Erst weit hinter der Mauer wurden sie langsamer. Dankbar klopfte Eironn dem Pferd auf den Hals, als sich um sie herum weitere der Tiere sammelten. "Wir werden verfolgt.", fürchtete Kara und sah zurück zur brennenden Festung. Das Feuer verschwamm mit dem Sonnenaufgang.
"Nein. Ich denke, ihre Probleme sind im Moment andere."
"Das meine ich nicht." Kara senkte den Kopf. "Irgendjemand verfolgt uns. Irgendwie haben sie uns gefunden und die Wölfe ignoriert, weil sie nur hinter uns her waren. Der Anführer, erinnerst du dich?"
"Ja. Ich mag ihn nicht. Ist er wichtig unter den Jägern?"
"Ich fürchte schon." Sie schüttelte widersprüchlich den Kopf. "Er ist mein Vater. Und der Anführer aller Jägergruppen. Dieser Angriff... bist du dir sicher, dass das Zufall war?"
"Bis gerade eben..." Eironn zog sie an sich. "Hoffen wir einfach, dass er uns jetzt nicht mehr folgt."
"Du sagst nichts?" Überrascht sah sie wieder auf. Sie hatte einige andere Reaktionen erwartet.
"Zu deinem Vater?"
"Zu der Tatsache."
Eironn zuckte mit den Schultern. "Wir können uns unser Blut nicht aussuchen. Aber wenn es dich stört, dann sehe ich dich böse an, wenn du mir ein Auge ausstichst."
"Schlechter Witz." Sie legte den Kopf an seine Brust. Er war immer noch voller Blut. "Wir sollten trotzdem weiter. Du siehst grauenhaft aus." Sie versuchte die neue Information nicht weiter in ihre Gedanken vordringen zu lassen.
"Gut." Er klopfte wieder auf den Hals des Pferdes. "Könntest du uns noch bis zum nächsten Fluss bringen? Ab da kommen wir alleine weiter." Das Pferd schnaubte. "Auch gut. Aber lass sie nicht fallen." Der Magier stieg ab und lächelte Kara an. Dabei fielen ihr ein paar fehlende Zähne auf. Ob das auch heilte? "Unser Freund trägt dich den Rest, ich bin ihm zu schwer."
"Aber du bist schwerer verletzt." Sie wollte darauf bestehen, dass sie genauso laufen konnte, er unterband es jedoch mit einem Kopfschütteln.
Im gleichen Moment stupste ihn ein anderes Pferd an. "Scheint, als böte sich schon jemand an." Er streichelte dem Pferd über die Nase. "Und du bist?" Der Fuchs wieherte und schüttelte den Hals. "Ein interessanter Name. Wenigstens etwas das die Menschen beherrschen - außer der Zerstörung der Welt." Eironn lächelte und schwang sich auf den Rücken des Tieres, dann wandte er sich wieder zu Kara. "Der Hengst heißt Donner. Diese Dame trägt den Namen Blitz. Also... auf zum nächsten Fluss?"
"Auf zum Fluss." Kara klammerte sich weiter an Donners Hals, doch die Herde setzte sich gemütlich in Bewegung. Auch ihre einzig bekannte Heimat ließen sie mit der Festung hinter sich.* * * * * *
Stumm starrte Kara in das Wasser. Rot floss es vorbei, während der Magier weiter oben das Blut abwusch. Die Pferde hatten sie weiter begleitet. Gerade grasten sie auf der Wiese, die von dem kleinen Fluss durchschnitten wurde.
"Du bist in Gedanken. Willst du sie mit mir teilen?", klang es von ihm, doch Kara sah nicht auf.
"Das ist nichts.", gab sie zurück und ließ ihre Gedanken schweifen. Das gefärbte Wasser erinnerte sie an ihre Kindheit und die Frage kam auf, was ihren Vater verändert hatte.
"Ich denke schon." Eironn setzte sich neben sie, die Reste der Kleidung über einen Ast zum Trocknen gehängt. Den Arm legte er um ihre Schulter und zog sie an sich. "Hilft es, wenn ich sage, dass ich meine Eltern nicht kenne. Du weißt zumindest woher du kommst."
"Es gab mal eine Zeit, da war er freundlich. Er hat gelacht und mich umarmt. Er war nett zu meiner Mutter. Aber dann..." Feuer. "Er war plötzlich so anders. Hat Jagd auf Midia gemacht. Stieg die Ränge der Wächter schnell auf und konnte keine von uns mehr in seiner Nähe ertragen." Verbranntes Fleisch. "Und jetzt? Er wollte mich in dieser Zelle verrotten lassen. Und du..." Der metallische Geschmack von Blut sammelte sich auf ihrer Zunge. "Wie konnte das passieren?"
"Macht verdirbt. Vor allem Menschen."
Kara sah den Magier an. Das fehlende Auge war behelfsmäßig mit einem Blatt an einem Faden abgedeckt. Die anderen Wunden, teilweise tiefe Schnitte in der Haut waren offen. Aus einigen quoll noch immer Blut, während sich die scharfen Ränder von Brandmalen von seiner hellen Haut deutlich abhoben. Für einige hatte er Streifen seiner verblieben Kleidung geopfert. Die rot getränkten Verbände verbesserten seinen Anblick nicht. "Was haben sie gemacht?", fragte sie leise und fuhr vorsichtig den Rand einer Brandwunde nach, bedacht, die Wunde selbst nicht zu berühren.
"Das was du siehst. Aber keine Fragen gestellt. Es war... unschön." Er strich selbst eine heilende Wunde nach. Jemand hatte wohl Spaß daran, Löcher in ihn zu stechen. "Ich hatte Sorge, sie würden mich in Scheiben schneiden."
"Und trotzdem hat das deinem Aussehen nicht geschadet." Sie wanderte zu seinem Kinn. Die Kratzer und Blutergüsse im Gesicht waren schnell geheilt - abgesehen vom Auge. Dafür war sein Gebiss wieder vollständig.
"Das hatte ich gehofft." Er beugte sich etwas näher zu ihr. "Zum Glück sind noch nie Narben geblieben."
"Das... ist schonmal passiert?"
"Wie lange denkst du lebe ich schon?" Eironn hob seine Hand. Neben frischen Abrieben seiner letzten Fesseln waren feine Erhebungen zu erkennen. "Damals haben sie versucht, meine Kräfte zu kontrollieren. Die Seile waren dünn, schnitten tief ein. Meine Heilung war leider nicht so gut."
"Was musstest du durchmachen... Und daran bin ich Schuld." Sie strich über die Linie. Konnte ihre Magie helfen? Vorausgesetzt, sie lernte sie zu kontrollieren. "Wie lange waren wir eigentlich gefangen?"
"Mehrere Tage auf jeden Fall." Der Magier schloss die Augen. "Ich tippe mehr auf Wochen."
"Hat sich angefühlt wie Monate..."
"Nein, nur Wochen." Eironn strich über das Gras. "Die Natur hat noch Kraft."
"Was?" Der Wechsel der Jahreszeiten war ihr nicht unbekannt, aber die Wortwahl des Magiers irritierte sie.
"Unsere Welt basiert auf der Magie der Götter. Ich dachte, das hätte ich mal erwähnt."
"Hast du nicht." Sie schlug auf seine Schulter, nur leicht, trotzdem verzog er kurz das Gesicht, weil sie eine der Brandwunden getroffen hatte. "Entschuldige."
"Schon gut." Er hob den Blick zum Himmel. "Im tiefsten Winter schenken die Götter der Welt neue Kraft. Der Frühling folgt kurz darauf. Diese Kraft wird von jedem Midia bereitgestellt, wenn das Licht verschwindet. Abhängig von der Anzahl der Schenker wird es ein besseres oder schlechteres Jahr. Sie haben es praktisch auf diesem Tag gelegt, da die Geister dort nicht gebraucht werden. In der Finsternis steht die Zeit für einen Tag still."
"Das... Ist mir nie aufgefallen. Die Jäger haben auch in der Dunkelheit gearbeitet. Selbst die Städte sprühen dort noch vor Leben. Es gibt sogar ein spezielles Fest, das nur an diesem Tag gefeiert wird."
"Das liegt daran, dass nur die Midia die Energie bereitstellen können. Die Menschen betrifft die Ruhe nicht. Und die damit verbundene Wehrlosigkeit für diesen Tag."
"Wehrlosigkeit..." Die Jäger hatten mehr Patrouillen ausgeschickt um ihre Beute zu finden. "Ja. Die Jäger hatten... Beute. Und der Magier war an diesem Tag auch nie ansprechbar." Ihr wurde schon wieder schlecht. Die Menschen nutzten die Ruhephase um das Land wieder zu beleben für ihre Zwecke aus.
"Darum bewegen wir uns. Nur dieser eine Tag... Ein Fehler und eine ganze Gruppe ist verloren... Und sollten die Menschen Erfolg mit unserer Vernichtung haben..."
"Dann verlieren sie diese Welt." Kara senkte den Blick zu Boden. Nie hatte sie sich über solche Zusammenhänge Gedanken gemacht. "Und sie wissen es nicht."
"Doch. Einige schon." Er tippte auf das Symbol auf seiner Haut. "Sie halten Midia gefangen. An diesem Tag verteilt sich ihre Energie nur im umliegenden Boden. Und so haben einige Wenige fruchtbare Felder. Aber das ist keine Lösung auf Dauer."
Kara nickte. Die Menschen zerstörten die Welt und es interessierte die meisten nicht. Sie bereute es, als Mensch geboren worden zu sein. "Was ist eigentlich mit den Wölfen?", wechselte sie das Thema. "Suchen wir sie?"
Der Magier schüttelte den Kopf. "Sie sind bereits in der Zuflucht. Menschen haben dort keinen Zutritt und sie sind sicher. Mehr weiß ich im Moment nicht."
"Hm. Wenigstens etwas." Sie bereute nicht, Biene und Sonne die Wegbeschreibung gegeben zu haben. "Aber auch sehr wenig. Nur zwei Gruppen und ein Dämon sind sicher."
"Nein. Wir sind nicht die ersten, die die Zuflucht als Ziel festgelegt haben. Und wir werden nicht die letzten sein, die dort ankommen, bevor..." Er stockte und starrte auf den Boden. Knurrlaute folgten.
"Bevor was?" Kara griff nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger miteinander. "Was weißt du noch?"
Der Magier seufzte. "Bevor die Zeit der Menschen ein Ende findet."Kara lauschte einen Moment und ließ seine Worte wirken. "Das Ende der Menschen..." Es wäre eine Erleichterung für das Land. Doch warum sollte es erst so spät zu diesem Äußersten kommen? "Wann?"
"Mehr weiß ich nicht. Es ist auch nur ein Gefühl. Die Götter beraten sich über diese Lösung. Aber was hatte ich auch erwartet? Sie nutzen uns und das Land aus - irgendwann reicht es jedem."
"Kann ich verstehen. Ich würde wohl genauso entscheiden, wenn man in meine Hütte einbricht."
"Kein Einbruch." Eironn hob die Hand. Aus Erde bildete sich ein Haus, gerade groß genug, um es zu erkennen. "Stell es dir vor: du lebst mit deiner Familie in einem großen Haus. Jeder hat seinen Bereich und trotzdem ist noch viel Platz für mehr Familie.
Plötzlich klopft es an der Tür. Eine fremde Familie steht davor. Ihr Oberhaupt bittet um Hilfe, da sie ihr Haus in einem Feuer verloren haben.
Du berätst dich mit deiner Familie und ihr entscheidet, ihnen zu helfen. Platz genug gibt es. Also lasst ihr sie rein, gebt ihnen Zimmer, Essen, Trinken, Kleidung. Ihr bittet sie dafür nur, sich an die Regeln eures Hauses zu halten." Wieder ein Seufzen. "Eine Weile ist alles gut, doch eines Nachts wirst du aus dem Schlaf gerissen. Die andere Familie hat beschlossen, dass es ab jetzt ihr Haus ist. Dass jetzt nach ihren Regeln gelebt wird. Deine Familie muss ihre Zimmer räumen, trotzdem gibt es keinen Ort mehr, an dem du vor der Gewalt der Gäste sicher bist." Nun lächelte er kurz. "Doch einen Raum kennen sie nicht. Ein sicherer Ort, in dem du die Reste deiner Familie versteckst - und dann die Gäste alle gleichzeitig tötest."
"Die Zuflucht. Sie ist vor den Plänen der Götter sicher."
"Erstmal nur vor Menschen. Das Problem ist nämlich, ob die Zuflucht das was die Götter vielleicht tun überstehen kann." Eironn stand auf und nahm seine Kleidung vom Ast. Mit einem kleinen Zauber trocknete er sie, bevor er sich wieder anzog. "Wir sollten weiter, Kara. Man wartet sicher schon auf uns."
Sie nickte stumm. Das Modell des Hauses ließen sie zurück.

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Midia
FantasyNach der Zerstörung ihrer eigenen Welt musste die Menschheit in eine andere fliehen. Zurückgeworfen in die Anfänge der Zivilisation erinnern nicht einmal mehr Legenden an eine andere Zeit. Kara wurde in diese Welt geboren, die die Menschen den urspr...