. Selbst die Jäger wagten sich nicht nach Sonnenuntergang aus ihren Lagern. Die Midia hatten einfach einen Vorteil, wenn es dunkel war."Kara. Ich spüre, dass du müde bist." Eironns Stimme erklang nur in ihrem Kopf. Selbst nicht in vollem Lauf pfiff der Wind noch um die Ohren der Passagiere. Wenn man nicht schrie, wurden die Worte einfach mitgerissen. Der Magier machte es sich daher einfach und drang direkt in ihren Kopf ein.
"Nicht müde." Kara duckte sich tiefer in das Fell der Wölfin. Vielleicht war sie doch müde. Die Wölfe hatten den Tag genutzt, um ein wenig Energie zu tanken. Ihre Jäger hatten sogar größere Beute gefunden. Wilde Pferde waren über das Grasland gezogen und ihren Zähnen zum Opfer gefallen.
Sie hatte kein Auge zubekommen. Immer war da die Angst sie könnte aufwachen und alle waren verschwunden. Die Angst, sie hätten ihre Nutzlosigkeit erkannt und sie zurückgelassen.
"Schlaf.", bat der Magier und wieder flutete Wärme ihren Körper. Er wagte es nicht, Magie gegen sie einzusetzen - oder doch?Wach wurde Kara erst, als sie längst nicht mehr liefen. Sonne hatte sich um sie herum zusammengerollt und schirmte sie im einer warmen, stillen Blase von der Außenwelt ab. Nur Zwielicht fiel durch das Fell, bis sie sich aufsetzte und die Wölfin, rein aus Reaktion ihren Schweif zur Seite schlug.
Am Horizont begrüßte sie ein goldener Sonnenuntergang. Die anderen Wanderwolfe schliefen ebenfalls noch, nur einige der Werwölfe wuselten durch das Rudel, trugen Körbe und Tasche an verschiedene Orte.Kara gähnte. Wieder war sie nutzlos. Man hatte sie nichtmal geweckt. Die Midia ignorierten sie offensichtlich.
In die nächste Stadt oder ein Dorf konnte momentan leider auch nicht flüchten. Sie wusste nicht wo sie waren und ob es überhaupt schon menschliche Siedlungen gab. Beziehungsweise, ob es sie noch gab. Gut möglich, dass die Menschen sich in dieser Gegend noch nicht niedergelassen hatten.
Und zusätzlich konnte sie weder Eironn noch Sena zwischen den Wölfen entdecken. Die Dämonin war sicher..."Kara, du bist wieder wach." Der Magier trat neben sie und hielt ihr lächelnd die Hand hin. "Ich wollte dich nicht zum Schlafen zwingen, nur beruhigen. Verzeih' wenn du dachtest, ich manipuliere dich."
"Schon vergessen." Sie wandte den Blick ab. Ihre Eifersucht wurde noch zum Problem. Irgendwie musste sie die Kontrolle über ihre Gefühle zurückerlangen.
"Da bin ich froh." Lächelnd verschränkte Eironn die Hände hinter seinem Rücken. "Würdest du mich dann vielleicht noch auf einen Spaziergang begleiten?"
"Spaziergang?" Kara deutete auf die Wölfe. "Brechen wir nicht bald wieder auf?"
"Nein. Wir ruhen uns hier noch bis Sonnenaufgang aus. Du hast den ganzen Weg verschlafen, aber sie sind die Nacht und den Tag durchgelaufen."
Sie nickte verstehend. Offenbar reagierte sie nicht nur auf andere weibliche Wesen sensibel. "Dann also... ein Spaziergang."
"Sehr erfreut." Diesmal nahm er ungefragt ihre Hand und führte sie zwischen den Wölfen hindurch.
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Midia
FantasyNach der Zerstörung ihrer eigenen Welt musste die Menschheit in eine andere fliehen. Zurückgeworfen in die Anfänge der Zivilisation erinnern nicht einmal mehr Legenden an eine andere Zeit. Kara wurde in diese Welt geboren, die die Menschen den urspr...