Ohne auf meine Fragen einzugehen, hakte sie sich bei mir unter und lotste mich in ihr altes Kinderzimmer. Hier sah es noch genauso aus, wie vor sieben Jahren, kurz bevor sie umgezogen war – mit dem kleinen Unterschied, dass der Schrank nicht mehr überfüllt war und sich sogar ganz schließen ließ. Die Wände waren bepflastert mit Postern von One Direction, Avril Lavigne und Taylor Swift und die Sorgfältigkeit, mit der ihr Schreibtisch geordnet war, brachte mich zum Schmunzeln. Mein Zimmer war das genaue Gegenteil. Sie drückte mich auf das penibel gemachte Bett und setzte sich im Schneidersitz mir gegenüber. Ihre Hände spielten nervös mit den Fusseln ihrer alten abgetragenen Kuschelsocken, die sie gegen ihre Schuhe eingetauscht hatte.
»Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass du mir etwas Unangenehmes beibringen willst?«, fragte ich aufmerksam und mit kaum bestreitbarer Angst in der Stimme.
»Eigentlich ist es gar nichts Unangenehmes. Eher das Gegenteil«, beschwor Beth bekräftigend.
»Das hast du damals auch gesagt, als du Herr Esel gefunden hast«, bestritt ich energisch. Beth hob daraufhin abwehrend die Hände.
»Du hast dich doch gefreut, ihn wiederzuhaben«, meinte sie unschuldig, aber so leicht ließ ich sie nicht davonkommen.
»Du hast ihn aus dem Müll gefischt, nachdem du selbst ihn hineingeschmissen hast. Er hat noch ein halbes Jahr später nach dem Fisch vom Mittagessen gestunken. Ich hasse Fisch«, betonte ich und dachte an mein Plüschtier, das ich, seit ich denken konnte, überall mit hinnahm. An seinem Fell hatte ich mir in den ersten Wochen in England die Augen aus dem Kopf geheult.
»Trotzdem hast du dich gefreut«, beharrte Beth und ehe ich erneut den Mund öffnen konnte, fuhr sie fort.
»Es sind wirklich gute Nachrichten, Jules. Ich wollte nur nicht, dass die halbe Belegschaft dabei ist, wenn ich es dir erzähle. Die meisten wissen es ja schon und der Rest ahnt immerhin etwas. Ich warte schon so lange auf diesen Augenblick, da brauche ich niemanden, der heimlich Fotos macht.« Sie lächelte zag und griff nach meinen Händen.
»Okay?« So kannte ich meine Schwester normalerweise nicht. Spontan beugte sie sich vor und legte die Arme um mich.
»Ich bin so froh, dass du wieder hier bist, auch wenn du im Herbst wahrscheinlich wieder im kalten, nassen England sitzt und büffelst?« Sie ließ es wie eine Frage klingen und ich zuckte ahnungslos mit den Schultern.
»Ist das nicht ohnehin schon längst beschlossene Sache?«
»Kannst du es dir nicht nochmal überlegen mit der Columbia? Bitte, ja? Ich habe dich so vermisst. Unsere Filmabende auf der Couch und unsere Shoppingtouren. Vielleicht können wir das bald nochmal machen? Es ist einfach nicht das Gleiche, wenn du am anderen Ende der Welt hockst und wir uns nur über einen Bildschirm sehen können.«
»Ich denke darüber nach ...«, antwortete ich vage, obwohl mein Mitspracherecht in dieser Hinsicht ohnehin begrenzt war. Hilary und John hatten es ja längst beschlossen. Ich fragte mich, ob Beth der hoffnungsvollste Mensch auf dieser Welt war oder ob sie einfach nur naiv war, wenn es um unsere Eltern ging. In ihren Augen besaß ich eine Chance zu wählen, doch in der Realität hatte man längst für mich gewählt. Und zwar gegen mich. Wenn es stimmte, was Mary behauptet hatte, hatten selbst meine Eltern keine andere Wahl und das konnte ich ihnen wirklich nicht vorhalten.
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Me Because Of You
Teen Fiction»Soll ich wieder gehen? Ich kann draußen warten. Oder unten. Wenn dir das lieber ist.« »Das ist ja das Problem! Ich will nicht, dass du gehst.« Julia Wentworth hatte nicht vor, sich zu verlieben, als sie nach drei Jahren Studium in Oxford an New Yor...