Sie hatten ihn noch nicht gesehen. Was ein Glück war, denn sonst würden unsere beiden Köpfe rollen und nicht bloß meiner.
Jessica hatte meine Verspätung mit gerümpfter Nase kommentiert und mir war nicht entgangen, dass auch Hilary mit erhobener Augenbraue einen vielsagenden Blick mit ihrem Mann getauscht hatte, dessen Ausdruck merkwürdig leer gewesen war.
Seine gleichgültige Miene machte mich wütender als Jessicas offensichtlich aufgebrachter Seitenblick. Wusste er nicht, was er gerade tat? Was er seiner eigenen Tochter antat? Was sie uns antaten? Ich machte mir nichts vor. Diese Ehe war schon jetzt zum Scheitern verurteilt. Mit etwas Glück würden wir uns anfreunden können, aber mehr ... mehr würde da nie sein. Nicht, wenn ... Schnell verdrängte ich den Gedanken, zurück in die Abgründe meines tiefsten Inneren.
Ich hatte nicht mitbekommen, dass mein Bruder gekommen war, dabei hatte ich meinen Posten am Eingang zur Begrüßung der Gäste nicht verlassen. Auf einmal war er einfach da. Zweimal war mein Blick über ihn gestrichen ohne ihn richtig wahrzunehmen. Etwas war mir merkwürdig vorgekommen.
Ein ungeübtes Auge hätte ihn in der Menge übersehen. Ein geübtes Auge sah jedoch, dass er nur scheinbar in die Umgebung hineinpasste. Der Smoking war anscheinend ausgeliehen, er war zu groß, an einigen Stellen verblichen. Er trug eine schwarze Maske, die eine Gesichtshälfte verdeckte. Die Fliege saß nicht richtig.
Ich hasste mich selbst ein wenig dafür, dass mir diese Details auffielen, wo ich doch immer sagte, dass ich nicht in die Welt der High Society passte.
Offensichtlich doch.
Sein Aussehen erschreckte mich. Die Erinnerung an sein früheres Ich stimmte nicht mehr mit dem Bild überein, das sich mir jetzt bot. Seine dunklen Haare fielen in leichten Wellen über seine Schultern und er wirkte abgekämpft, mit dunklen Ringen unter den Augen und blasser Haut. Schon damals hatte er oft trainiert, doch heute, vierzehn Jahre später, war er noch breiter geworden. Die Muskeln in Kombination mit dem rohen Ausdruck in seinen Augen ließen ihn ungemein bedrohlich erscheinen. Zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten war er einfach nur gebrochen.
Wie von selbst wurde meine Aufmerksamkeit von meinem Bruder auf Julia gelenkt. Unsere Blicke kreuzten sich und sie betrachtete mich vielsagend. Sie sah zu Henry und ich wusste, dass sie genau wusste, wen sie da vor sich hatte. Unsere wortlose Unterhaltung hielt nur Sekunden, denn da war es auch schon vorbei mit meiner Ruhe.
»Was hat er hier zu suchen?« Jessica zischte die Worte fuchsteufelswild und lächelte die Neuankömmlinge gleichzeitig herzlich an und verteilte Luftküsse.
»Bürgermeister Price, Clarissa, meine Teure. Wie schön Sie zu sehen. Haben Sie schon einen Sekt? Sehr schön. Ich habe noch etwas Wichtiges mit Ihnen beiden zu besprechen. Ich komme gleich zu Ihnen. Bitte, hier entlang.«
William Senior brummte nur ein paar Worte und erntete einen missbilligenden Blick seiner Frau.
Diese komplimentierte Price und Clarissa in den Saal, mir schüttelten sie im Vorbeigehen die Hand und ich murmelte meinerseits meine einstudierten Zeilen: »Schön, dass Sie Zeit haben. Ich fühle mich geehrt, dass Sie mit meiner Verlobten und mir feiern wollen.«
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Me Because Of You
Teen Fiction»Soll ich wieder gehen? Ich kann draußen warten. Oder unten. Wenn dir das lieber ist.« »Das ist ja das Problem! Ich will nicht, dass du gehst.« Julia Wentworth hatte nicht vor, sich zu verlieben, als sie nach drei Jahren Studium in Oxford an New Yor...